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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 604

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 513/19, Beschluss v. 15.04.2020, HRRS 2020 Nr. 604


BGH 5 StR 513/19 - Beschluss vom 15. April 2020 (LG Potsdam)

Vermögensschaden beim Betrug durch An- und Verkauf von Kraftfahrzeugen (objektiv-wirtschaftliche Betrachtung; Verkehrswert; Marktwert; Preis; funktionierender Markt; auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung); Einziehung von Taterträgen (Abzugsverbot; Erfüllung einer Verbindlichkeit; Rücktritt).

§ 263 StGB; § 73 StGB; § 73d StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Dem Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB liegt eine objektiv-wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde. Bei der Bestimmung des Schadens ist daher im rechtlichen Ausgangspunkt auf den objektiv zu verstehenden Verkehrs- oder Marktwert abzustellen.

2. Zwar kann innerhalb bestehender und funktionierender Märkte (hier beim Gebrauchtwagenhandel) der dem Vermögensschaden zugrunde zu legende Wert des betreffenden Kraftfahrzeugs allein mittels des zwischen den Parteien vereinbarten Preises bestimmt werden. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Denn angesichts der objektivwirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt eine an dem vereinbarten Preis orientierte Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, wonach - gemessen an einem von der Parteivereinbarung unabhängigen Marktwert - ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten H. T. wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 25. April 2019

dahin geändert, dass

der Angeklagte des Betruges in sechs Fällen, des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in fünf Fällen, des versuchten Betruges, der Urkundenfälschung in sechs Fällen und der Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen schuldig ist,

die Strafe in den Fällen 23, 25 und 27 jeweils auf sechs Monate festgesetzt wird,

aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist. 2. Auf die Revision des Angeklagten Z. T. wird das vorgenannte Urteil

dahin geändert, dass die Strafe im Fall 5 auf sechs Monate festgesetzt wird,

aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten H. T. wegen Betruges in sieben Fällen, Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen, versuchten Betruges in zwei Fällen, Urkundenfälschung in drei Fällen, Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug in drei Fällen und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen - unter Freisprechung im Übrigen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie den Angeklagten Z. T. wegen Betruges in sechs Fällen, versuchten Betruges und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer 1 Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die Angeklagten greifen das Urteil jeweils mit der Sachrüge an; der Angeklagte H. T. stützt seine Revision zudem auf die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verurteilung des Angeklagten H. T. in den Fällen 23, 25 und 27 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht ihn - jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung - wegen versuchten Betruges verurteilt hat.

a) Nach den Feststellungen eröffnete der Angeklagte unter Vorlage von gefälschten Personaldokumenten Konten bei drei verschiedenen Geldinstituten, über die er künftig Betrugstaten abwickeln wollte. Durch die Identitätstäuschung wollte er vermeiden, für die Kontoführungsgebühren in Anspruch genommen zu werden. Da das Landgericht deren etwaige Höhe nicht ermitteln konnte, hat es den Angeklagten insoweit wegen versuchten Betruges verurteilt.

b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zum einen fehlt es bereits an Feststellungen dazu, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe bei den betreffenden Banken Kontoführungsentgelte angefallen sind. Zudem finden der festgestellte Schädigungsvorsatz und die entsprechende Bereicherungsabsicht des Angeklagten keine tatsächliche Grundlage in der Beweiswürdigung. Ein entsprechender Tatentschluss versteht sich hier auch nicht von selbst. Denn derjenige, der wie der Angeklagte Konten für inkriminierte Geschäfte nutzen will, wird in der Regel auf Unauffälligkeit und daher auf eine automatische Verrechnung der Kontoführungsgebühren bedacht sein (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - 2 StR 83/19, StraFo 2020, 85 mwN).

Im Hinblick auf die eigentlich mit den Kontoeröffnungen verfolgten Ziele des Angeklagten schließt der Senat aus, dass weitergehende Feststellungen zu den subjektiven Merkmalen des § 263 StGB getroffen werden könnten. Er hat den Schuldspruch in den betreffenden Fällen daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO geändert und den Tenor unter Berücksichtigung eines - vom Landgericht selbst in den Urteilsgründen mitgeteilten - Tenorierungsversehens wie aus der Beschlussformel ersichtlich klargestellt.

c) Um jede Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, setzt der Senat die verhängten Einzelfreiheitsstrafen in diesen Fällen jeweils auf das gesetzliche Mindestmaß des rechtsfehlerfrei zugrunde gelegten Strafrahmens (§ 267 Abs. 3 StGB) von sechs Monaten fest. Angesichts der festgesetzten Einsatzstrafe von zwei Jahren und der weiteren rechtsfehlerfrei verhängten Strafen schließt der Senat indes aus, dass das Landgericht eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Angeklagten H. T. verhängt hätte.

