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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1089

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 43/18, Beschluss v. 05.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1089


BGH StB 43 u. 44/18 - Beschluss vom 5. Oktober 2018

Keine diplomatische Immunität bei privatem Urlaub in einem Drittstaat (Durchreise durch einen Drittstaat; Amtsantritt; Rückkehr in den Heimatstaat; Aufenthalt im Drittstaat zu touristischen Zwecken; keine Bindungswirkung von Bekanntmachungen des Auswärtigen Amtes mit Blick auf Rechtsfragen); Statthaftigkeit der Beschwerde trotz Wegfalls der angefochtenen Maßnahme (prozessuale Überholung; Feststellungsinteresse); dringender Tatverdacht; Haftgrund der Fluchtgefahr.

Art. 40 WÜD; § 112 StPO; § 304 StPO; Art. 103 Abs. 1 GG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Diplomatische Immunität wirkt nach Völkergewohnheitsrecht nicht in allen Staaten (erga omnes), sondern allein in dem Empfangsstaat, also dem Staat, in dem die diplomatische Mission des Entsendestaats errichtet ist, zu der der Diplomat gehört. In Art. 40 WÜD sind völkervertragsrechtlich zugunsten von Personen mit Immunität Ausnahmen zu diesem Grundsatz geregelt, indem unter bestimmten Voraussetzungen der Schutz auf Drittstaaten ausgedehnt wird.

2. Nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 WÜD genießt ein Diplomat auch in einem Drittstaat Immunität, wenn er ihn durchreist, um „sein Amt anzutreten oder um auf seinen Posten oder in seinen Heimatstaat zurückzukehren“, oder wenn er sich zu einem dieser Zwecke bereits in dem Drittstaat befindet.

3. Art. 40 Abs. 1 S. 1 WÜD schützt somit lediglich die Durchreise durch das Hoheitsgebiet des Drittstaats zu einem der benannten Zwecke. Umfasst sind die erste Anreise zur Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat, die Reisen während der Zeit der Beschäftigung sowie die endgültige Abreise nach Dienstbeendigung. Dies gilt jedoch nur für Reisen vom Entsende- in den Empfangsstaat und umgekehrt. Geschützt sind nur Reisen durch einen Drittstaat, deren Zweck ausschließlich der Transit mit dem Ziel ist, den Empfangs- oder Entsendestaat zu erreichen.

4. Die Ausdehnung des Schutzes nach Art. 40 Abs. 1 S. 1 WÜD umfasst nicht den privaten Urlaub in einem Drittstaat. Bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat zu touristischen Zwecken kann die geplante Ausreise in den Empfangsstaat demnach keinen diplomatischen Schutz begründen.

5. Rundschreiben des Auswärtigen Amtes, in denen für diplomatische Beziehungen einschlägige internationale und nationale Regeln zusammengefasst sowie Anwendungshilfen bekanntgemacht werden, binden die Gerichte im Hinblick auf Rechtsfragen nicht.

6. Der Wegfall einer angefochtenen Maßnahme führt jedenfalls dann nicht zur Unstatthaftigkeit der dagegen erhobenen Beschwerde, wenn sich diese gegen einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten richtet und der Beschwerdeführer die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht anderweitig mit einem ordentlichen Rechtsmittel überprüfen lassen kann. Die Beschwerde darf in solchen Fällen weder wegen prozessualer Überholung gegen den Willen des Beschwerdeführers für erledigt erklärt noch aus diesem Grund als unzulässig verworfen werden. Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich weggefallenen Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen.

Entscheidungstenor

Die Beschwerden des Beschuldigten gegen den Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2018 und dessen Beschluss über die Anordnung der Beschlagnahme vom 13. August 2018 werden verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

I.

Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschuldigten, einen iranischen Staatsangehörigen, der seit 2014 als dritter Botschaftsrat an der iranischen Botschaft in akkreditiert ist, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit und anderer Straftaten.

