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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 793

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 160/22, Urteil v. 20.07.2022, HRRS 2022 Nr. 793


BGH 5 StR 160/22 - Urteil vom 20. Juli 2022 (LG Flensburg)

Strafzumessung beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (strafschärfende Berücksichtigung der Gewerbsmäßigkeit; Zuständigkeit des Tatgerichts; keine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen; Einzelfall).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 46 StGB; § 267 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) kann im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden. Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt insofern (allgemeinen Grundsätzen entsprechend, vgl. zuletzt BGH HRRS 2022 Nr. 646): Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, entscheidet das Tatgericht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls.

Entscheidungstenor

Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 8. Dezember 2021 werden verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 27 Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat die Strafkammer die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 105.490 Euro angeordnet. Der Angeklagte wendet sich mit der Sachrüge gegen seine Verurteilung. Die ebenfalls mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich allein gegen den Strafausspruch. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte fasste im Zeitraum vor dem 3. April 2020 den Plan, durch Geschäfte mit Marihuana und Haschisch Geld zu verdienen. Zu diesem Zweck erwarb er ein für den Messengerdienst EncroChat vorgesehenes Mobiltelefon mit der Benutzerkennung „f. “, um es für die Betäubungsmittelgeschäfte zu nutzen.

Sodann erwarb der Angeklagte in elf Fällen (Taten zu 1., 2., 10., 13., 16., 18., 19., 20., 23., 27. und 28.) Marihuana verschiedener Sorten mit einem Wirkstoffgehalt von 14,1 Prozent THC, um dieses gewinnbringend weiter zu verkaufen, was er jeweils auch tat. Dabei erzielte er einen Gewinn von 100 Euro, in einem Fall von 200 Euro pro Kilogramm, wobei die Handelsmenge jeweils ein oder zwei Kilogramm Marihuana umfasste, im Fall zu 28. lediglich 500 Gramm. In einem weiteren Fall (Tat zu 12.) erwarb er zwei Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 20,7 Prozent THC, das er wie von Anfang an beabsichtigt mit einem Gewinn von 100 Euro pro Kilogramm weiterverkaufte.

Über seinen ursprünglichen Plan hinausgehend vermittelte der Angeklagte in acht Fällen (Taten zu 4., 5., 6., 9., 11., 15., 21. und 26.) für die EncroChat-Nutzer „s.“ und „n. “, die nicht in direktem Kontakt miteinander standen, Amphetamingeschäfte. Dabei nahm er von dem jeweiligen Verkäufer das Amphetamin entgegen und gab es an den jeweiligen Käufer weiter; das von diesem entrichtete Geld transportierte er in umgekehrter Richtung. Für seine Tätigkeit erhielt der Angeklagte in jedem Fall eine Entlohnung von 100 Euro pro Kilogramm Amphetamin, wobei die Handelsmenge zwischen einem und zehn Kilogramm variierte. Das in gefrorenem oder jedenfalls gekühltem, sehr feuchtem Zustand gehandelte Amphetamin hatte in getrockneter Form - wobei mit der Trocknung ein Masseverlust von 50 Prozent gegenüber dem feuchten Zustand einhergeht - jeweils einen Wirkstoffgehalt von zwölf Prozent Amphetaminbase.

In einem weiteren Fall (Tat zu 8.) vermittelte der Angeklagte dem EncroChat-Nutzer „s.“ einen Fahrer für den Transport von zehn Kilogramm Amphetamin der genannten Qualität von H. nach F., ohne dafür eine Entlohnung in Geld zu erhalten.

Für einen Freund, der selbst keinen Zugang zum Messengerdienst EncroChat und keinen Kontakt zu Verkäufern hatte, erwarb der Angeklagte schließlich in sechs Fällen jeweils auf Anfrage Kokain (Taten zu 3., 7., 14., 17., 22. und 25.). Dabei nahm der Angeklagte das Kokain vom jeweiligen Verkäufer entgegen, bewahrte es erforderlichenfalls auf, bis sein Freund es entgegennehmen konnte, und gab das von diesem zur Bezahlung erhaltene Geld an den Verkäufer weiter. Der Freund veräußerte das Kokain teils weiter, teils konsumierte er es selbst. Für seine Tätigkeit erhielt der Angeklagte von seinem Freund einen Lohn von zwei Euro pro Gramm Kokain, wobei die gekaufte Menge zwischen 150 und 500 Gramm Kokain betrug. Das Kokain wies einen Wirkstoffgehalt von 89,3 Prozent, in einem Fall von 60 Prozent Cocainhydrochlorid auf. In einem letzten Fall (Tat zu 24.) vermittelte der Angeklagte für seinen Freund für gleichen Lohn einen Verkauf von 20 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 89,3 Prozent Cocainhydrochlorid an den Encro-ChatNutzer mit der Kennung „f. “.

2. Die Strafkammer hat die Taten rechtlich als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewürdigt (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG), die Tat zu 8. als Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Die Strafen hat sie dem Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und diesen im Fall zu 8. nach §§ 27, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Sie hat Einzelfreiheitsstrafen zwischen einem Jahr und einem Monat sowie drei Jahren und sechs Monaten verhängt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten gebildet.

II.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zu seinen Lasten ergeben.

III.

Die vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Sie ist auf den Strafausspruch beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin beantragt, das Urteil „im Rechtsfolgenausspruch“ aufzuheben. Hinsichtlich des Angriffsziels ist aber der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich, ausweislich derer die Staatsanwaltschaft ausschließlich die Strafzumessung beanstandet. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV versteht der Senat das Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft die Einziehungsentscheidung nicht angreifen will (vgl. hierzu nur BGH, Urteile vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201; vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9 (Gründe); vom 12. April 1989 - 3 StR 453/88 [in BGHSt 36, 167, nicht abgedruckt]).

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe so weit von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen. Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Die Bewertungsrichtung und das Gewicht der Strafzumessungstatsachen bestimmt in erster Linie das Tatgericht, dem hierbei von Rechts wegen ein weiter Entscheidungs- und Wertungsspielraum eröffnet ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201; vom 24. Juni 2021 - 5 StR 545/20 mwN).

2. Daran gemessen zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtsfehler zugunsten der Angeklagten auf.

a) So stellt es keinen Rechtsfehler dar, dass das Landgericht die sich aus den Feststellungen ergebende gewerbsmäßige Tatbegehung nicht als bestimmenden Strafzumessungsumstand im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zulasten des Angeklagten berücksichtigt hat.

Zwar kann die Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) im Rahmen der Strafzumessung innerhalb des Qualifikationstatbestandes des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG strafschärfend verwertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - 3 StR 319/20; Urteil vom 10. November 2021 - 2 StR 433/20). Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr gilt auch insofern: Das Tatgericht ist lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, entscheidet das Tatgericht unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2021 - 6 StR 127/21). Eine strafzumessungsrechtlich beachtliche Lücke zeigt die Revision nicht auf (vgl. BGH, Urteile vom 2. Juni 2021 - 3 StR 21/21 Rn. 55 [in NJW 2021, 2813 nicht abgedruckt]; vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).

b) Im Übrigen setzt die Beschwerdeführerin lediglich ihre eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts; dies ist revisionsrechtlich unbehelflich. Entgegen der Revision sind weder die Einzelstrafen noch die Gesamtfreiheitsstrafe unvertretbar niedrig.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 793

Bearbeiter: Christian Becker