HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 557
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 153/21, Beschluss v. 02.02.2022, HRRS 2022 Nr. 557
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 2. November 2020, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Besitzes von Betäubungsmitteln und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die in allgemeiner Form erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
Das Rechtsmittel hat mit der Rüge Erfolg, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, § 338 Nr. 1 StPO.
1. Der Verfahrensbeanstandung liegt zugrunde:
Die Hauptverhandlung wurde mit drei Berufsrichtern, zwei Schöffinnen und einem Ergänzungsschöffen begonnen, dessen Einsatz nach § 192 Abs. 2, 3 GVG angeordnet worden war. Eine Schöffin kam am ersten Hauptverhandlungstag 45 Minuten zu spät, weil sie den Termin vergessen hatte. An einem der folgenden Hauptverhandlungstage bat sie die Vorsitzende der Strafkammer (im Folgenden: die Vorsitzende) um ein Gespräch, in dem sie um rechtliche Auskünfte für einen Nachbarn in einem möglichen Strafverfahren gegen diesen bat und von einer Schilderung des Falls nur schwer abzubringen war, obwohl die Vorsitzende sie mehrfach eindringlich darum bat, weil sie keine Rechtsberatung geben dürfe und wolle; außerdem könne es ja auch sein, dass sie für den Fall zuständig werden würde. Über diese Geschehnisse verfasste die Vorsitzende am 9. März 2020 einen Vermerk, nachdem sie kurz vorher drei Vermerke von anderen Richtern des Landgerichts erhalten hatte: Aus zwei Vermerken eines anderen Strafkammervorsitzenden - vom 2. und vom 6. März 2020 - ergab sich, dass die Schöffin in einem Verfahren vor jener Strafkammer, in dem es um den Vorwurf einer Vergewaltigung ging, geäußert habe, das vorliegende Verfahren gehe ihr nicht so nahe, weil hier der Angeklagte immer mit seinem Verteidiger rumsitze „und Bonbons fresse“. Außerdem stellte sich heraus, dass gegen die Schöffin ein Ermittlungsverfahren geführt wurde, in dem sie von der Rechtsanwältin verteidigt wurde, die in dem Vergewaltigungsverfahren vor der anderen Strafkammer die Nebenklage vertrat; mit dieser Rechtsanwältin besprach sich die Schöffin unmittelbar im Anschluss an den ersten Hauptverhandlungstermin, was bei der Verteidigerin in jenem Verfahren, der gegenüber sich die Schöffin „emotional aufgewühlt“ (…) gezeigt hatte, Anlass für die Prüfung gab, ob die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen sei. Die Recherchen der für Schöffen zuständigen Richterin ergaben ausweislich ihres Vermerks vom 5. März 2020, dass zwar ein Verfahren gegen die Schöffin anhängig war, dieses aber keinen Verbrechenstatbestand betraf und deshalb eine Streichung von der Schöffenliste nicht in Betracht kam.
Diese drei Vermerke und ihren eigenen vom 9. März 2020, der mit der Mitteilung endete, die Strafkammer prüfe „ein Vorgehen nach §§ 30, 31 StPO vom Amts wegen“, ließ die Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten übersenden und gab Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. März 2020. Innerhalb der Frist bat der Verteidiger des Angeklagten um weitere Aufklärung und beantragte, weil eine persönliche Besprechung und Beratung mit dem Angeklagten noch nicht möglich gewesen sei, Fristverlängerung dergestalt, dass der Hauptverhandlungstermin vom 13. März 2020 eine Stunde später beginnen solle, um eine Besprechung mit dem Angeklagten zu ermöglichen. Ein Befangenheitsgesuch gegen die Schöffin wurde von keiner Seite gestellt. Die Strafkammer entschied gleichwohl durch Beschluss vom 12. März 2020, dass die Schöffin „wegen Besorgnis der Befangenheit von Amts wegen von ihrer Mitwirkung als ehrenamtliche Richterin im vorliegenden Verfahren ausgeschlossen“ werde; aufgrund der in den Vermerken genannten Umstände sei nach § 24 Abs. 2 StPO „aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründet.“ Dieser Beschluss wurde im nächsten Hauptverhandlungstermin am 13. März 2020 bekannt gegeben und die neue Besetzung - nunmehr mit dem Ergänzungsschöffen - mitgeteilt. Der Verteidiger eines Mitangeklagten rügte daraufhin die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts, weil die Schöffin nach § 24 StPO nur auf Antrag eines Antragsberechtigten, nicht aber von Amts wegen nach den §§ 30, 31 StPO hätte ausgeschlossen werden könne. Diesem Einwand schloss sich der Verteidiger des Angeklagten an.
