HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1056
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 228/19, Beschluss v. 14.08.2019, HRRS 2019 Nr. 1056
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 20. Dezember 2018 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er bezüglich der Einziehungsentscheidung als Gesamtschuldner haftet.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Schleusung mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchter banden- und gewerbsmäßiger Schleusung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten ist unbegründet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielt sich der seit Ende 2015 in Deutschland lebende Angeklagte, ein irakischer Staatsbürger, seit August 2015 in der Türkei auf. Dort schloss er sich einer Gruppierung an, die mit der Schleusung von Staatsangehörigen aus Drittstaaten (Nicht-EU-Staaten) von der Türkei nach Griechenland Geld verdiente. Diese Gruppe bestand aus O. A. und G. als „Akquisiteuren“ und den bis zur eigentlichen Schleusung zur Verfügung stehenden Ansprechpartnern der Schleusungswilligen, dem vornehmlich im Hintergrund agierenden „Chef“ F., dem vorrangig in der Türkei als Wohnungsvermittler und Zahlstellenverwalter tätigen Angeklagten sowie „M. dem Syrer“ als Zubringer und Verbindungsmann zu den am Strand die eigentlichen Seeschleusungen organisierenden Gruppierungen und weiteren, unbekannt gebliebenen Personen. Alle arbeiteten arbeitsteilig daran mit, gegen Zahlung erheblicher Geldbeträge (ca. 10.000 Euro pro Familie) vornehmlich irakische Staatsangehörige nach Griechenland zu schleusen. Verfahrensgegenständlich sind Taten zum Nachteil der irakischen Familien Y., T., J., A., Me. /Al. und As. .
Den Geschleusten wurde dabei wahrheitswidrig vorgespiegelt, die Überfahrt nach Griechenland werde mit komfortablen und sicheren Jachten durchgeführt. Tatsächlich wurden sie am 28. Oktober 2015 an den Strand gefahren, wo sie auf andere Schleusungswillige und bewaffnete Schleuser trafen und auf ein völlig überfülltes Holzschiff getrieben wurden. Schwimmwesten konnten am Strand für 50 Euro erworben werden, den Kindern waren sie allerdings zu groß. Mit mindestens 256 Passagieren war das kleine Holzschiff völlig überladen. Bei noch schönem Wetter stach das Schiff in Richtung der sichtbaren griechischen Küste in See. Der mit einer Schusswaffe bewaffnete Kapitän verließ nach einigen Minuten das Schiff und setzte sich in ein Beiboot ab. Er übergab das Ruder einem mit der Führung eines solchen Schiffes völlig unerfahrenen Geschleusten, der dadurch seinen Schleuserlohn sparte. Deshalb aufkommender Unruhe unter den Passagieren begegnete der Kapitän mit mehreren Schüssen in die Luft.
Fünfzehn bis fünfundzwanzig Minuten später kam es bei zunehmendem Wind und Seegang zur Havarie des Schiffes, das schließlich in mehrere Teile zerbrach und an einer nicht genau feststellbaren Position zwischen der türkischen Küste und der Insel Lesbos sank. Die Schiffbrüchigen trieben daraufhin zwischen zwei und fünf Stunden im Wasser. Zahlreiche von ihnen, insbesondere Kinder, kamen zu Tode, darunter eine Tochter des Zeugen T., eine Tochter des Zeugen J., Mann und Sohn der Zeugin Me. Zwei weitere Kinder der Familien As. und Me. werden seitdem vermisst. Ein Großteil der Überlebenden, auch aus den geschleusten Familien, wurde von der griechischen Küstenwache geborgen und nach Griechenland gebracht.
Die Revision ist unbegründet. Über die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift hinaus bedarf Folgendes der Erörterung:
1. Deutsches Strafrecht ist anwendbar. Der Angeklagte hat zwar als Ausländer im Ausland gehandelt, wobei auch die Voraussetzungen der §§ 5 bis 7 StGB nicht vorliegen. Die Strafbarkeit nach deutschem Recht bestimmt aber § 96 Abs. 4 AufenthG.
a) Danach sind die Schleuserstraftatbestände in § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5 und Abs. 3 AufenthG auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder eines Schengen-Staates anzuwenden, wenn sie den in § 95 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 oder Abs. 2 Nr. 1 AufenthG bezeichneten Handlungen entsprechen und der Täter einen Ausländer unterstützt, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt.