Auf Antrag des Generalbundesanwalts hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 6. Juli 2018 Haftbefehl gegen den Beschuldigten erlassen (1 BGs 252/18 VSNfD), aufgrund dessen sich dieser seit dem 9. Juli 2018 in Untersuchungshaft befand.

Gegenstand des - mittlerweile mit Beschluss des Ermittlungsrichters vom 4. Oktober 2018 aufgehobenen - Haftbefehls war der Vorwurf, der Beschuldigte habe seit August 2015 in München, Mailand, Venedig, Salzburg, Wien, Luxemburg-Stadt und an anderen bislang unbekannten Orten - teilweise unter Beteiligung der in Belgien gesondert Verfolgten S. und N. sowie weiterer bisher nicht bekannter Personen - durch dieselbe Handlung - für den Geheimdienst einer fremden Macht („MOIS“) eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei,

- sich mit anderen dazu verabredet, eine noch unbestimmte Anzahl von Menschen heimtückisch und mit gemeingefährlichen Mitteln zu töten,

- eine Straftat gegen das Leben vorbereitet, die nach den Umständen bestimmt und geeignet gewesen sei, die Sicherheit eines Staates zu beeinträchtigen, indem er anderen eine Sprengstoffvorrichtung überlassen habe,

- sich mit anderen dazu verabredet, eine Sprengstoffexplosion herbeizuführen, durch die eine Gesundheitsschädigung einer großen Anzahl von Menschen und der Tod anderer Menschen habe eintreten sollen, und

- ein Explosionsverbrechen durch das Überlassen von Sprengstoff und einer zur Tat erforderlichen besonderen Vorrichtung vorbereitet, strafbar gemäß § 89a Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, § 99 Abs. 1 Nr. 1, §§ 211, 308 Abs. 1, 2, 3, § 310 Abs. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 2, §§ 30, 52 StGB, § 1 Abs. 1 Nr. 4 NATO-Truppen-Schutzgesetz (BGBl. 2008 I, S. 491 ff.; im Folgenden: NTSG).

Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs darüber hinaus mit Beschluss vom 13. August 2018 gegen den Beschuldigten die Beschlagnahme diverser - dort im Einzelnen bezeichneter - elektronischer Geräte einschließlich Zubehör, insbesondere Datenträger und -speicher, angeordnet (1 BGs 316/18 VSNfD), die bei Durchsuchungsmaßnahmen anlässlich seiner verkehrspolizeilichen Kontrolle am 1. Juli 2018 sichergestellt worden sind. Die Beschlagnahmeanordnung ist auf denselben Tatvorwurf gestützt.

Die belgischen Justizbehörden betreiben mittels Europäischen Haftbefehls wegen der nämlichen Tat die Auslieferung des Beschuldigten, die das Oberlandesgericht Bamberg mit Beschluss vom 27. September 2018 für zulässig erklärt hat.

Mit Schriftsatz eines seiner Verteidiger vom 28. August 2018 hat der Beschuldigte jeweils Beschwerde gegen den Haftbefehl und den Beschlagnahmebeschluss eingelegt. Er hat die Aufhebung der beiden Entscheidungen begehrt und insbesondere geltend gemacht, die Maßnahmen seien rechtswidrig, weil der Beschuldigte gemäß Art. 40 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 (BGBl. 1964 II, S. 958 ff.; fortan: WÜD) diplomatische Immunität genieße.

Mit Beschlüssen vom 29. August 2018 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Beschwerden nicht abgeholfen.

Nach Aufhebung des Haftbefehls hat der Verteidiger am 5. Oktober 2018 für den Beschwerdeführer erklärt, dieser begehre die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungshaft.

II.

