HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 784
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 29/22, Urteil v. 20.07.2022, HRRS 2022 Nr. 784
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 5. November 2021 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 55.000 Euro angeordnet. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich ausschließlich gegen den Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Angeklagte entschloss sich spätestens im Frühjahr 2020, seinen Lebensunterhalt durch den fortlaufenden und gewinnbringenden Verkauf von Betäubungsmitteln zu bestreiten. Für die Drogengeschäfte nutzte er ein Encrochat-Mobiltelefon, das ihm einer seiner Handelspartner kostenfrei überlassen hatte. Er beging folgende Taten:
Im Zeitraum ab dem 4. April 2020 verkaufte er verschiedenen Abnehmern für insgesamt 35.250 Euro 9 Gramm LSD mit einer Wirkstoffmenge von 2,7 Gramm, die er für 27.200 Euro von einem „Brasilianer“ erworben hatte (Tat 1).
Spätestens Anfang April 2020 hielt der Angeklagte 1.500 Gramm Marihuana „Critical“ mit einem THC-Anteil von 211,5 Gramm, 700 Gramm Marihuana „Haze“ mit einem THC-Anteil von 98,7 Gramm, 300 Gramm Haschisch mit einem THC-Anteil von 30 Gramm, 1.000 Gramm Amphetamin mit 100 Gramm Amphetaminbase und 50 Gramm Kokain mit einem CHC-Anteil von 35 Gramm vorrätig. 50 Gramm Marihuana „Haze“ und 50 Gramm Haschisch überließ er dem Halter des Bunkers als Gegenleistung für dessen Nutzung. Die restlichen Betäubungsmittel verkaufte er für insgesamt 15.520 Euro (Tat 2).
Am 6. April 2020 erwarb der Angeklagte 500 Gramm Haschisch mit einem THC-Anteil von 50 Gramm. 50 Gramm hiervon überließ er dem Halter des Bunkers als Gegenleistung für dessen Nutzung. Den Rest verkaufte er für insgesamt 2.205 Euro (Tat 3).
Am 21. April 2020 kaufte der Angeklagte 50 Gramm Kokain mit einem CHC-Anteil von 35 Gramm. 5 Gramm hiervon überließ er dem Halter des Bunkers als Gegenleistung für dessen Nutzung. Den Rest verkaufte er für insgesamt 2.025 Euro (Tat 4).
2. Das Landgericht hat die Taten rechtlich als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewürdigt (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Die Strafen hat es in einem Fall (Tat 3) dem Ausnahmestrafrahmen für minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 BtMG, im Übrigen jeweils dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten (Tat 1), zwei Jahren (Tat 2), einem Jahr (Tat 3) sowie einem Jahr und sechs Monaten (Tat 4) verhängt. Daraus hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet. Hinsichtlich des Taterlöses von insgesamt 55.000 Euro hat das Landgericht eine Einziehungsanordnung nach §§ 73, 73c StGB getroffen.
Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit entfernt, dass sie sich nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht zustehenden Spielraums bewegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist daher ausgeschlossen. Das Revisionsgericht muss die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20 mwN).
Dies gilt in gleicher Weise für die Bildung der Gesamtstrafe (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2022 - 5 StR 369/21).
2. Daran gemessen weist die Strafzumessung weder zugunsten noch zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten Rechtsfehler auf.
a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist dem Landgericht bei der „Bewertung des Einlassungsverhaltens“ kein Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten unterlaufen.
Das Landgericht hat strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits vor Prozessbeginn ein umfassendes Geständnis abgelegt und dieses in der Hauptverhandlung wiederholt hat. Angesichts der damals noch nicht geklärten Rechtsfrage der Verwertbarkeit von Encrochat-Daten hat es die geständigen Angaben als nicht „nur taktisch motiviert“ bewertet, sondern als „besonders werthaltig“ und von aufrichtiger Reue getragen. Hiergegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Denn das Landgericht hat mit diesen Erwägungen lediglich begründet, weshalb es dem (frühzeitigen) Geständnis trotz gewichtiger belastender Beweismittel ein ungemindertes strafmilderndes Gewicht beigemessen hat (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2017 - 4 StR 481/16, NStZ-RR 2017, 105, 106). Weil das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer auf einem echten Reue- und Schuldgefühl beruhenden Einlassung ausgegangen ist, hindert auch der Umstand, dass der Angeklagte die Qualität des gehandelten LSD relativiert hat, nicht, das Geständnis als „werthaltig“ zu bewerten und ihm daher eine erhebliche strafmildernde Bedeutung beizumessen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 2 StR 589/18).
Die vom Landgericht vorgenommene Gewichtung des strafmildernden Gehalts des Geständnisses hält sich im Rahmen des tatgerichtlichen Ermessens und weist daher keinen Rechtsfehler auf.
b) Anders als der Generalbundesanwalt meint, stellt es keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht die festgestellte gewerbsmäßige Tatbegehung nicht als bestimmenden Strafzumessungsumstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zulasten des Angeklagten berücksichtigt hat.
Zwar kann die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - 3 StR 319/20; Urteil vom 10. November 2021 - 2 StR 433/20). Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt auch insofern: Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, entscheidet das Tatgericht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2021 - 6 StR 127/21). Eine strafzumessungsrechtlich beachtliche Lücke deckt die Revision nicht auf (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 Rn. 55 [in NJW 2021, 2813 nicht abgedruckt]; vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).
c) Im Übrigen setzt die Beschwerdeführerin lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts; dies ist revisionsrechtlich unbehelflich. Entgegen der Revision sind weder die Einzelstrafen noch die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar niedrig.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 784
Bearbeiter: Christian Becker