Mit dieser Regelung ist der deutsche Gesetzgeber seiner früher in Art. 27 SDÜ geregelten Verpflichtung aus der Richtlinie 2002/90/EG (in Verbindung mit dem Rahmenbeschluss 2002/946/JI vom 28. November 2002) nachgekommen, wonach die Mitgliedstaaten der EU gehalten sind, nicht nur die unerlaubte Ein- bzw. Durchreise sowie den unerlaubten Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet, sondern auch betreffend das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zu sanktionieren (BT-Drucks. 16/5065, S. 200). Durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19. August 2007, BGBl. I S. 1970) wurde deshalb § 96 Abs. 4 AufenthG entsprechend angepasst, der bis dahin in Umsetzung von Art. 27 SDÜ bereits die Einbeziehung von Auslandstaten im europäischen Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten des SDÜ anordnete. Der Gesetzgeber wollte damit - wie bei der Umsetzung des früheren Art. 27 SDÜ - die genannten Auslandstaten insgesamt der Strafbarkeit nach deutschem Recht unterstellen. Denn er hat § 96 Abs. 4 AufenthG gerade die Funktion zugewiesen, bestimmte für inländische Taten geltende Regelungen „auch auf Auslandstaten zu beziehen“ (vgl. BT-Drucks. 16/5065, S. 200). Mit der Gesetzesformulierung hat er deutlich gemacht, dass die Anwendung deutschen Strafrechts auf derartige Auslandstaten nicht von den Voraussetzungen der §§ 3 ff. StGB, sondern nur von denjenigen in § 96 Abs. 4 AufenthG abhängen soll. Mit Wirkung zum 26. November 2011 wurde die Versuchsstrafbarkeit nach § 96 Abs. 3 AufenthG in § 96 Abs. 4 AufenthG einbezogen (Gesetz vom 22. November 2011, BGBl. I S. 2258); § 96 Abs. 4 AufenthG wird auch in § 97 Abs. 1 und 2 AufenthG (Einschleusen mit Todesfolge, gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen) in Bezug genommen.
b) Der Bundesgerichtshof hat bereits in einem Fall wie dem vorliegenden (Schleusung von Drittstaatsangehörigen per Boot von der Türkei nach Griechenland durch einen syrischen Staatsangehörigen) bei einer Auslandstat durch einen Ausländer aufgrund § 96 Abs. 4 AufenthG eine Strafbarkeit nach deutschem Recht angenommen, ohne die §§ 3 ff. StGB heranzuziehen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18, NStZ 2019, 287 = JR 2019, 252 m. Anm. Kretschmer). Auch in der Literatur ist anerkannt, dass sich die Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten wie die vorliegende aus § 96 Abs. 4 AufenthG unmittelbar ergibt (vgl. BeckOK-AuslR/Hohoff, Stand 1. Mai 2019, § 96 Rn. 23 f.; Erbs/Kohlhaas/Senge, Stand Juli 2014, § 96 Rn. 31; Kretschmer, JR 2019, 254, 255; Bergmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl., § 96 Rn. 69; Mosbacher in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 96 AufenthG Rn. 21; noch auf Art. 27 SDÜ i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB abstellend: MüKoStGB/Gericke, 3. Aufl., § 96 Rn. 40 f.; BayObLGSt 1999, 113; Winkelmann in Bergman/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 96 Rn. 19 ff.; abweichend auch Fahlbusch in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., § 96 Rn. 82: Art. 1 RL 2002/90/EG i.V.m. § 6 Nr. 9 StGB).
