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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 775

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 91/20, Beschluss v. 28.04.2020, HRRS 2020 Nr. 775


BGH 3 StR 91/20 - Beschluss vom 28. April 2020 (LG Kleve)

Tateinheit durch Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln.

§ 52 StGB; § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Die für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände kann auch bei Betäubungsmittelstraftaten in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen gesehen werden. Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG sind aber nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der auswärtigen großen Jugendkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 20. Mai 2019 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen schuldig ist.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, eine Einziehungsentscheidung getroffen und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Beschwerdeführers, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs; im Übrigen erweist sie sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils hat ergeben, dass das Landgericht hinsichtlich der beiden Taten vom 4. und 8. Oktober 2018 (dargestellt unter II. der Urteilsgründe) von einer unzutreffenden konkurrenzrechtlichen Einordnung ausgegangen ist, aus deren Korrektur die Änderung des Schuldspruchs und der Wegfall einer Einzelstrafe resultieren; im Übrigen hat sie keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen lassen.

a) Soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte handelte im Tatzeitraum von Juli 2018 bis zum 8. Oktober 2018 mit Marihuana, Amphetamin und Ecstasy. Er lieferte dem Mitangeklagten in sieben Fällen jeweils 50 g Marihuana, 50 g Amphetamin und 20 Ecstasytabletten; der Mitangeklagte konsumierte einen Teil der Drogen selbst und verkaufte den Rest zu höheren Preisen weiter. Bei der siebten Lieferung am 4. Oktober 2018 zahlte der Mitangeklagte nicht sofort. Erst am 8. Oktober 2018 übergab er einen Teilbetrag des vereinbarten Kaufpreises in Höhe von 310 € an den Angeklagten, als dieser - nach telefonischer Bestellung weiterer Drogen - erneut die Wohnung des Mitangeklagten aufsuchte und ihm insgesamt 159,83 g Amphetamin sowie 403 Ecstasytabletten zur Zwischenlagerung und zum Weiterverkauf überbrachte. Noch bevor weiter über die Verkaufsmodalitäten gesprochen wurde, erschienen Polizeibeamte zur Durchsuchung bei dem Mitangeklagten und stellten die Betäubungsmittel sicher.

b) Das Landgericht hat das festgestellte Geschehen als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen gewürdigt und ist davon ausgegangen, dass auch die Taten vom 4. und 8. Oktober 2018 in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen.

Allerdings kann die für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände allein in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen gesehen werden; dies gilt auch im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 16; vom 11. November 1976 - 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66 f.). Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG sind aber nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 20; vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19, juris Rn. 8 f.; jeweils mwN).

Nach diesen Grundsätzen stehen die aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäfte vom 4. und 8. Oktober 2018 in (gleichartiger) Tateinheit. Das Aufsuchen des Abnehmers zur Entgegennahme des Kaufpreises aus der früheren Lieferung und zum Anbieten und Übergeben einer neuen Rauschgiftmenge diente als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften und stellte sich als teilidentische Ausführungshandlung und damit als „dieselbe Handlung“ im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB dar.

2. Der Schuldspruch war deshalb wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der für die Tat vom 4. Oktober 2018 verhängten Einzelstrafe. Der Senat setzt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die für die Tat vom 8. Oktober 2018 verhängte Strafe als neue Einzelstrafe fest, weil auszuschließen ist, dass das Landgericht für das Geschehen am 4. und 8. Oktober 2018 bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung eine niedrigere Einzelstrafe festgesetzt hätte. Der Strafausspruch über die Gesamtstrafe wird hierdurch nicht berührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht allein aufgrund der geänderten Konkurrenzverhältnisse und des Wegfalls einer Einzelstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, zumal eine unterschiedliche konkurrenzrechtliche Beurteilung bei - wie hier - unverändertem Schuldumfang regelmäßig kein maßgebliches Kriterium für die Strafbemessung ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2018 - 3 StR 82/18, juris Rn. 10 mwN).

4. Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 775

Bearbeiter: Christian Becker