1. Die Beschwerden sind statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 304 Abs. 5, § 306 Abs. 1 StPO).

Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen den Haftbefehl steht nicht entgegen, dass dieser mittlerweile aufgehoben worden ist. Zwar kann der Wegfall einer angefochtenen Maßnahme mangels gegenwärtiger Beschwer zur Unstatthaftigkeit der dagegen erhobenen Beschwerde führen (sog. prozessuale Ãœberholung). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 31. Oktober 2005 - 2 BvR 2233/04, StraFo 2006, 20; vom 24. August 2017 - 2 BvR 77/16, NStZ-RR 2017, 379, 380 mwN; ferner Beschlüsse vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99 u.a., BVerfGE 104, 220, 235 f.; vom 8. April 2004 - 2 BvR 1811/03, NStZ-RR 2004, 252, 253; vom 9. September 2005 - 2 BvR 431/02, NJW 2006, 40 f.; s. auch BGH, Beschluss vom 30. März 2017 - StB 7/17, NStZ 2017, 418, 419) besteht jedoch unter dem Gesichtspunkt eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses ein Rechtsschutzbedürfnis dann, wenn sich die Beschwerde gegen einen Eingriff in die persönliche Freiheit des Beschuldigten richtet, soweit der Beschwerdeführer - wie hier - die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht anderweitig mit einem ordentlichen Rechtsmittel überprüfen lassen kann (s. hierzu BGH, Beschluss vom 4. Januar 2013 - StB 10/12 u.a., juris Rn. 4). Die Beschwerde darf in solchen Fällen weder wegen prozessualer Ãœberholung gegen den Willen des Beschwerdeführers für erledigt erklärt noch aus diesem Grund als unzulässig verworfen werden (s. zu diesen beiden Entscheidungsmöglichkeiten BeckOK StPO/Cirener, § 296 Rn. 11). Vielmehr ist die Rechtmäßigkeit der zwischenzeitlich weggefallenen Maßnahme zu prüfen und gegebenenfalls deren Rechtswidrigkeit festzustellen.

2. Die Beschwerden bleiben in der Sache ohne Erfolg.

a) Das Verfahrenshindernis der diplomatischen Immunität besteht nicht. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ergibt es sich nicht aus Art. 40 Abs. 1 WÜD.

aa) Der vom Beschuldigten gemietete Pkw, besetzt mit ihm, seiner Ehefrau und seinen beiden Söhnen, ist am 1. Juli 2018 gegen 13.00 Uhr auf der Rastanlage Spessart Süd der Autobahn A3 einer verkehrspolizeilichen Kontrolle unterzogen worden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hatten der Beschuldigte und seine Familie zuvor in verschiedenen Hotels in Deutschland und Belgien übernachtet und entlang der Fahrtstrecke Touristenattraktionen besucht. Für die folgende Nacht auf den 2. Juli 2018 hatte er eine Übernachtung in einem Hotel in Regensburg reserviert. Bei seiner Vernehmung am 1. Juli 2018 hat er angegeben, eine Ferienreise zu unternehmen. Schriftsätzlich hat der Beschuldigte am 28. August 2018 vortragen lassen, der „Zwischenaufenthalt“ in Regensburg sei „nur höchst vorsorglich vorgesehen“ gewesen; er habe sich jedenfalls zum Zeitpunkt der Kontrolle „im Sinne von Art. 40 Abs. 1 WÜD unmittelbar im Transit zurück zu seinem Posten“ in befunden. Die iranische Botschaft in hat unter dem 28. August 2018 schriftlich bestätigt, der Beschuldigte habe am 2. Juli 2018 gegen 8 Uhr seinen Dienst antreten müssen.

bb) Selbst auf der Grundlage dieser Erklärungen des Beschuldigten und der Botschaft besteht für ihn keine diplomatische Immunität nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD.