Soweit für die Anwendung deutscher Strafgewalt zusätzlich ein legitimierender inländischer Anknüpfungspunkt gefordert wird, der sich daraus ergeben könne, dass der Angeklagte seinen Wohnsitz im Inland habe, hier festgenommen werde oder die Gefahr bestehe, dass die Geschleusten illegal nach Deutschland einreisten (vgl. Hohoff aaO Rn. 24; Gericke aaO Rn. 41; Senge aaO Rn. 31; Fahlbusch aaO Rn. 82; aA Winkelmann aaO Rn. 21), wäre all dies vorliegend gegeben.
c) Die Voraussetzungen der Anwendung deutschen Strafrechts nach § 96 Abs. 4 AufenthG liegen vor. Der Angeklagte hat nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts gegen Entgelt und gewerbsmäßig handelnd als Bandenmitglied die nach griechischem Recht unerlaubte Einreise von irakischen Staatsangehörigen (Drittstaatsangehörigen) in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (Griechenland) unterstützt. Dass diese Einreise ohne hierzu berechtigenden Aufenthaltstitel im Tatzeitpunkt nach Maßgabe der griechischen Rechtsvorschriften unerlaubt war, was für die Anwendung von § 96 Abs. 4 AufenthG ausreicht, ergibt sich aus den vom Landgericht zutreffend genannten griechischen Regelungen (Art. 3 bis 5 Gesetz Nr. 4251), zudem aus der damals geltenden Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rats vom 15. März 2001 (ABl. L 81, S. 1; vgl. zur unerlaubten Schleusung von der Türkei nach Griechenland im gleichen Tatzeitraum ebenso BGH, Urteil vom 4. Dezember 2018 - 1 StR 255/18 Rn. 28 mwN). Die Zuwiderhandlungen entsprechen den in § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG genannten Handlungen.
2. Soweit der Angeklagte die Unverwertbarkeit seiner Angaben in einer ermittlungsrichterlichen Vernehmung mangels Mitwirkung eines Verteidigers rügt, ist die Verfahrensrüge jedenfalls unbegründet.
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt der Rüge zugrunde:
Gegen den Angeklagten wurde wegen des verfahrensgegenständlichen Vorwurfs am 23. Oktober 2017 Haftbefehl erlassen. Auf Grund dessen wurde er am 25. Oktober 2017 ergriffen und der Ermittlungsrichterin vorgeführt. Schon gegenüber der Polizei hatte er nachhaltig und vehement abgelehnt, sich von einem Rechtsanwalt begleiten zu lassen. Die Ermittlungsrichterin versuchte vor der Vorführung mehrfach vergeblich telefonisch, einen Verteidiger für den Angeklagten zu finden. Teils waren die angerufenen Rechtsanwälte nicht erreichbar, teils lehnten sie eine Übernahme des Mandats ab. Nach Verkündung des Haftbefehls wurde der Angeklagte nach § 136 Abs. 1 StPO belehrt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er sich der Unterstützung eines Verteidigers bedienen könne. Der Angeklagte erklärte daraufhin, er werde einen Anwalt kontaktieren, wenn er das für nötig befinde. Dann machte er ganz überwiegend bestreitende Angaben zur Sache. Am Ende des Termins wurde die Aufrechterhaltung des Haftbefehls beschlossen. Anschließend erklärte der Angeklagte, das Gericht möge ihm einen Anwalt aussuchen. Im Anschluss daran wurde der Angeklagte von der Bundespolizei erneut über seine Rechte, insbesondere das Recht auf Zuziehung und Befragung eines Verteidigers belehrt, und weiter vernommen, ebenso am nächsten Tag. Am 26. Oktober 2017 erreichte die Ermittlungsrichterin einen zur Übernahme des Mandats bereiten Rechtsanwalt und ordnete diesen dem Angeklagten als Pflichtverteidiger bei. Der Verteidiger hat der Verwertung der Angaben aus den Vernehmungen in der Hauptverhandlung widersprochen. Das Landgericht hat diese Angaben im Rahmen seiner Beweiswürdigung jedenfalls teilweise zu Lasten des Angeklagten verwertet.