2. Bei der Verurteilung des Angeklagten Z. T. wegen Betruges im Fall 5 ist das Landgericht von einem zu hohen Vermögensschaden ausgegangen. Der Strafausspruch kann daher keinen Bestand haben.

a) Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte einen Lastwagen zum Preis von 2.900 Euro, wobei er dem Erwerber die Mangelfreiheit des Fahrzeugs vorspiegelte. Nachdem dieser Mängel bereits am Tag der Übergabe bemerkt hatte, trat er vom Kaufvertrag zurück. Wie von Anfang an beabsichtigt, erstattete der Angeklagte die vereinnahmte Anzahlung von 1.725 Euro dem Käufer nicht zurück. Das Landgericht ist von einem Vermögensschaden in Höhe der geleisteten Anzahlung ausgegangen.

b) Die Bestimmung des Vermögensschadens hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht die dabei gebotene Gesamtsaldierung bezogen auf das Vermögen des Getäuschten nicht vorgenommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 4 StR 36/19, NStZ 2020, 157 mwN). Es hat nicht bedacht, dass der Vermögenseinbuße in Form der Anzahlung von 1.725 Euro der Erhalt eines zwar mangelhaften, aber nicht wertlosen Fahrzeugs gegenüberstand. Da der Senat indes ausschließen kann, dass die geleistete Zahlung durch den Wert des mangelhaften Fahrzeugs vollständig kompensiert wurde, wird der Schuldspruch durch den Rechtsfehler nicht berührt.

c) Der Strafausspruch kann hingegen keinen Bestand haben. Der Senat setzt die verhängte Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf das gesetzliche Mindestmaß von sechs Monaten herab (§ 263 Abs. 3 StGB). Angesichts der im Übrigen rechtsfehlerfrei verhängten Strafen schließt er jedoch aus, dass das Landgericht eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.

3. Auch in den Fällen betrügerisch erlangter Kraftfahrzeuge ist die Ermittlung des Vermögensschadens nicht durchweg frei von Rechtsfehlern.

a) Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Die als Gebrauchtwagenhändler tätigen Angeklagten erwarben - unabhängig voneinander - in insgesamt acht Fällen Kraftfahrzeuge von verschiedenen Verkäufern. Sie leisteten allenfalls Anzahlungen, ehe sie sich unter einem Vorwand die Fahrzeuge samt Schlüsseln und Fahrzeugpapieren herausgeben ließen. Wie von Anfang an geplant, zahlten sie weder den restlichen Kaufpreis noch gaben sie die Fahrzeuge zurück. Das Landgericht hat den Schaden der getäuschten Verkäufer in den ausstehenden Kaufpreiszahlungen gesehen und damit im Ausgangspunkt den vereinbarten Kaufpreis mit dem Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB gleichgesetzt.

b) Mit der ausnahmslosen Gleichsetzung von Kaufpreis und Schaden hat die Strafkammer einen rechtlich unzutreffenden Maßstab angelegt.

aa) Dem Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB liegt eine objektiv-wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde (vgl. BVerfGE 130, 1, 47 f.; BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95, 115 f.; BGH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13, BGHSt 60, 1, 10 f., jeweils mwN). Das Landgericht hätte daher bei der Bestimmung des Schadens im rechtlichen Ausgangspunkt auf den objektiv zu verstehenden Verkehrs- oder Marktwert der Fahrzeuge abstellen müssen. Zwar kann innerhalb bestehender und funktionierender Märkte - wie dies beim Gebrauchtwagenhandel der Fall ist - der dem Vermögensschaden zugrunde zu legende Wert des betreffenden Kraftfahrzeugs allein mittels des zwischen den Parteien vereinbarten Preises bestimmt werden. Dies gilt aber nicht ausnahmslos. Denn angesichts der objektivwirtschaftlichen Betrachtungsweise kommt eine an dem vereinbarten Preis orientierte Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn im Einzelfall Umstände vorliegen, wonach - gemessen an einem von der Parteivereinbarung unabhängigen Marktwert - ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 - 1 StR 435/15, BGHSt 61, 149, 156 f. mwN; Beschluss vom 23. Oktober 2019 - 1 StR 444/19).