(1) Es gilt:

Diplomatische Immunität wirkt nach Völkergewohnheitsrecht nicht in allen Staaten (erga omnes), sondern allein in dem Empfangsstaat, also dem Staat, in dem die diplomatische Mission des Entsendestaats errichtet ist, zu der der Diplomat gehört (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 - 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 87 f.; Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 597). In Art. 40 WÜD sind völkervertragsrechtlich zugunsten von Personen mit Immunität Ausnahmen zu diesem Grundsatz geregelt, indem unter bestimmten Voraussetzungen der Schutz auf Drittstaaten ausgedehnt wird (vgl. BVerfG aaO, S. 88). Die Auslegung und Anwendung dieser über das Völkergewohnheitsrecht hinausgehenden - aufgrund Zustimmungsgesetzes vom 6. August 1964 (BGBl. I, S. 957) als einfaches Bundesrecht geltenden - Ausnahmevorschriften obliegt originär dem Senat als Fachgericht; denn es sind keine zugunsten des Beschuldigten wirkenden allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beurteilen, aufgrund derer gemäß Art. 100 Abs. 2 GG das Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung berufen sein könnte (s. hierzu BVerfG aaO, S. 79 f. mwN).

Nach Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD genießt ein Diplomat auch in einem Drittstaat Immunität, wenn er ihn durchreist, um „sein Amt anzutreten oder um auf seinen Posten oder in seinen Heimatstaat zurückzukehren“, oder wenn er sich zu einem dieser Zwecke bereits in dem Drittstaat befindet (vgl. Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, 1994, S. 124). Dass die Regelung in der zweiten Alternative („sich befindet“) nicht an jeden beliebigen Aufenthalt im Drittstaat anknüpft, sondern nur an einen solchen, der dazu dient, das Amt anzutreten oder auf den Posten oder in den Entsendestaat zurückzukehren, ergibt sich deutlicher aus der englischen und französischen Fassung der Norm (s. BGBl. 1964 II, S. 986).

Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD schützt somit lediglich die Durchreise durch das Hoheitsgebiet des Drittstaats zu einem der benannten Zwecke. Umfasst sind die erste Anreise zur Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit im Empfangsstaat, die Reisen während der Zeit der Beschäftigung sowie die endgültige Abreise nach Dienstbeendigung. Dies gilt jedoch nur für Reisen vom Entsende- in den Empfangsstaat und umgekehrt. Geschützt sind nur Reisen durch einen Drittstaat, deren Zweck ausschließlich der Transit mit dem Ziel ist, den Empfangs- oder Entsendestaat zu erreichen (vgl. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 609; ferner SKStPO/Frister, 5. Aufl., § 18 GVG Rn. 9). Nach allgemeiner Meinung fällt ein privater Urlaub in einem Drittstaat nicht darunter (vgl. LG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 1983 - XII-10/83, EuGRZ 1983, 440, 447; Denza, Diplomatic Law - Commentary on the Vienna Convention on Diplomatic Relations, 4. Aufl. [2016], S. 371 ff.; Kreicker aaO; Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl. [2010], Art. 40 WÜD Nr. 2; Seidenberger, Die diplomatischen und konsularischen Immunitäten und Privilegien, 1994, S. 124). Bei einem Aufenthalt in einem Drittstaat zu touristischen Zwecken kann die geplante Ausreise in den Empfangsstaat demnach keinen diplomatischen Schutz begründen.

Es entspricht dem Zweck des Art. 40 WÜD, seine Anwendung auf dasjenige zu beschränken, was notwendig ist, um einen ungestörten diplomatischen Verkehr zwischen dem Entsende- und dem Empfangsstaat zu ermöglichen. Private Urlaubsreisen des Diplomaten in das Hoheitsgebiet eines anderen Staats zählen hierzu nicht. Der Drittstaat hat der Tätigkeit des Diplomaten, der dort keinerlei Aufgaben zu erfüllen hat, nicht zugestimmt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1997 - 2 BvR 1516/96, BVerfGE 96, 68, 87); für diesen Staat besteht keine Möglichkeit, eine Beendigung der dienstlichen Tätigkeit durch eine Erklärung zur persona non grata nach Art. 9 WÜD zu erzwingen, weil die Vorschrift ausdrücklich nur den Empfangsstaat berechtigt (vgl. Kreicker, Völkerrechtliche Exemtionen, Band I, 2007, S. 596).

