HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 35
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 534/19, Urteil v. 25.11.2020, HRRS 2021 Nr. 35
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 16. Mai 2019 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
im Fall II.1 der Urteilsgründe,
im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
soweit das Landgericht von einer Einziehung des Wertes von Taterträgen abgesehen hat; insoweit bleiben die Feststellungen zu den Taterträgen in den Fällen II.2 bis II.7 der Urteilsgründe aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln, wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in sechs Fällen sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Von einer Einziehung von Taterträgen hat es abgesehen.
Die hiergegen mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts geführte und vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
Das Landgericht hat - soweit vorliegend von Bedeutung - folgende Feststellungen getroffen:
Aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem gesondert Verfolgten W. erzielte der Angeklagte aus dem Anbau von 60 in einem Growzelt in seiner Wohnung gezüchteten Cannabispflanzen ca. 200 Gramm Marihuana. Es bestand zum größeren Teil aus Blüten und diente überwiegend dem gewinnbringenden Weiterverkauf. Sie verkauften es in Portionen von je 25 Gramm zu einem Preis von 160 bis 180 Euro an verschiedene Abnehmer, um sich hierdurch eine nicht unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Das Landgericht konnte nicht feststellen, dass die Wirkstoffmenge den Grenzwert von 7,5 Gramm THC überschritt (Fall II.1 der Urteilsgründe).
Der Angeklagte und W. stellten in der Folge fest, dass sich der Verkauf des von ihnen selbst angebauten Marihuanas nicht lohnte, weil der Erlös nicht die Kosten deckte. Um weiterhin Einnahmen aus dem Handel mit Betäubungsmitteln zu erzielen, bezog W. überwiegend zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmtes Marihuana aus den Niederlanden und Spanien, von wo es in mehreren Lieferungen zu jeweils ca. einem Kilogramm geliefert und anschließend in der Wohnung des Angeklagten aufbewahrt wurde. Dort verkauften der Angeklagte und W. in der Regel auch die Drogen in Portionen zu je 25 Gramm. Bei einer Lieferung wurde dem Angeklagten zudem ein Kilogramm Amphetamin übergeben, welches in der gleichen Portionierung verkauft wurde. Die Erlöse aus den Geschäften leitete der Angeklagte an W. weiter, der zu diesem Zweck entsprechende Briefumschläge vorbereitet und beschriftet hatte. Von dem gelieferten Marihuana dienten dem Angeklagten jeweils 37,5 bis 40 Gramm zum Eigenkonsum (Fälle II.2 bis II.7 der Urteilsgründe).
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Verurteilung des Angeklagten im Fall II.1, die Gesamtstrafenbildung und die Entscheidung über eine Einziehung beschränkt.
Die Beschwerdeführerin hat zwar ihren Antrag so formuliert, dass sie die Aufhebung der Einzelstrafe zu Fall 1 der Anklage (entspricht Fall II.1), der Gesamtstrafe sowie die Entscheidung über die Einziehung des Taterlangten begehre. Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung (vgl. BGH, Urteile vom 22. Februar 2017 - 5 StR 545/16; vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 9; vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88) greift sie aber auch den Schuldspruch im Fall II.1 an. Denn aus ihren Ausführungen geht hervor, dass die Beschwerdeführerin durch Feststellung einer zu niedrigen Wirkstoffmenge der gehandelten Betäubungsmittel nicht lediglich den Schuldumfang des Angeklagten für betroffen hält. Sie wendet sich vielmehr auch dagegen, dass das Landgericht den Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht als erfüllt gesehen hat. Es kommt daher nicht darauf an, ob eine Beschränkung auf den Strafausspruch angesichts einer untrennbaren Verbindung zwischen Schuld- und Straffrage überhaupt wirksam gewesen wäre (vgl. dagegen BGH, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 3 StR 233/02).
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat im Ergebnis Erfolg.