bb) Gemessen daran ist die Schadensbestimmung auf der Grundlage des vereinbarten Kaufpreises im Fall 4 zu Ungunsten des Angeklagten Z. T. rechtsfehlerhaft. Denn in diesem Fall verkaufte der Angeklagte einen für 26.775 Euro erworbenen Radlader nur fünf Tage später für 11.305 Euro weiter, was nicht mehr ohne weiteres mit der bei dem Weiterverkauf betrügerisch erworbener Gegenstände üblicherweise anzunehmenden Preisspanne zu erklären ist.

c) Der Senat schließt gleichwohl aus, dass das Landgericht im Fall 4 auf eine niedrigere als die verhängte Strafe von einem Jahr und drei Monaten erkannt hätte, wenn es der Strafbemessung lediglich den Weiterverkaufspreis von 11.305 Euro abzüglich der geleisteten Anzahlung von 1.000 Euro als Mindestschaden zugrunde gelegt hätte. Denn es hat im Fall 2 bei einem Vermögensschaden von lediglich 5.400 Euro eine Strafe von einem Jahr verhängt.

4. Die Anordnungen über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§§ 73, 73c StGB) haben keinen Bestand.

Zwar bestehen keine rechtlichen Bedenken, den Wert des erlangten Etwas im Sinne der §§ 73c, 73d StGB bei Betrugstaten im Ausgangspunkt nach dem Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB zu bestimmen. Anhand der Urteilsgründe ist aber die jeweilige Höhe der Einziehungsentscheidungen schon rechnerisch nicht nachvollziehbar. Zudem leiden die Anordnungen an rechtlichen Mängeln.

a) Im Fall 4 hat das Landgericht den Wert des betrügerisch erlangten Fahrzeugs und mithin den betreffend diese Tat nach § 73c StGB einzuziehenden Geldbetrag ersichtlich mit dem vereinbarten Kaufpreis gleichgesetzt, obwohl dies aufgrund der vorliegenden Besonderheiten durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt (s.o.). Der Senat weist darauf hin, dass die Bestimmung des objektiven Verkehrswertes von Gebrauchtfahrzeugen mittels frei zugänglicher Internet-Bewertungsportale und daher ohne sachverständige Hilfe möglich sein wird. Etwaigen Unsicherheiten kann mit maßvollen Sicherheitsabschlägen begegnet werden.

b) Im Fall 5 hat es nicht bedacht, dass der Angeklagte Z. T. dem Geschädigten ein zwar mangelhaftes, aber nicht wertloses Fahrzeug als Gegenleistung übereignet hat. Gemäß § 73d Abs. 1 Satz 1 StGB hätte es dessen Wert aber in Abzug bringen müssen, da das Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB hier nicht eingreift. Denn bei der Übereignung des Fahrzeugs handelt es sich um eine Leistung des Angeklagten zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit aus dem Kaufvertrag gegenüber dem Verletzten (§ 73d Abs. 1 Satz 2 letzter Halbsatz StGB). Dem steht nicht entgegen, dass der Geschädigte nach den Feststellungen vom Kaufvertrag zurückgetreten ist. Denn der Rücktritt beseitigt den Vertrag nicht, sondern gestaltet ihn lediglich in ein Rückgewährschuldverhältnis um (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - VIII ZR 16/07, NJW 2008, 911). Anders als die Anfechtung (vgl. insofern § 142 Abs. 1 BGB) lässt der Rücktritt das betreffende Rechtsgeschäft nicht rückwirkend entfallen, weshalb er nichts daran ändert, dass der Angeklagte mit der Übereignung des Fahrzeugs eine Leistung auf eine bestehende Verbindlichkeit erbracht hat (vgl. zur Anfechtung Köhler, NStZ 2017, 497, 510).

Der Senat hebt die Einziehungsanordnungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht eine rechtsfehlerfreie und in sich schlüssige Entscheidung unter Beachtung des Verschlechterungsverbots zu ermöglichen. Einer Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es nicht; ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, können getroffen werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 604

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 281

Bearbeiter: Christian Becker