HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 819
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 30/21, Beschluss v. 11.05.2021, HRRS 2021 Nr. 819
Auf die Revision des Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. September 2020, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
mit den Feststellungen zum subjektiven Tatbestand im Fall 4 der Urteilsgründe, soweit er wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und Amtsanmaßung verurteilt worden ist (Fälle 3 und 4 der Urteilsgründe), und
im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Auf die Revision des Angeklagten Sc. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, in der unter Ziffer 10 der Urteilsformel getroffenen Einziehungsentscheidung dahin abgeändert, dass gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 75.500 Euro als Gesamtschuldner angeordnet wird. 3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Der Angeklagte Sc. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 1 der Urteilsgründe), versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) sowie gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit versuchtem gewerbs- und bandenmäßigen Betrug und Amtsanmaßung (Fälle 3 und 4) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Den Angeklagten Sc. hat es wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 1) sowie wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) für schuldig befunden und eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Ferner hat das Landgericht Einziehungsentscheidungen getroffen. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg erzielen. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren relevant - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten schlossen sich mit anderen in der Türkei ansässigen Tätern zu einer Bande zusammen, um gewerbsmäßig Betrugstaten nach dem „Polizistentrick“ zu begehen. Der Angeklagte S. war „Logistiker“ und warb die nicht revidierende Mitangeklagte B. und durch Vermittlung des nicht revidierenden Bo. den Angeklagten Sc. als „Abholer“ an. S. überließ beiden „Abholern“ für die Kommunikation mit den anderen Beteiligten Mobiltelefone. Es kam zu vier Fällen:
Am 11. November 2019 holte Sc. auf telefonisches Geheiß eines unbekannten Mitglieds der Gruppe bei einem Geschädigten 80.000 Euro ab. Auf der Rückfahrt nahm er von der Beute 3.000 Euro an sich, um diese zusätzlich zu dem von ihm erwarteten Anteil zu behalten. Er übergab 77.000 Euro an Bo., der das Geld zu S. brachte. Dieser nahm eigenmächtig 5.000 Euro als eigenen Anteil und gab den Restbetrag an einen Vordermann weiter, der ihm als Lohn 500 Euro und jeweils 1.500 Euro für Sc. und Bo. aushändigte; S. reichte die Beträge an diese weiter. Sc. erwarb davon ein Mobiltelefon für 1.313,99 Euro und eine Jacke für 189,99 Euro.
Am 12. November 2019 wurde Sc. nach vorheriger Kontaktaufnahme mit S. und Bo. von einem unbekannten Mitglied der Gruppe aufgefordert, bei einer Person Gegenstände im Wert von etwa 50.000 Euro abzuholen. Die Abholung scheiterte, weil ein Bekannter des Opfers misstrauisch wurde und die Polizei verständigte. Die eintreffenden Beamten nahmen den am Treffpunkt der beabsichtigten Übergabe wartenden Sc. fest.
Als Ersatz für Sc. warb S. im Dezember 2019 die Nichtrevidentin B. an, erzählte ihr von der Enkeltrick-Methode, aber nicht davon, dass sich die Anrufer als Polizisten ausgaben. B. wurde Mitte Januar 2020 von S. darüber informiert, dass ein Auftrag bevorstehe und sie das von ihm zur Verfügung gestellte Mobiltelefon aktivieren solle. Sie wurde telefonisch von einem unbekannten Mitglied der Gruppe angewiesen, die Anschrift eines Ehepaares aufzusuchen. Der Polizei, die nach der Festnahme des Sc. die Telekommunikation der Gruppierung überwachte, gelang es, die Opfer von einer Übergabe abzuhalten. Ein ununterbrochen mit den Opfern telefonisch in Kontakt stehender Unbekannter konnte B. warnen.
Sie sah Ende Januar 2020 einen Fernsehbeitrag über die Betrugsmasche „Polizistentrick“ und erfuhr auf Nachfrage von S., dass sie an einem solchen Vorgehen beteiligt sei. Am 14. Februar 2020 wurde sie von einem unbekannten Mitglied der Gruppe zu einer Autobahnraststätte gelotst und holte dort die von einem Ehepaar an einem von ihr ausgesuchten Platz abgelegten 25.000 Euro ab. Die Polizei überwachte das Geschehen und nahm B. fest.