Nach einer etwa anderthalbstündigen Unterbrechung fragte die Vorsitzende, ob einer der Verfahrensbeteiligten von seinem Antragsrecht nach § 24 Abs. 3 StPO Gebrauch machen wolle, was die Verteidiger indes ablehnten. Die Staatsanwaltschaft beantragte nunmehr unter Berufung auf die Begründung des Gerichts, die Schöffin von der weiteren Mitwirkung auszuschließen; die Verteidigung beantragte, dieses Gesuch als verspätet zurückzuweisen. Am nächsten Hauptverhandlungstag, dem 20. März 2020, wies die Strafkammer einen Aussetzungsantrag der Verteidigung, der unter anderem auch mit der vorschriftswidrigen Besetzung begründet war, zurück und vertagte sich auf den 17. April 2020. Mit Beschluss vom 25. März 2020 entschied die Strafkammer, dem Besetzungseinwand nicht abzuhelfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen. Sie hielt sich für ordnungsgemäß besetzt, weil die Ablehnung eines Schöffen wegen Besorgnis der Befangenheit auch von Amts wegen geschehen könne; insoweit komme dem Gericht eine besondere Fürsorgepflicht zu. Zudem habe die Staatsanwaltschaft am 20. März 2020 (richtig: am 13. März 2020) den Ausschluss der Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit beantragt; dieses Gesuch sei zwar nicht unverzüglich nach Bekanntwerden der zugrundeliegenden Umstände gestellt worden, aber unverzüglich, nachdem „die Problematik der Antragsberechtigung und des Antragserfordernisses nach §§ 24, 30, 31 StPO erstmals erörtert worden“ war. Schließlich könne auch die dienstliche Erklärung der Schöffin als Selbstanzeige im Sinne von § 30 StPO angesehen werden.
Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen leitete die Sache an das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen weiter und beantragte festzustellen, dass die Strafkammer nicht ordnungsgemäß besetzt sei. Sie vertrat die Auffassung, die Besorgnis der Befangenheit könne nicht ohne Antrag eines Antragsberechtigten oder eine Selbstanzeige des betroffenen Richters von Amts wegen zu seinem Ausschluss führen. Das Befangenheitsgesuch der Staatsanwaltschaft vom 13. März 2020 sei nicht unverzüglich vorgebracht worden und damit verfristet; eine Selbstanzeige habe die Schöffin nicht abgegeben, vielmehr in ihrer dienstlichen Stellungnahme erklärt, sie fühle sich nicht befangen.
Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen verwarf den Besetzungseinwand mit Beschluss vom 14. April 2020 als unzulässig, weil er unstatthaft sei. Ein Besetzungseinwand sei nur auf eine Besetzungsmitteilung im Sinne von § 222a StPO zu erheben; bei einer nach dem Beginn der Hauptverhandlung eintretenden Besetzungsänderung sei aber keine neue Besetzungsmitteilung mehr zu machen, weil entweder das Verfahren auszusetzen oder aber mit den Ergänzungsrichtern fortzuführen sei, die bereits zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt werden müssten (§ 222a Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine erneute Besetzungsmitteilung sei hingegen nicht vorgesehen; an dieser Rechtslage habe sich auch durch die Neuregelung der §§ 222a, 222b StPO mit Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens nichts geändert. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht den Besetzungseinwand auch deshalb für unzulässig gehalten, weil dadurch die sich aus § 28 StPO ergebende Unanfechtbarkeit des Beschlusses der Strafkammer zum Ausschluss der Schöffin unterlaufen werde; schließlich sei der Besetzungseinwand auch nicht formgerecht ausgeführt.
2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben.
a) Dem steht nicht entgegen, dass das Oberlandesgericht den Besetzungseinwand verworfen hat. Zwar ist nach § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. b StPO eine Besetzungsrüge unter anderem dann präkludiert, wenn das Rechtsmittelgericht nach § 222b Abs. 3 StPO über einen Besetzungseinwand entschieden hat. Dies gilt aber nur in Fällen, in denen die Mitteilung der Besetzung nach § 222a StPO vorgeschrieben war und soweit - nach der Systematik der Präklusion, an der sich durch die Neuregelungen in §§ 222a und 222b, § 338 Nr. 1 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, S. 2121) nichts Grundsätzliches geändert hat (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 36; BeckOKStPO/Wiedner, § 338 Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 338 Rn. 16) - die Obliegenheit nach § 222b StPO zur Erhebung einer Besetzungsbeanstandung reicht.