Dem Beschwerdeführer ist nicht darin zu folgen, dass diesem Verständnis des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD das vom Auswärtigen Amt verfasste Rundschreiben vom 15. September 2015 („Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland“) entgegensteht, mit dem die einschlägigen internationalen und nationalen Regeln zusammengefasst sowie Anwendungshilfen bekanntgemacht worden sind (vgl. hierzu SKStPO/Frister, 5. Aufl., Vor §§ 18-21 GVG Rn. 11). Es bindet die Gerichte im Hinblick auf Rechtsfragen ohnehin nicht (vgl. SKStPO/Frister aaO, Rn. 43; zur Bedeutung von Äußerungen des Auswärtigen Amts zu tatsächlichen Fragen diplomatischer Tätigkeit s. OLG Karlsruhe, Urteil vom 25. November 1982 - 4 Ss 106/82, Die Justiz 1983, 133, 134; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 18 GVG Rn. 7a). Darüber hinaus bestätigt das Rundschreiben, wie das Auswärtige Amt selbst in seiner Stellungnahme für das Auslieferungsverfahren vom 4. Juli 2018 zum Ausdruck gebracht hat, gerade die hier dargelegte Auslegung: Nach Teil 1 B. 2.6 Abs. 1 Satz 2 des Rundschreibens gelten zugunsten des Diplomaten die „für seine sichere Durchreise oder Rückkehr erforderlichen Vorrechte und Befreiungen“ auch dann, „wenn er in den Heimaturlaub fährt oder aus dem Urlaub an seine Dienststelle zurückkehrt“. Mit der Rückkehr „aus dem Urlaub“ ist die Rückkehr aus dem Urlaub im Entsendestaat gemeint; das ergibt sich insbesondere daraus, dass das Rundschreiben dem Wort „Heimaturlaub“ folgend den bestimmten Artikel „dem“ anstatt den unbestimmten Artikel „einem“ verwendet, der sich damit - im Sinne von „diesem“ - auf Heimaturlaub bezieht (s. auch Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Aufl., Art. 40 WÜD Nr. 3. b)). Zudem stellt Teil 1 B. 2.6 Abs. 2 Satz 4 des Rundschreibens klar, dass ein „mehrtägiger Aufenthalt, etwa zu touristischen Zwecken ..., ... nicht als Transit im Sinne von Artikel 40 WÜD anerkannt werden“ kann.

Der vom Beschwerdeführer mit Verteidigerschriftsatz vom 15. September 2018 vorgelegten Kurzzusammenfassung der „Entscheidung eines Gerichts in Großbritannien“ lässt sich schon deshalb nichts entnehmen, was seine abweichende Auffassung stützen könnte, weil das betreffende Erkenntnis - soweit ersichtlich - nicht zu Art. 40 WÜD, vielmehr zum „Diplomatic Privileges Act 1964 (c. 81)" ergangen ist.

(2) Danach sind hier die Voraussetzungen des Art. 40 Abs. 1 Satz 1 WÜD nicht gegeben. Eine von dieser Vorschrift erfasste Durchreise zwischen dem Entsendestaat, der Islamischen Republik Iran, und dem Empfangsstaat, der , liegt nicht vor. Vielmehr trat der Beschuldigte von aus eine nicht privilegierte private Urlaubsreise in weitere mitteleuropäische Staaten an, die ihn wieder dorthin zurückführen sollte.

b) Die Voraussetzungen für die Anordnung und den weiteren Vollzug des Haftbefehls vom 6. Juli 2018 lagen bis zu dessen Aufhebung am 4. Oktober 2018 vor.

