HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1154
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 169/22, Beschluss v. 30.08.2022, HRRS 2022 Nr. 1154
Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 19. November 2021 werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung mit Todesfolge sowie wegen Unterschlagung und Computerbetrugs zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Das mit der Sachrüge geführte Rechtsmittel des Nebenklägers ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Revision des Nebenklägers ist unzulässig.
Gemäß § 400 Abs. 1 StPO kann der Nebenkläger ein Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt. Die Begründung seiner Revision muss daher erkennen lassen, dass er mit dem Rechtsmittel ein zulässiges Ziel verfolgt, also einen bisher unterbliebenen Schuldspruch des Angeklagten (auch) wegen einer Straftat, welche die Berechtigung zum Anschluss an das Verfahren begründet; wird eine derartige Präzisierung bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist nicht vorgenommen, ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2021 - 3 StR 450/20 mwN).
So liegt es hier. Der Nebenkläger hat lediglich die allgemeine Sachrüge erhoben und nähere Ausführungen vermissen lassen. Eine von ihm möglicherweise erstrebte Anwendung von allgemeinem Strafrecht auf den Angeklagten betrifft lediglich den Rechtsfolgenausspruch. Mit diesem Anfechtungsziel wäre der Nebenkläger ausgeschlossen.
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.
Der Senat bemerkt ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:
a) Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, das Landgericht habe die Hauptverhandlung wegen der (zeitweiligen) Erkrankung der eingearbeiteten Pflichtverteidigerin rechtsfehlerhaft nicht nach § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO ausgesetzt, sondern gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO für einen von sieben Hauptverhandlungstagen dem Angeklagten einen anderen Rechtsanwalt als notwendigen Verteidiger bestellt, entspricht die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Die Stoßrichtung der Rüge ist allerdings hinreichend bestimmt. Dem Revisionsvortrag ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung im Sinne des § 338 Nr. 8 StPO rügt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - 2 StR 113/13, BGHSt 58, 296, 300). Zwar bezeichnet der Beschwerdeführer diesen Revisionsgrund nicht ausdrücklich, sondern führt in der Überschrift zur Rüge den - angesichts der Anwesenheit des neu bestellten Verteidigers offensichtlich nicht gegebenen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 24. November 1999 - 3 StR 390/99, NStZ 2000, 212, 213) - Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO auf. Dies ist indes hier unschädlich. Denn es ist unwesentlich, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet; entscheidend ist ihre wirkliche rechtliche Bedeutung, wie sie dem Sinn und Zweck des Vorbringens zu entnehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 275; Beschluss vom 15. März 2007 - 4 StR 66/07 Rn. 3, NStZ-RR 2008, 2; KKStPO/Gericke, 8. Aufl., § 344 Rn. 34).
Die Rüge ist indes schon deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer keinen in der Hauptverhandlung ergangenen, auf die Beschränkung der Verteidigung durch die unterbliebene Aussetzung gerichteten Gerichtsbeschluss vorträgt (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 359; vom 10. April 1996 - 3 StR 557/95, NJW 1996, 2383, 2384; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 338 Rn. 60). Der bloße Verweis auf das Sitzungsprotokoll genügt nicht (vgl. KKStPO/Gericke aaO Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt aaO, § 344 Rn. 21). Zudem trägt der Beschwerdeführer keine Umstände vor, aus denen sich die Möglichkeit eines konkret-kausalen Zusammenhangs zwischen dem behaupteten Verfahrensfehler und dem Urteil ergibt. Hierzu wäre er aber nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet gewesen, weil es für einen Verstoß gegen § 338 Nr. 8 StPO nicht genügt, wenn die Beschränkung der Verteidigung nur generell (abstrakt) geeignet ist, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteile vom 23. April 1998 - 4 StR 57/98, BGHSt 44, 82, 90; vom 24. November 1999 - 3 StR 390/99, NStZ 2000, 212, 213). Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer keine konkreten Tatsachen vorträgt, die dem Senat die Prüfung ermöglichen, ob dem Tatgericht bei der in seinem pflichtgemäßen Ermessen stehenden Entscheidung über eine Aussetzung des Verfahrens nach § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - 2 StR 113/13, BGHSt 58, 296, 298 f.). Dem Vorbringen ist schon nicht zu entnehmen, wann die ursprünglich als Pflichtverteidigerin bestellte Rechtsanwältin ihre krankheitsbedingte Verhinderung mitgeteilt hat und ob die Mitteilung mit einem Hinweis über Art und Dauer der Erkrankung verbunden war. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um abschätzen zu können, ob die Hautpverhandlung innerhalb der Frist des § 229 Abs. 1 StPO mit der ursprünglichen Pflichtverteidigerin hätte fortgesetzt werden können. Hierzu war außerdem von Bedeutung, ob zwischen der Verteidigung und dem Gericht Gespräche über das für den betreffenden Verhandlungstag vorgesehene Beweisprogramm sowie die insoweit für eine sachgerechte und angemessene Verteidigung erforderliche Aktenkenntnis des für diesen Termin bestellten Pflichtverteidigers stattgefunden hatten (vgl. BGH aaO, 299 ff.; Beschluss vom 12. Oktober 1999 - 4 StR 391/99). Aufgrund des mit der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft vorgelegten Protokolls des betreffenden Hauptverhandlungstages hatte zu solchem Vortrag Anlass bestanden.
Eine Rüge mit der Stoßrichtung einer Verletzung des § 145 Abs. 3 StPO hat der Beschwerdeführer nicht erhoben.
b) Soweit der Beschwerdeführer beantstandet, dass fünf von sechs Durchsuchungen seiner Wohnung nach § 102 StPO (Durchsuchungen am 13., 14. und 18. Dezember 2020 sowie am 11. und 17. Februar 2021) ohne nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderliche richterliche Anordnungen durchgeführt worden und die daraus erlangten Beweise deswegen unverwertbar seien, entspricht die Rüge ebenfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Dies folgt schon daraus, dass der Beschwerdeführer weder die polizeilichen Durchsuchungsberichte noch die Sicherstellungsprotokolle mitgeteilt hat. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob bei diesen Durchsuchungen Beweise erlangt und diese gegebenenfalls vom Landgericht im Urteil verwertet wurden. Auf diesen Vortrag durfte der Beschwerdeführer nicht verzichten, da er hinsichtlich der Beweise, die auf Grundlage der vom Ermittlungsrichter mündlich angeordneten Durchsuchung am 12. Dezember 2020 erlangt worden waren, kein Beweisverwertungsverbot behauptet (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer mündlichen richterlichen Anordnung BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2007 - 2 BvR 2267/06; BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 295). Zudem kann der Senat ohne diese Unterlagen nicht überprüfen, ob es sich im Hinblick auf den zeitlichen Zusammenhang der Maßnahmen im Dezember 2020 mit der richterlich angeordneten Durchsuchung vom 12. Dezember 2020 um eigenständige Ermittlungshandlungen oder lediglich um eine Fortsetzung einer einheitlichen Durchsuchung handelte (vgl. zur Beendigung einer Durchsuchungsmaßnahme BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2004 - 2 BvR 1687/02, StV 2004, 633, 634; BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2020 - 4 StR 15/20, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 2; vom 3. August 1995 - StB 33/95, NJW 1995, 3397). Hinsichtlich der Maßnahmen im Februar 2021 ist das Revisionsvorbringen darüber hinaus unvollständig, weil es den richterlichen Durchsuchungsbeschluss vom 22. Januar 2021 verschweigt.
c) Soweit der Beschwerdeführer mit der Sachrüge beanstandet, dass das Landgericht das - im Urteil rechtsfehlerfrei als Spurenbeseitigung bewertete - Säubern und Entkleiden des getöteten Opfers nicht als „mögliche Form der Reue“ bei der Strafzumessung erörtert hat, geht er fehl. Es beschwert ihn auch nicht, dass das Landgericht bei der Bestimmung der Jugendstrafe den eine Höchststrafe von 15 Jahren vorsehenden Strafrahmen des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG nicht erkennbar in den Blick genommen hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1154
Bearbeiter: Christian Becker