Wie bisher gilt damit, dass bei Mängeln der Besetzung, die erst im Lauf der Hauptverhandlung auftreten, die Präklusionswirkung grundsätzlich nicht eintritt und insoweit ein Besetzungseinwand nicht zu erheben ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - 4 StR 657/98, BGHSt 44, 361, 364; Beschluss vom 8. Dezember 2004 - 3 StR 422/04; jeweils mwN). Ebenso wenig ist ein Besetzungseinwand erforderlich, wenn sich der Besetzungsmangel aus in der Person des Richters liegenden Tatsachen ergibt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 6. August 1987 - 4 StR 319/87, BGHSt 35, 28, 29; vom 17. Dezember 1987 - 4 StR 440/87, BGHSt 35, 164; jeweils mwN). Dementsprechend hat das Oberlandesgericht - sich nur auf den ersten Punkt stützend - im Ergebnis zutreffend über den Besetzungseinwand nicht in der Sache entschieden, sondern ihn als unstatthaft angesehen, weil der Anwendungsbereich des § 222b StPO nicht eröffnet war.
Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - nicht tragend - für den Fall des Eintritts oder Nichteintritts eines Ergänzungsrichters in das Quorum nach § 192 Abs. 2, 3 GVG erwogen worden ist, ob zum Erhalt der Revisionsrüge in entsprechender Anwendung von § 222b StPO oder in erweiternder Anwendung von § 238 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung ein Einwand erhoben werden müsse (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2008- 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99, 100; vom 8. Januar 2009 - 5 StR 537/08, NJW 2009, 931, 932), braucht der Senat diese Frage nicht zu vertiefen, weil vorliegend ein solcher Einwand tatsächlich erhoben worden ist. Selbst wenn ein solcher Einwand für die Zulässigkeit der Besetzungsrüge in der Revision zu fordern wäre, könnte seine Erhebung indes nicht dazu führen, dass auf einen nach §§ 222a und 222b StPO nicht erforderlichen und damit unstatthaften Besetzungseinwand das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO durchzuführen wäre und das Rechtsmittelgericht auch bei Verwerfung des Einwands als unstatthaft eine Entscheidung im Sinne von § 338 Nr. 1 Halbsatz 2 Buchst. b StPO träfe.
b) Der Zulässigkeit der Rüge steht - anders als das Oberlandesgericht gemeint hat - auch § 28 Abs. 1 StPO nicht entgegen. Nach dieser Regelung ist ein Beschluss, mit dem die Ablehnung eines Richters für begründet erklärt wird, zwar nicht anfechtbar; dies gilt in entsprechender Anwendung auch, wenn das Gericht nach §§ 30, 31 StPO auf die Selbstanzeige eines (ehrenamtlichen) Richters oder von Amts wegen entscheidet (BGH, Urteil vom 13. März 1962 - 5 StR 544/61, GA 1962, 338; LR/Siolek, StPO, 27. Aufl., § 30 Rn. 18 mwN). Anders liegt der Fall aber mit der Folge der Anfechtbarkeit, wenn die Anwendungsvoraussetzungen der Norm verkannt werden und so in objektiv willkürlicher Weise in die Gerichtsbesetzung eingegriffen wird (vgl. auch LR/Siolek, aaO, Rn. 21; MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, § 30 Rn. 8; jeweils mwN, die insoweit von einer Verletzung von § 16 Satz 2 GVG ausgehen). So verhält es sich hier:
Die Voraussetzungen des nach § 31 StPO auch für Schöffen geltenden § 30 StPO waren nicht gegeben. Nach dieser Norm ist ausweislich ihres eindeutigen Wortlauts zu entscheiden, wenn ein Ablehnungsgesuch nicht angebracht ist, aber entweder ein Richter von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderen Gründen Zweifel entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen ist. Von Amts wegen findet mithin eine Überprüfung nur hinsichtlich der gesetzlichen Ausschlussgründe nach §§ 22, 23 StPO statt (MüKoStPO/Conen/Tsambikakis, aaO, Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 30 Rn. 3).
Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter - wenn wie hier im Zeitpunkt der Entscheidung ein Ablehnungsgesuch eines Ablehnungsberechtigen im Sinne von § 24 Abs. 3 StPO nicht vorliegt - nur infolge einer Selbstanzeige nach § 30 StPO von der Mitwirkung ausgeschlossen werden; eine solche Selbstanzeige ist mithin Entscheidungsvoraussetzung (LR/Siolek, aaO, Rn. 21). Hier lag eine Selbstanzeige der Schöffin nicht vor; diese hatte vielmehr in ihrer Stellungnahme auf die Verfügung der Vorsitzenden vom 9. März 2020 lediglich mitgeteilt, dass das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren mit dem vorliegenden Strafverfahren nichts zu tun habe und sie sich nicht befangen fühle.
c) Die Rüge ist auch im Hinblick auf die Anforderungen von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben:
aa) Anders als das Oberlandesgericht angenommen hat, war bei Erhebung des Besetzungseinwands in der Hauptverhandlung weiterer Vortrag schon deshalb nicht erforderlich, weil ein Fall eines nach § 222b StPO zu erhebenden Besetzungseinwands gerade nicht vorlag. Im Übrigen hätte es hier über die - rechtlich zutreffende - Begründung hinaus, die Schöffin hätte wegen Besorgnis der Befangenheit nur auf Antrag eines Antragsberechtigten, nicht aber von Amts wegen ausgeschlossen werden dürfen, keines weiteren Tatsachenvortrags bedurft, weil damit alle entscheidungserheblichen Umstände dargelegt waren.
bb) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts war hier kein näherer Vortrag zum Schicksal eines von der Verteidigung wegen des Beschlusses vom 12. März 2020 gegen die Berufsrichter der Strafkammer angebrachten Befangenheitsgesuchs nötig, weil sich daraus für die erhobene Besetzungsrüge nichts ergibt.
cc) Schließlich war es auch nicht erforderlich, die dienstliche Stellungnahme der Schöffin im Wortlaut mitzuteilen. Ihr wesentlicher Inhalt ergab sich bereits aus dem mitgeteilten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und dem ebenfalls vollständig wiedergegebenen Beschluss des Oberlandesgerichts. Weiteres musste aus der Stellungnahme nicht vorgetragen werden, zumal da die Strafkammer sich in ihrem Beschluss zum Ausschluss der Schöffin auf diese Stellungnahme nicht gestützt hat. Insbesondere hat sie nicht darauf abgestellt, in der Stellungnahme könne eine Selbstanzeige zu sehen sein. Vielmehr ergibt sich aus der Verfügung der Vorsitzenden, mit der ihr Vermerk und die Vermerke des anderen Strafkammervorsitzenden an die Verfahrensbeteiligten gesandt wurden, dass die „Kammer […] ein Vorgehen nach §§ 30, 31 StPO von Amts wegen“ prüfe.
Erst weit nach Erlass des Beschlusses vom 12. März 2020 zog die Strafkammer in ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 25. März 2020 das - verspätete und damit unzulässige - Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft (vgl. unten unter 3.) und die dienstliche Stellungnahme der Schöffin heran, um deren Ausschluss mit einer weiteren Begründung zu rechtfertigen. Angesichts des Inhalts der dienstlichen Stellungnahme ist es aber schon nicht nachvollziehbar, warum darin eine Selbstanzeige zu sehen sein sollte.
3. Die Rüge hat aus den unter 2. b) genannten Gründen auch in der Sache Erfolg. Der Ausschluss der Schöffin war mangels Vorliegens der Entscheidungsvoraussetzungen der §§ 30, 31 StPO gesetzeswidrig und die Strafkammer mit dem Ergänzungsschöffen damit ab dem 13. März 2020 nicht mehr vorschriftsmäßig besetzt.
Das von der Staatsanwaltschaft am 13. März 2020 nachträglich gegen die Schöffin angebrachte Ablehnungsgesuch führt zu keiner anderen Beurteilung, denn dieses war nicht im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO unverzüglich geltend gemacht worden und damit unzulässig. Die Umstände, die nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft, der keine eigene Begründung enthielt, sondern lediglich auf die Gründe des bereits ergangenen Beschlusses der Strafkammer Bezug nahm, die Befangenheit der Schöffin begründen sollten, hatte die Vorsitzende den Verfahrensbeteiligten bereits mit Verfügung vom 9. März 2020 mitgeteilt und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 11. März 2020 gegeben. Angesichts dessen war die Stellung des Gesuchs erst im Hauptverhandlungstermin vom 13. März 2020, und dort auch erst nach der Mittagspause, nicht ohne schuldhaftes Zögern und damit verspätet (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 3. Februar 1982 - 2 StR 374/81, NStZ 1982, 291, 292). Der Umstand, dass erst in diesem Termin die - unzutreffende - Rechtauffassung der Strafkammer, sie könne die Schöffin auch ohne Befangenheitsgesuch eines Antragsberechtigten und ohne Selbstanzeige von Amts wegen von der weiteren Mitwirkung ausschließen, von der Verteidigung bezweifelt wurde, ändert daran nichts.
Da es sich bei der vorschriftswidrigen Besetzung nach § 338 Nr. 1 StPO um einen absoluten Revisionsgrund handelt, nötigt der Verfahrensfehler zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen, soweit es den Angeklagten betrifft, der dies als einziger gerügt hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 557
Bearbeiter: Christian Becker