aa) Der Beschuldigte war jedenfalls der geheimdienstlichen Agententätigkeit in Tateinheit mit Verabredung zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und mit Vorbereitung eines Explosionsverbrechens dringend verdächtig. Dies trug die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft. Deshalb kann offenbleiben, ob nach dem Stand der Ermittlungen auch ein dringender Tatverdacht für - ebenfalls tateinheitlich begangene - Straftaten gemäß §§ 211, 30 Abs. 2 StGB, gemäß § 89a Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 StGB und gemäß § 308 Abs. 2, 3, § 30 Abs. 2 StGB bestand.

(1) Nach dem sich aus den Sachakten ergebenden Ermittlungsstand war im Sinne eines dringenden Tatverdachts jedenfalls von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Der Beschuldigte war für den iranischen Nachrichtendienst „MOIS“ (Ministry of Intelligence and Security) tätig und an Ausspähaktivitäten und Anschlagsplanungen zum Nachteil der iranischen Oppositionsgruppen „MEK“ (Volksmodjahedin Iran-Organisation) und „NWRI“ (Nationaler Widerstandsrat Iran) sowie deren Mitglieder in Deutschland, Belgien, Frankreich und Italien beteiligt.

Unter anderem führte er im Auftrag des MOIS unter dem Decknamen „Daniël“ die beiden Quellen S. und N. Die in Antwerpen wohnhaften Eheleute haben die belgische Staatsangehörigkeit und sind iranischer Herkunft sowie Anhänger der MEK. Der Beschuldigte als ihr Führungsoffizier wies S. und N. an, Informationen über Aktivitäten der MEK sowie deren Mitglieder und Anhänger in Europa zu sammeln und an ihn weiterzugeben. Zu diesem Zweck traf er das Ehepaar im August 2015 persönlich erstmals in einem Hotel in München sowie nachfolgend alle drei bis vier Monate in Mailand, Venedig, Salzburg, Wien und Teheran zu mehreren Führungstreffen. Der Beschuldigte übergab seinen beiden Quellen bei den Treffen als Gegenleistung für deren Tätigkeit jeweils Bargeld in Höhe von 3.500 bis 4.000 €, insgesamt 35.000 €.

Im Zusammenhang mit einem Führungstreffen in Salzburg Ende März 2018 forderte der Beschuldigte S. und N. auf, sich zusammen mit anderen bisher nicht bekannten Personen an einem Sprengstoffanschlag am 30. Juni 2018 in Villepinte (Frankreich) auf die jährliche „Große Versammlung“ der MEK und des NWRI zu beteiligen, wozu sich beide bereiterklärten. Am 28. Juni 2018 übergab der Beschuldigte S. und N. anlässlich eines Treffens in Luxemburg-Stadt, verpackt in einem Kulturbeutel, 500 Gramm des Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP) sowie eine Zündvorrichtung mit Fernbedienung. Der von dem Beschuldigten erteilte Auftrag an die Eheleute war darauf gerichtet, die Sprengvorrichtung in einer gewissen räumlichen Nähe zur Veranstaltungshalle zu platzieren und per Fernbedienung zu zünden. Den Sprengstoff hatte der Beschuldigte - zum Zweck der Tarnung gemeinsam mit seiner Ehefrau und den beiden Söhnen - in einem gemieteten Pkw mit deutschem Kennzeichen von kommend durch die Bundesrepublik Deutschland zum Ort der Übergabe nach Luxemburg-Stadt transportiert. Nach der Übergabe hielt der Beschuldigte durch den Austausch von SMS unter Verwendung von Code-Begriffen weiterhin Kontakt zu S. und N. Zu diesem Zweck hatte er ihnen bei dem Treffen in Luxemburg ein neues Mobiltelefon mit einer österreichischen SIM-Karte übergeben. Er hatte mit den beiden von ihm geführten Quellen vereinbart, dass diese ihn am Anschlagstag per SMS um 17.30 Uhr über den Anschlag informieren. Für den Folgetag, den 1. Juli 2018, war auf Weisung des Beschuldigten im Fall eines geglückten Anschlags ein gemeinsames persönliches Treffen in Köln vorgesehen.

