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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 786

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 38/22, Beschluss v. 21.06.2022, HRRS 2022 Nr. 786


BGH 5 StR 38/22 - Beschluss vom 21. Juni 2022 (LG Berlin)

Mitteilungspflicht bei verständigungsbezogenen Gesprächen.

§ 243 Abs. 4 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Oktober 2021 im Schuldspruch allein insoweit geändert, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in 14 Fällen statt in 17 Fällen schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geldfälschung, Betruges in 24 Fällen und wegen Urkundenfälschung in 17 Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Betrug oder Computerbetrug, in einem Fall in Tateinheit mit Computerbetrug und in weiterer Tateinheit mit versuchtem Computerbetrug, in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug oder versuchtem Computerbetrug, in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug und in einem Fall in Tateinheit mit Betrug oder Computerbetrug und in weiterer Tateinheit mit versuchtem Betrug oder Computerbetrug, verurteilt und Einziehungsentscheidungen getroffen.

Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine Verfahrensbeanstandung erhebt, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht zu Verständigungsgesprächen nach § 243 Abs. 4 StPO geltend gemacht wird, hat keinen Erfolg.

a) Sie knüpft daran an, dass vor der Hauptverhandlung in zwei Telefonaten zwischen dem Vorsitzenden der Strafkammer und dem Verteidiger die Möglichkeit einer Verständigung thematisiert wurde. Im ersten Telefonat fragte der Verteidiger an, ob für die Strafkammer eine Verständigung auf eine Bewährungsstrafe in Betracht komme. Hierzu holte der Vorsitzende eine schriftliche Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ein, in der diese sich unter bestimmten Voraussetzungen für eine derartige Verständigung offen zeigte. In einem Vermerk legte der Vorsitzende sodann nieder, dass die Kammer voraussichtlich keinen Verständigungsvorschlag mit einer Strafobergrenze von zwei Jahren unterbreiten werde. Vielmehr komme in Betracht, dass sie für den Fall eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen zwei Jahren neun Monaten und drei Jahren drei Monaten vorschlagen werde. Welchen genauen Verständigungsvorschlag die Kammer unterbreiten werde, stehe dabei ohnehin unter dem Vorbehalt der Beratung mit den Schöffen. Über den Inhalt dieses Vermerks setzte der Vorsitzende den Verteidiger im zweiten Telefonat in Kenntnis. Über beide Telefonate fertigte der Vorsitzende weitere Vermerke. Sämtliche Vermerke des Vorsitzenden und die eingeholte Stellungnahme der Staatsanwaltschaft wurden zu Beginn der Hauptverhandlung verlesen, woraufhin die Verteidigung erklärte, dass sie im Hinblick auf die verlesenen Vermerke kein Interesse an einem Verständigungsvorschlag habe. Einen Verständigungsvorschlag unterbreitete die Strafkammer in der Hauptverhandlung nicht.

b) Die Revision bemängelt, dass die Reaktionen sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Verteidigers auf die geäußerte Strafmaßvorstellung der Strafkammer „nirgendwo protokolliert worden“ seien. Darüber hinaus sei nicht bekanntgegeben worden, ob es die „angekündigte“ Beratung mit den Schöffen gegeben habe und zu welchem Ergebnis diese gekommen seien.