b) Es ist bereits fraglich, ob die Neuregelung des § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO gebietet, vor jeder richterlichen Vernehmung eines aufgrund Haftbefehls Ergriffenen nach § 115 Abs. 2 StPO (bzw. § 115a Abs. 2 und in Fällen des § 128 Abs. 1 Satz 2 StPO) die Bestellung eines Pflichtverteidigers vorzunehmen (so LG Halle, StraFo 2018, 351; LG Magdeburg, StraFo 2018, 314; AG Stuttgart, StraFo 2018, 114; Schlothauer, StV 2017, 557; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl., § 141 Rn. 5a; SSW-StPO/Beulke, 3. Aufl., § 141 Rn. 19; BeckOK-StPO/Krawczyk, 31. Edition, § 141 Rn. 8; Burhoff, StraFo 2018, 405; ders. ZAP 2017, 1079, 1086; Schiemann, KriPoZ 2017, 338, 344; vgl. auch die bis 5. Mai 2019 in nationales Recht umzusetzende Richtlinie [EU] 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, ABl. L 297 vom 4. November 2016, S. 1 und L 91 vom 5. April 2017, S. 40, sogenannte PKH-Richtlinie, dazu den Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung, BR-Drucks. 364/19).
Denn einer solchen Auslegung stehen gewichtige historische und systematische Argumente entgegen (zutreffend Tully/Wenske, NStZ 2019, 183 mwN). Hätte der Gesetzgeber den bisherigen Rechtszustand (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2014 - 5 StR 176/14, BGHSt 60, 38) derart grundlegend dahingehend ändern wollen, dass vor jeder richterlichen Beschuldigtenvernehmung in Zusammenhang mit der Haftfrage nach § 115 Abs. 2, § 115a Abs. 2 oder § 128 Abs. 1 Satz 2 StPO in den dort regelmäßig vorliegenden Fällen notwendiger Verteidigung gemäß § 140 StPO zwingend ein Pflichtverteidiger nach § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO bestellt werden soll, wären zum einen Ausführungen zu einem solchen Systemwechsel in den Gesetzesmaterialen zu erwarten gewesen (vgl. demgegenüber BT-Drucks. 18/11277, S. 28 f.). Zum anderen wäre das Beibehalten der Regelung in § 141 Abs. 3 Satz 5 StPO unverständlich, wonach im Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO (Untersuchungshaft, einstweilige Unterbringung) der Verteidiger erst unverzüglich nach der Vollstreckung bestellt werden soll. Demgemäß ist in den Gesetzesmaterialien als wesentlicher Grund für die Neuregelung der Fall angeführt, dass der Beschuldigte von einer wichtigen richterlichen Zeugenvernehmung nach § 168c Abs. 3 StPO ausgeschlossen wird (BT-Drucks. 18/11277, S. 28) und in dieser Situation - anders als bei seiner Vernehmung, bei der er auch schweigen kann - zur Wahrung seiner Rechte die Zuziehung eines Verteidigers geboten ist.
Jedenfalls würde aus einer Verletzung von § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO nicht ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot folgen. Ein solches liegt gerade dann fern, wenn sich die Ermittlungsrichterin - wie hier - erfolglos um das Erreichen eines zur Mandatsübernahme bereiten Verteidigers bemüht und der Beschuldigte nach Belehrung ausdrücklich auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet hat. Im Spannungsverhältnis zwischen dem Recht des aufgrund Haftbefehls festgenommenen Beschuldigten auf unverzügliche Vorführung und Vernehmung zwecks Prüfung der Haftfrage (vgl. BGH aaO) und dem Gebot, ihm gegebenenfalls zuvor noch einen Verteidiger zu bestellen, kam der Ermittlungsrichterin ein nur eingeschränkt überprüfbarer Wertungsspielraum zu, welcher Rechtsposition sie im hier vorliegenden Konfliktfall den Vorrang gibt. Dass sie davon in unvertretbarer Weise Gebrauch gemacht haben könnte, liegt fern. Weil seine Angaben aus der ermittlungsrichterlichen Vernehmung verwertbar waren, bedurfte es bei den nachfolgenden Vernehmungen auch keiner qualifizierten Belehrung des Angeklagten.
3. Unbegründet ist die Rüge, die Strafkammer habe zu Unrecht die Angaben des Beschuldigten gegenüber einer Vertrauensperson zu seinem Nachteil verwertet. Zu Recht hat das Landgericht insoweit kein Beweisverwertungsverbot angenommen.