Belgische Sicherheitsbehörden nahmen am 30. Juni 2018 in Brüssel die auf dem Weg nach Frankreich begriffenen S. und N. fest und stellten die Sprengvorrichtung sicher, wobei ein Teil der Substanz bei Berührung explodierte. Auf diese Weise wurde der geplante Anschlag vereitelt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten, insbesondere zum iranischen Nachrichtendienst MOIS, wird auf den aufgehobenen Haftbefehl verwiesen.

(2) Die den dringenden Tatverdacht begründenden Tatsachen ergeben sich aus den bisher übersandten Erkenntnissen der belgischen Ermittlungsbehörden, insbesondere den Vernehmungen der dortigen Beschuldigten S. und N. vom 30. Juni 2018, den polizeilichen Feststellungen im Zusammenhang mit der Verkehrskontrolle des Beschuldigten am 1. Juli 2018 sowie den Ermittlungen zu dessen Aufenthaltsorten im Zeitraum zwischen dem 27. Juni und dem 1. Juli 2018. Auf die Vernehmungsprotokolle betreffend S. und N., den Europäischen Haftbefehl des Gerichts erster Instanz in Antwerpen vom 30. Juni 2018, das Schreiben des Verbindungsbeamten des Bundeskriminalamts in Belgien vom 3. Juli 2018, den polizeilichen Ermittlungsbericht der Kriminalpolizeiinspektion Unterfranken vom 2. Juli 2018 und das von dieser erstellte Bewegungsprofil zum Beschuldigten wird Bezug genommen.

Zutreffend hat der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass die gesondert Verfolgten S. und N. ausgesagt haben, sie seien davon ausgegangen, dass durch die geplante Sprengstoffexplosion die Versammlung in Villepinte nur gestört werde, indes keine Menschen verletzt bzw. gefährdet würden. Nach Aktenlage sind derzeit keine ausreichenden Erkenntnisse vorhanden, die belegen, dass S. und/oder N. sowie der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit einen Tötungsoder Gesundheitsschädigungsvorsatz hatten. Allerdings kommt es für die Haftfrage hierauf nicht an. Der in dem aufgehobenen Haftbefehl geschilderte Sachverhalt enthält ohnehin keine Angaben zu einem solchen Vorsatz.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang den Wert der Aussagen der gesondert Verfolgten generell in Zweifel zieht, ist darauf hinzuweisen, dass noch weitere Erkenntnisse für eine Täterschaft des Beschuldigten sprechen und im hiesigen Beschwerdeverfahren eine individuelle Glaubhaftigkeitsanalyse weder rechtlich geboten noch tatsächlich möglich ist.

(3) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Beschuldigte jedenfalls dringend verdächtig war, sich wegen Verabredung zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§ 308 Abs. 1, § 30 Abs. 2 StGB) in Tateinheit mit Vorbereitung eines Explosionsverbrechens (§ 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und mit geheimdienstlicher Agententätigkeit (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG) strafbar gemacht zu haben. Hinsichtlich der Auslegung des Straftatbestands des § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB, insbesondere des Merkmals „gegen die Bundesrepublik Deutschland“, das durch § 1 Abs. 1 Nr. 4 NTSG auf nichtdeutsche Vertragsstaaten der NATO mit in Deutschland stationierten Truppen (hier Belgien, Frankreich, Italien) erweitert wird, nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen in dem aufgehobenen Haftbefehl (zu den Konkurrenzen s. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 99 Rn. 17 mwN). Die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts folgt für die Verabredung zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und die Vorbereitung eines Explosionsverbrechens aus § 6 Nr. 2 StGB sowie für die geheimdienstliche Agententätigkeit aus § 5 Nr. 4 StGB und - da der Beschuldigte insoweit einen Teil der tatbestandlichen Handlungen im Inland vornahm - aus §§ 3, 9 Abs. 1 StGB.