Das Landgericht hat hinsichtlich des Angeklagten Sc. in zwei (Fälle 1 und 2) und des Angeklagten S. in allen vier Betrugsfällen sowie bei den hierzu jeweils in Tateinheit stehenden Amtsanmaßungen eine Tatbeteiligung als Mittäter angenommen. Bei S. ist es in den Fällen 3 und 4 wegen einer verbindenden Fortwirkung der Anwerbung der nichtrevidierenden B. von einer Bewertungseinheit und damit Tateinheit ausgegangen.
1. Revision des Angeklagten S.
Während die nicht ausgeführte Verfahrensrüge unzulässig ist, führt die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils zur teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs sowie zum Wegfall der zugehörigen Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
a) Die Verurteilung in den Fällen 1, 2 und 3 wegen (versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung hält rechtlicher Prüfung stand. Die Annahme der Mitgliedschaft des Angeklagten in einer Bande und der Begehung von Bandentaten begegnet keinen Bedenken. Auch die hierzu jeweils vom Landgericht angenommene tateinheitlich als Mittäter begangene Amtsanmaßung wird von den Feststellungen getragen.
Zwar ist der Angeklagte den Geschädigten gegenüber nicht als Polizist in Erscheinung getreten. Die Anrufer aus der Türkei gaben sich aber als Polizisten aus und forderten die Geschädigten zur Herausgabe von Wertsachen zwecks Sicherstellung durch Polizeibeamte auf, so dass eine Amtsanmaßung durch die Anrufer vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2019 - 5 StR 51/19). Dieses Handeln muss sich der Angeklagte nach den Grundsätzen der Mittäterschaft zurechnen lassen. Denn bei einer Tat nach § 132 Alt. 1 StGB ist eine Begehung in Mittäterschaft möglich; es handelt sich nicht um ein „eigenhändiges Delikt“ (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 37/20, BGHSt 64, 314, 316). Das Vorliegen von Mittäterschaft hat das Tatgericht aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen. Hierfür sind maßgeblich der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 28. April 2020 - 3 StR 85/20; vom 21. April 2020 - 4 StR 287/19).
Danach ist die Annahme einer Mittäterschaft nicht zu beanstanden. Nach den Urteilsfeststellungen fügten sich die Beiträge des Angeklagten in das gemeinsame Handeln aller anderen Beteiligten so ein, dass die jeweils in dem Vortäuschen einer polizeilichen Tätigkeit liegende Amtsanmaßung in den (versuchten) Betrug münden konnte; ohne seine Handlungen war die den - beabsichtigten - Betrugstaten zeitlich vorgelagerte Amtsanmaßung ohne Nutzen. So hielt er Kontakt mit den Hinterleuten und war mit dem Anwerben der Abholer sowie dem Bereitstellen der Mobiltelefone maßgeblich für die Abholung der (erhofften) Beute verantwortlich. Er beschränkte sich jedoch nicht nur auf Handlungen im Vorfeld, sondern war bei der unmittelbaren Ausführung telefonischer Ansprechpartner für die Hinterleute in der Türkei und trug in den Fällen 2 und 3, als er Sc. bzw. B. jeweils veranlasste, ihre Mobiltelefone einzuschalten, entscheidend zum Fortgang der Taten bei. Seine hervorgehobene Stellung und sein hohes Eigeninteresse werden exemplarisch im Fall 1 deutlich, als er die Weiterleitung der Beute verantwortete und den ersten Zugriff auf die zu verteilende Beteiligung erhielt.
b) Demgegenüber kann im Fall 4 die Verurteilung wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung keinen Bestand haben.
