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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 230

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 359/13, Beschluss v. 29.01.2015, HRRS 2015 Nr. 230


BGH 1 StR 359/13 - Beschluss vom 29. Januar 2015 (LG Passau)

Anhörungsrüge; Verfahrensverzögerung (Einzelfallbetrachtung)

Art. 103 Abs. 1 GG; § 356a StPO; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK

Leitsatz des Bearbeiters

Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG wistra 2014, 434), zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht dazu verpflichtet ist, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden.

Entscheidungstenor

Die Anhörungsrüge des Verurteilten M. S. vom 13. November 2014 gegen das Urteil des Senats vom 8. Oktober 2014 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

Der Senat hat die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 13. Dezember 2012 mit Urteil vom 8. Oktober 2014 verworfen. Die Revisionsentscheidung des Senats ist seinem Verteidiger am 7. November 2014 zugegangen. Mit dessen Schriftsatz vom 13. November 2014, der beim Senat am Folgetag eingegangen ist, hat der Verurteilte hiergegen die Anhörungsrüge erhoben. Er hat beantragt, das Urteil des Senats aufzuheben und das Verfahren in den Stand vor Erlass des Urteils zurückzuversetzen.

Der zulässige Rechtsbehelf ist unbegründet; es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 356a StPO) vor.

1. Der Senat hat weder Verfahrensstoff noch Tatsachen oder Beweisergebnisse verwertet, zu denen der Verurteilte zuvor nicht gehört worden wäre. Auch wurde zu berücksichtigendes Vorbringen nicht übergangen, noch in sonstiger Weise der Anspruch des Verurteilten auf rechtliches Gehör verletzt.

Der Umstand, dass der Senat die Rechtsansicht der Verteidigung des Verurteilten zwar zur Kenntnis genommen hat, ihr aber im Ergebnis nicht gefolgt ist, stellt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Es ist schon grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 BvR 792/11 Rn. 16 mwN, wistra 2014, 434), zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht dazu verpflichtet ist, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2007 - 2 BvR 746/07; BGH, Senatsbeschluss vom 31. Juli 2006 - 1 StR 240/06 mwN). Jedenfalls wurden hier der gesamte schriftliche Vortrag des Verurteilten sowie die Ausführungen der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung bei der Entscheidungsfindung des Senats berücksichtigt.

2. Soweit der Verurteilte (wie schon sein Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung) geltend macht, er habe in seiner Revisionsbegründung ausführlich dargelegt, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft sei, deckt er keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör auf.

Das Landgericht hat sich in dem angefochtenen Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung ausführlich mit der Frage der Kenntnis des Angeklagten und der beiden Mitangeklagten von der Vorspiegelung falscher Tatsachen durch die Haupt- und Untervermittler auseinandergesetzt (LGUA S. 64-71). Es hat sich dabei, gestützt auf Zeugenaussagen, u.a. davon überzeugt, dass allen Angeklagten aufgrund von Besprechungen bewusst war, dass gezielt nach Käufern gesucht wurde, die bereits Schulden hatten und nur über niedrige Einkommen verfügten (LGUA S. 65), und dass dieser Käuferkreis mit falschen Versprechungen zum Kaufabschluss bewogen werden musste (LGUA S. 66). Weiterhin hat es in den Blick genommen, dass die "nicht zutreffenden Rechenbeispiele", die den Kunden vorgelegt wurden, (auch) im Büro der Angeklagten erstellt worden waren (LGUA S. 68). Es hat sich, wiederum gestützt auf Zeugenaussagen, zudem davon überzeugt, dass die Angeklagten "ganz konkret" mit Vorwürfen über nicht zutreffende Versprechungen der Haupt- und Untervermittler konfrontiert waren. Aufgrund einer Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Indizien hat sich das Landgericht schließlich die Überzeugung gebildet, dass die Angeklagten spätestens Anfang 2007 wussten, dass die Vermittler die Käufer mit falschen Versprechungen zum Abschluss von Kaufverträgen bewegten und dass sich die Angeklagten diese falschen Versprechungen für ihre Verkaufsabschlüsse nutzbar machten (LGUA S. 71). Im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem seine Überzeugung von der Mitwirkung des Angeklagten in jedem Einzelfall begründet; dabei hat es dargelegt, dass der Angeklagte in jedem Einzelfall wesentliche Entscheidungen traf, indem er u.a. die Objekte und die Kaufpreise festsetzte, entschied, ob ein Kunde "geeignet" war, die Provisionen an die Vermittler freigab und teilweise auch Barbeträge persönlich an die Käufer auszahlte (UA S. 54, 56).