c) Dieser Vortrag zeigt keinen Rechtsfehler auf. Vielmehr sind sämtliche nach § 243 Abs. 4 StPO erforderlichen Mitteilungen erfolgt. Reaktionen von Verfahrensbeteiligten, die eine weitergehende Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO erfordert hätten, sind nicht ersichtlich: Dass die Staatsanwaltschaft sich nach ihrer schriftlichen Stellungnahme nochmals zur Frage einer Verständigung oder zur Ankündigung des Vorsitzenden verhalten hätte, ergibt sich aus dem Vortrag der Revision nicht. Zur Reaktion des Verteidigers ist dem hierzu durch die Revision vorgelegten Gesprächsvermerk zum zweiten Telefonat mit dem Vorsitzenden nur der anwaltliche Verweis darauf zu entnehmen, dass die momentan vorgesehenen zwei Verhandlungstermine dann kaum ausreichend sein dürften. Zudem warf er die Frage auf, wie verfahren werden solle, sollte der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Eine inhaltliche Positionierung zu einem Verständigungsvorschlag enthalten diese Äußerungen nicht. Für eine Mitteilung über eine etwaige Besprechung mit den Schöffen bestand schon deshalb kein Anlass, weil sich § 243 Abs. 4 StPO auf Erörterungen zwischen dem Gericht und anderen Verfahrensbeteiligten bezieht, nicht auf die Aussprache innerhalb des Spruchkörpers, zumal da weder vorgetragen ist noch angesichts des geschilderten Verfahrensablaufs naheliegt, dass eine solche Besprechung mit den Schöffen überhaupt stattgefunden hat.

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat ergeben, dass das Landgericht hinsichtlich der Fälle 1 bis 3 sowie 4 und 5 von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung ausgegangen ist, aus deren Korrektur die Änderung des Schuldspruchs und der Wegfall dreier Einzelstrafen resultieren, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts legte der Angeklagte in den Fällen 1 bis 3 in Filialen der Deutschen Post AG im sogenannten Postident-Verfahren jeweils denselben gefälschten niederländischen Personalausweis vor, um so bei verschiedenen Banken Girokonten auf die darin genannten, nicht existenten Personalien zu eröffnen. In den Fällen 4 und 5 verfuhr er entsprechend mit einem auf andere falsche Personendaten ausgestellten niederländischen Personalausweis. Beide Ausweise hatte der Angeklagte zuvor über das Internet bestellt. Nachdem sie jeweils mit seinem Passbild versehen waren, für ihn also eigens angefertigt wurden, liegt in seinen Bestellungen jeweils eine Anstiftung zur Herstellung einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 1. Alt. StGB) durch den unbekannten Verkäufer der Ausweise. Das - auch mehrfache - plangemäße Gebrauchen einer unechten Urkunde (§ 267 Abs. 1 3. Alt. StGB) bildet mit der vorangegangenen Anstiftung zu ihrer Herstellung aber ebenso eine Tat wie mit einer Herstellung durch den Täter selbst (vgl. MüKoStGB/Erb, 4. Aufl., § 267 Rn. 217, 219), so dass sich der Angeklagte in den Fällen 1 bis 3 ebenso wie in den Fällen 4 und 5 jeweils nur einer Tat der Urkundenfälschung schuldig gemacht hat.

Der Senat hat deshalb den Schuldspruch wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich geändert. Die Regelung des § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Die Änderung des Schuldspruchs hat den Wegfall der in den Fällen 2, 3 und 5 verhängten Einzelfreiheitsstrafen von zweimal zehn und einmal acht Monaten zur Folge. Der Senat setzt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO für die Fälle 1 bis 3 die im Fall 1 verhängte Strafe sowie für die Fälle 4 und 5 die im Fall 4 verhängte Strafe als neue Einzelstrafe fest, weil auszuschließen ist, dass das Landgericht bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte. Der Gesamtstrafausspruch wird hierdurch nicht berührt. Angesichts der Einsatzstrafe in Höhe von einem Jahr und zehn Monaten Freiheitsstrafe sowie der verbleibenden 39 Einzelfreiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und zwei Monaten ist auszuschließen, dass das Landgericht allein aufgrund der geänderten Konkurrenzverhältnisse und des Wegfalls dreier Einzelstrafen auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine unterschiedliche konkurrenzrechtliche Beurteilung bei - wie hier - unverändertem Schuldumfang regelmäßig kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2020 - 3 StR 91/20 Rn. 9 mwN).

3. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 786

Bearbeiter: Christian Becker