Denn abweichend von den anderen Fällen ist hier nicht ersichtlich, dass der Angeklagte als Mittäter einen die konkrete Tatbegehung fördernden Beitrag leistete. Nach den bisherigen Feststellungen hatte der Angeklagte schon keine Kenntnis von dem Geschehen am 14. Februar 2020 und war auch sonst nicht in diese Tat eingebunden. Soweit das Landgericht hierzu als fortwirkenden Tatbeitrag auf die - sich bereits im Dezember 2019 zugetragene - Anwerbung der Nichtrevidentin B. rekurriert hat, rechtfertigt dies allein die Annahme einer Mittäterschaft nicht. Denn angesichts des Zeitablaufs und der Unkenntnis von der konkreten Tat fehlt es schon am Merkmal der Tatherrschaft. Ob das Handeln des Angeklagten die Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Beihilfe erfüllt, lässt sich anhand der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen.
c) Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 4 erfasst angesichts der konkurrenzrechtlichen Bewertung durch das Landgericht auch die für sich genommen - wie oben dargelegt - rechtsfehlerfreie Verurteilung im Fall 3 wegen versuchten gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung; die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, während zu Fall 4 lediglich die objektiven Feststellungen aufrechterhalten werden. Diese können ergänzt werden, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Das zur erneuten Entscheidung berufene neue Tatgericht erhält so die Gelegenheit, neben der Teilnahmeform im Fall 4 auch die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Fälle 3 und 4 zu prüfen.
Der mit der Aufhebung der Verurteilung im Fall 4 verbundene Wegfall der für die in Tateinheit stehenden Fälle 3 und 4 verhängten Einzelstrafe bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe. Die Feststellungen zum Strafausspruch sind davon allerdings nicht betroffen und können daher bestehen bleiben.
2. Revision des Angeklagten Sc.
a) Die Verurteilung in den Fällen 1 und 2 wegen (versuchten) gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in Tateinheit mit Amtsanmaßung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Feststellungen tragen die Annahme der Mitgliedschaft des Angeklagten in einer Bande, die Begehung von Bandentaten und die jeweils zu den Betrugshandlungen tateinheitlich als Mittäter begangene Amtsanmaßung.
Zwar ist der Angeklagte im Fall 2 dem Opfer gegenüber nicht als Polizist in Erscheinung getreten. Er muss sich aber - wie auch schon zum Angeklagten S. ausgeführt - das eine Amtsanmaßung ausfüllende Handeln der aus der Türkei agierenden Anrufer nach den Grundsätzen der Mittäterschaft zurechnen lassen. Im Rahmen der vom Tatgericht zur Beurteilung der Teilnahmeform vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Umstände hat das Landgericht rechtsfehlerfrei in den Blick genommen, dass erst durch den Tatbeitrag des Angeklagten Sc. die von den Hinterleuten aufgebaute Legende plausibel geworden wäre und angesichts seiner finanziellen Situation das in der Beutebeteiligung liegende Tatinteresse hoch war.
b) In entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ist die im Urteilstenor unter Ziffer 10 getroffene Einziehungsentscheidung abzuändern.
Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Einziehung betreffend den Angeklagten Sc. insgesamt auf mehr erstreckt, als dieser durch die Tat erlangte. Er hatte im Fall 1 zwar Verfügungsgewalt über 80.000 Euro und - nach Einbehalt von 3.000 Euro - 77.000 Euro an S. und Bo. weitergegeben. Der Angeklagte Sc. haftet indes als Gesamtschuldner nur in Höhe von 75.500 Euro. Denn von den erlangten 80.000 Euro sind die beim Angeklagten sichergestellten und eingezogenen 2.996,02 Euro (§ 73 Abs. 1 StGB; Ziffer 9 des Urteilstenors) ebenso abzuziehen wie das mit Mitteln aus seinem Beuteanteil erworbene Mobiltelefon und die Jacke im Gesamtwert von 1.503,98 Euro, die nach § 73 Abs. 3 Nr. 1 StGB eingezogen worden sind (Ziffer 9 des Urteilstenors).
c) Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs der Revision des Angeklagten Sc. ist es nicht unbillig, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
3. Der Senat kann jeweils die weitergehende Verwerfung der Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss aussprechen. Der Generalbundesanwalt hat entsprechende Anträge gestellt, jedoch mit der Maßgabe, die Schuldsprüche jeweils im Fall 2 in eine tateinheitliche Beihilfe zur Amtsanmaßung abzuändern. Die beantragten Schuldspruchänderungen stehen einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO nicht entgegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2021 - 3 StR 22/21; vom 9. April 2019 - 4 StR 461/18).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 819
Bearbeiter: Christian Becker