Der Senat lässt es - wie dargelegt - dahinstehen, inwieweit ein dringender Tatverdacht auch hinsichtlich der Verabredung zum Mord (§§ 211, 30 Abs. 2 StGB), hinsichtlich der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1, 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 StGB) sowie hinsichtlich der Verabredung zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion unter Gesundheitsschädigung einer großen Anzahl von Menschen und unter Verursachung des Todes eines anderen (§ 308 Abs. 2, 3, § 30 Abs. 2 StGB) gegeben war. Daher kommt es auch nicht darauf an, ob hinsichtlich einer Verabredung zum Mord überhaupt deutsches Strafrecht anwendbar wäre.

bb) Es bestand jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO).

Der Beschuldigte hatte im Fall seiner Verurteilung allein wegen der vom Senat als tragend erachteten Delikte mit einer empfindlichen Haftstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden erheblichen Fluchtanreiz standen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Beschuldigte ist iranischer Staatsangehöriger und dritter Botschaftsrat an der iranischen Botschaft in . Bei seiner Festnahme hielt er sich nur vorübergehend im Bundesgebiet auf. Familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindungen an Deutschland hat er nicht. Vielmehr ist er - mit großer Wahrscheinlichkeit - als Führungsoffizier für den iranischen Geheimdienst MOIS tätig. Dies lässt auf ein hohes Interesse schließen, sich dem Strafverfahren und der damit verbundenen Aufklärung seines mutmaßlich strafbaren Verhaltens zu entziehen. Die Annahme von Fluchtgefahr erfordert dabei kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen; insoweit genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11).

Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO) war unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.

Es kann dahinstehen, ob, wie in dem Haftbefehl angenommen, daneben auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) vorlag. Ebenso wenig kommt es auf den Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) an, der nur zu prüfen wäre, wenn der Beschuldigte der Verabredung zum Mord dringend verdächtig gewesen sein sollte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 112 Rn. 36).

cc) Die Haftfortdauer stand nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 112 Abs. 1 Satz 2, § 120 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StPO).

c) Die Voraussetzungen für die Beschlagnahme der diversen elektronischen Geräte einschließlich Zubehör, die bei den Durchsuchungsmaßnahmen am 1. Juli 2018 sichergestellt worden sind, liegen vor.

Zumindest insoweit, als ein dringender Tatverdacht bestand, ist auch weiterhin ein die Beschlagnahme rechtfertigender tatsachengestützter Anfangsverdacht gegeben. Die Gegenstände, auf die sich die vom Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs getroffene Anordnung (§ 98 Abs. 1 StPO) bezieht, haben überdies potenzielle Bedeutung als Beweismittel im Sinne des § 94 Abs. 1 StPO, weil die nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sie im Verfahren zu Untersuchungszwecken in irgendeiner Weise zu verwenden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2018 - StB 13/18, juris Rn. 6; LR/Menges, StPO, 26. Aufl., § 94 Rn. 30 mwN). Diesbezüglich wird auf die Ausführungen im angefochtenen Beschlagnahmebeschluss verwiesen. Die Beschlagnahme steht in angemessenem Verhältnis zur Schwere der Tat und Stärke des Tatverdachts; sie ist für die Ermittlungen geeignet und notwendig (s. dazu LR/Menges aaO, Rn. 51 ff.), zumal in Ansehung des Verteidigerschriftsatzes vom 23. Juli 2018 dafür Sorge getroffen worden ist, dass dem Sohn des Beschuldigten von ihm benötigte Studienunterlagen zur Verfügung stehen.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1089

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 386

Bearbeiter: Christian Becker