Dem liegt zugrunde, dass die Bundespolizei im August 2017 eine Vertrauensperson (VP) zur Aufklärung des Tatgeschehens im Oktober 2015 und zur Identifizierung der daran Beteiligten eingesetzt hatte. Die VP trat im September 2017 mit dem bis dahin nicht beschuldigten Angeklagten in Kontakt und gab sich als „Handy-Händler“ aus, der ein Geschäft eröffnen wolle und dafür Mitarbeiter suche. Der Angeklagte erzählte ihr darauf, er habe sieben Jahre in der Türkei gearbeitet und Menschen nach Griechenland geschleust. Die VP täuschte vor, sie benötige Hilfe dabei, ihre Schwester nach Deutschland zu schleusen. Bei einem weiteren Treffen im September 2017 berichtete der Angeklagte weiter von seiner Einbindung in Schleusungstaten. Etwa einen Monat später erläuterte der Angeklagte der VP in Zusammenhang mit deren Frage nach einer Schleusung ihrer Schwester, dass er im September 2017 in ein Bootsunglück mit Flüchtlingen involviert gewesen sei. Später machte er noch weitere Angaben und bot seine Mitwirkung bei der Schleusung der Schwester der VP an.
Ein Verwertungsverbot folgt aus diesem Vorgehen nicht. Weder wurde damit eine zuvor erklärte Berufung auf das Schweigerecht missachtet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 27. Januar 2009 - 4 StR 296/08, NStZ 2009, 343; Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11), noch wurde der Angeklagte von der Vertrauensperson unzulässig unter Druck gesetzt (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 5 StR 51/10, BGHSt 55, 138). Ein Verstoß gegen § 136a Abs. 1, § 136 Abs. 1 i.V.m. § 163a Abs. 4 StPO ist mit solchen Befragungen durch Informanten der Polizei regelmäßig nicht verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, NStZ 2011, 596). Schutz vor Irrtum gewährt der nemo tenetur-Grundsatz nicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, aaO, S. 15).
4. Keinen Erfolg hat auch die Rüge eines Verstoßes gegen § 247a Abs. 1 StPO. Zwar hat die Strafkammer den entsprechenden Beschluss erst nach der Vernehmung verkündet. Hierdurch wurde aber der zunächst begangene Rechtsfehler geheilt. Mit diesem nachträglichen Beschluss hat der gesamte Spruchkörper die Verantwortung für diese besondere Form der Beweiserhebung übernommen. Zugleich wurde jedenfalls kurz der Grund für die Videovernehmung der beiden Zeugen genannt, die nicht nach Deutschland einreisen konnten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 3 StR 388/17, NStZ-RR 2018, 118). Rechtliches Gehör wurde dem Angeklagten dadurch ausreichend gewährt, dass die Frage der Videovernehmung in der Hauptverhandlung schon längere Zeit diskutiert worden war.
5. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei; die Feststellungen tragen den Schuldspruch (vgl. zur versuchten Schleusung mit Todesfolge auch GK-AufenthG/Mosbacher, Stand Juli 2008, § 97 Rn. 5). Es beschwert den Angeklagten nicht, dass er nicht wegen vollendeter banden- und gewerbsmäßiger Schleusung in Tateinheit mit versuchter Schleusung mit Todesfolge verurteilt wurde. Dies hätte sich aufgedrängt, da einige der mit seiner Hilfe geschleusten Personen Griechenland erreicht haben und ihre - vom Angeklagten naheliegend billigend in Kauf genommene - Rettung durch griechische Schiffe nur darauf beruhte, dass sie zuvor auf einem überfüllten Schiff ohne erfahrenen Schiffsführer die Hoheitsgewässer Griechenlands ansteuerten und dabei Schiffbruch erlitten.
6. Lediglich die Einziehungsentscheidung bedarf der Ergänzung dahingehend, dass der Angeklagte dafür als Gesamtschuldner haftet (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 - 5 StR 545/18). Der geringfügige Teilerfolg lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten insgesamt mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 1056
Bearbeiter: Karsten Gaede