Seine Überzeugung vom Wissen der Angeklagten, dass diese die Verkäufe jeweils zu Preisen vorgenommen hatten, die nicht den Verkehrswerten entsprachen, hat das Landgericht auf LGUA S. 72 ff., insbesondere UA S. 73, im Einzelnen begründet. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung auch dargelegt, aus welchen Gründen es zu der Überzeugung gelangt ist, dass den Käufern über die Finanzierung des bevorstehenden Immobilienerwerbs unrichtige Tatsachenangaben gemacht wurden die nicht zutreffen konnten (LGUA S. 61 ff.).

Der Umstand, dass die Verteidigung die Beweise anders als das Landgericht würdigt, zeigt keine Verletzung des Anspruchs des Verurteilten auf rechtliches Gehör auf.

Dasselbe gilt für die Beanstandung, der Vorwurf mittäterschaftlichen und bandenmäßigen Handelns sei nicht belegt; die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch insoweit tragfähig (Senat UA S. 13, 21). Dass der Senat der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht gefolgt ist, es liege ein uneigentliches Organisationsdelikt vor (Senat UA S. 21), offenbart keine Verletzung des Anspruchs des Verurteilten auf rechtliches Gehör.

3. Soweit der Verurteilte behauptet, zwischen der Täuschung der Käufer und dem angenommenen Vermögensschaden bestehe kein Ursachenzusammenhang, deckt er ebenfalls keinen Gehörsverstoß auf. Vielmehr besteht ein Ursachenzusammenhang, wie der Senat in den Urteilsgründen näher dargelegt hat. Soweit der Senat in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hingewiesen hat, das Landgericht habe nicht festgestellt, die Käufer könnten bereit gewesen sein, Wohnungen zu einem über dem Verkehrswert liegenden Preis und somit überteuert zu erwerben und damit ihr Vermögen objektiv weiter zu vermindern bzw. ihre Überschuldung weiter zu erhöhen (UA S. 19 f.), trifft dies zu.

Die dem Urteil des 5. Strafsenats vom 20. März 2013 im Verfahren 5 StR 344/12 (BGHSt 58, 205) zugrunde liegende Rechtsauffassung zur Schadensfeststellung bei Betrug hat der Senat in den Blick genommen. Da der vorliegende Fall jedoch anders gelagert war als die dort zugrunde liegende Fallkonstellation, wie vom Senat dargelegt (UA S. 17), bedurfte es entgegen der Auffassung des Verurteilten keiner Anrufung des Großen Senats für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 GVG.

Im Hinblick auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts zum nicht vorhandenen Erfordernis einer "Stoffgleichheit" zwischen Täuschung und Schaden in seinem schriftlichen Antrag auf Verwerfung der Revision des Verurteilten (dort S. 7), bestand für die Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung Gelegenheit zur Klarstellung. Jedenfalls rechtfertigen auch die rechtlich zutreffenden Ausführungen im Urteil des Senats zur Frage des Erfordernisses einer Stoffgleichheit zwischen dem Gegenstand der Täuschung und dem entstandenen Vermögensschaden (UA S. 18) nicht die Besorgnis des Verurteilten, der Senat könnte das Revisionsvorbringen nicht zur Kenntnis genommen haben.

4. Der Vortrag des Verurteilten zur Begründung seiner Anhörungsrügen erschöpft sich letztlich in einer Wiederholung und Vertiefung des Revisionsvorbringens. Die Anhörungsrüge dient jedoch - zumal wenn wie hier im Rahmen einer Revisionshauptverhandlung rechtliches Gehör gewährt worden ist - nicht dazu, das Revisionsgericht dazu zu veranlassen, das Revisionsvorbringen nochmals zu überprüfen.