1. Das Landgericht hat die Voraussetzungen der Vorschrift des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG rechtsfehlerhaft verneint, indem es von einem unzutreffenden rechtlichen Ansatz ausgegangen ist.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Aufzucht von Pflanzen zum Gewinnen von Rauschgift zur Abgrenzung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) auf den Umfang des geplanten Umsatzes an, auf welchen die Aufzucht gerichtet ist. Maßgeblich ist die Menge, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 2 StR 391/19; Urteile vom 1. August 2018 - 3 StR 651/17; vom 8 9 10 22. Dezember 2016 - 4 StR 360/16; vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 407/12, BGHSt 58, 99, 101 f.; Beschluss vom 21. Juli 2020 - 2 StR 187/20).
Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht verkannt, indem es auf die „verwahrte“ Menge Marihuana in Höhe von ca. 200 Gramm und damit nur auf das Resultat der Anbaubemühungen abgestellt hat. Infolgedessen hat es bei seiner Würdigung Umstände außer Betracht gelassen, die darauf hindeuten, dass vorliegend Handel mit einer nicht geringen Menge Marihuana getrieben werden sollte. Hierfür sprechen namentlich die mit 60 Exemplaren erhebliche Anzahl der gezüchteten Cannabispflanzen, der festgestellte beträchtliche Aufwand für den Anbau sowie Art und Umfang der Folgegeschäfte, die alle Betäubungsmittelmengen im Kilobereich betrafen.
Es kann daher offen bleiben, ob die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Wirkstoffgehalt der verwahrten Menge Marihuana tragfähig gewesen ist.
2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.1 erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln. Der damit verbundene Wegfall der Einzelstrafe in Fall II.1 bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe. Auf die von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen zur Gesamtstrafenbildung - insoweit hat der Generalbundesanwalt das Rechtsmittel mit zutreffenden Erwägungen nicht vertreten - kommt es daher nicht mehr an.
3. Auch die Nichtanordnung der Einziehung unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat die Voraussetzungen einer Einziehung nach § 73 Abs. 1, § 73c StGB verneint. Der Angeklagte habe die Taterträge nicht im Sinne der Vorschrift des § 73 Abs. 1 StGB erlangt, da er die Erlöse aus den Betäubungsmittelverkäufen lediglich kurzfristig und transitorisch erhalten habe, bevor er sie an W. weitergeleitet habe.
Dies trifft nicht zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vermögenswert im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann (BGH, Urteil vom 24. Mai 2018 - 5 StR 623/17 und 624/17). Faktische Verfügungsgewalt liegt jedenfalls dann vor, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19; Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20). Unerheblich ist dabei im Regelfall, ob das Erlangte beim Täter oder Teilnehmer verbleiben oder es von diesem absprachegemäß an einen anderen weitergegeben werden soll (BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 543/18, wistra 2019, 234).
Danach erlangte der Angeklagte Verfügungsgewalt über die Erlöse aus den Betäubungsmittelgeschäften. Die Geschäfte nahm er eigenverantwortlich oder gemeinsam mit W. in seiner Wohnung vor. Die erzielten Geldbeträge verblieben dort, bis W. sie abholte. Der Angeklagte hatte daher ungehinderten Zugriff auf das Geld. Dass W. ebenfalls einen Schlüssel zur Wohnung besaß, führt zu keiner anderen Beurteilung.
Ohne Bedeutung ist daher auch, ob - wie die Beschwerdeführerin meint - der Angeklagte darüber hinaus durch den Erlass von Schulden oder den Erhalt von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum etwas durch die Betäubungsmittelstraftaten erlangte.
4. Der Senat hat, soweit die Aufhebung reicht, die Feststellungen insgesamt aufgehoben. Im Fall II.1 sollen dem neuen Tatgericht so in sich stimmige Feststellungen ermöglicht werden; zur Einziehung ist dies geboten, weil der Angeklagte die unterbliebene Einziehung nicht mit einem Rechtsmittel angreifen konnte. Die Feststellungen zu den Taterträgen in den Fällen II.2 bis II.7 sind hingegen rechtsfehlerfrei getroffen und Bestandteil des insoweit rechtskräftigen Schuldspruchs. Sie bleiben deshalb bestehen und können durch weitere Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 35
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 553
Bearbeiter: Christian Becker