Im Kern enthalten die (neuerlichen) Ausführungen des Verurteilten den Vorwurf, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Mit diesem Vorbringen kann er aber im Rahmen des § 356a StPO nicht gehört werden (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 9. November 2006 - 1 StR 360/06 mwN). Der Senat hat die Entscheidung ausführlich begründet und die entscheidungserheblichen Punkte angesprochen; einer weitergehenden Begründung des Urteils bedurfte es nicht. Entgegen der Auffassung des Verurteilten hat der Senat seine Entscheidung auch nicht auf Ausführungen gestützt, mit denen der Verurteilte nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.

5. Soweit der Verurteilte nun erstmals eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Revisionsverfahren beanstandet, deckt er einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2, Art. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht auf.

Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass der Antrag des Generalbundesanwalts auf Revisionsverwerfung bereits am 23. August 2013 gefertigt worden ist (Eingang beim Senat am 29. August 2013), das Urteil aber erst am 8. Oktober 2014 verkündet worden ist. Gleichwohl wurde das Revisionsverfahren vom Senat nicht verzögert, sondern stets gefördert.

Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Wie auch in den Ausführungen der Verteidigung in der vorliegenden Anhörungsrüge deutlich wird, hatte das Verfahren eine umfangreiche Wirtschaftsstrafsache mit schwierigen und grundlegenden Fragen zur Dogmatik des Straftatbestands des Betruges beim Verkauf von Immobilien, insbesondere zur Bestimmung des Vermögensschadens, zum Gegenstand. Hinzu kamen, wie schon aus Art, Zahl und Umfang der mit den Revisionen erhobenen materiell- und verfahrensrechtlichen Beanstandungen erkennbar wird, eine Vielzahl von weiteren Rechtsund Verfahrensfragen. Der Sachverhalt war komplex und wies im Hinblick auf die Einschaltung von Vermittlern und Untervermittlern sowie die Verknüpfung von Erwerbsmit Finanzierungsgeschäften tatsächliche und rechtliche Besonderheiten auf. Bereits die tatrichterliche Hauptverhandlung hatte sich deshalb über 13 Monate erstreckt, in der 37 Sitzungstage stattfanden (zur Terminierung in komplexen und schwierigen Wirtschaftsstrafsachen vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, BGHR StPO § 213 Terminierung 1).

Dies machte es für den Senat erforderlich, nach gründlicher Vorbereitung der ersten Senatsberatung einschließlich der Aufarbeitung vorhandener Rechtsprechung zu den einzelnen Fragenkomplexen ergänzende umfangreiche Beratungen durchzuführen, bei denen weitere Rechtsfragen zu klären waren. Diese ergaben sich aus der Verschränkung der einzelnen materiellen Rechtsfragen untereinander sowie mit den aufgeworfenen verfahrensrechtlichen Fragen erst aus dem Zwischenergebnis der ersten Senatsberatung. Auch diese Beratungen mussten wieder gründlich vorbereitet werden.

Schließlich ergab sich die Notwendigkeit, über die Revision des Verurteilten auch noch eine Revisionshauptverhandlung durchzuführen. In dieser Verhandlung vom 16. September 2014 hatte die Verteidigung die Gelegenheit, ihre rechtlichen Bedenken gegen das Urteil des Landgerichts Passau noch einmal darzulegen und mit dem Senat und dem Vertreter des Generalbundesanwalts zu erörtern.

Erst nach weiteren ausführlichen Beratungen, in denen auch das neue Vorbringen der Verteidigung eingehend gewürdigt worden ist, konnte der Senat am 8. Oktober 2014 das Urteil in dieser Sache fällen und verkünden.

Die Gesamtdauer des Revisionsverfahrens ist somit im Hinblick auf dessen Umfang und Schwierigkeit angemessen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 465 Abs. 1 StPO (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2014 - 1 StR 82/14).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 230

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel