hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 19

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 439/17, Urteil v. 15.11.2017, HRRS 2018 Nr. 19


BGH 5 StR 439/17 - Urteil vom 15. November 2017 (LG Potsdam)

Gefährlichkeitsprognose bei der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Straftat von erheblicher Bedeutung; mittlere Kriminalität; empfindliche Störung des Rechtsfriedens; erhebliche Beeinträchtigung des Gefühls der Rechtssicherheit der Bevölkerung; Gewalt- und Aggressionsdelikte; Erforderlichkeit erheblicher körperlicher oder seelischer Schäden).

§ 63 StGB; § 223 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 63 StGB liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten, die wie die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, gehören regelmäßig zum Bereich der mittleren Kriminalität. Lediglich Straftaten, die höchstens mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind nicht mehr ohne Weiteres diesem Bereich zuzurechnen.

2. Nach der Neufassung von § 63 S. 1 StGB muss auch bei drohenden Körperverletzungen im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob diese zu einer „erheblichen“ Schädigung oder Gefährdung führen und deshalb den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dabei verbietet sich jede schematische Betrachtung. Erforderlich ist eine Gesamtabwägung, in die neben der Schwere einer drohenden Tat insbesondere auch die Häufigkeit und die Rückfallfrequenz einzustellen sind.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 31. März 2017 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wegen versuchter Nötigung sowie wegen „gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung, Bedrohung und Beleidigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, das Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs einer anderen Beleidigung wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt und den Angeklagten von weiteren Anklagevorwürfen freigesprochen. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit einer auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützten Revision, während die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Strafzumessung und die Nichtverhängung einer Maßregel nach § 63 StGB beanstandet. Die Rechtsmittel erzielen den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.

I.

1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:

a) Der aus Afghanistan stammende Angeklagte lebt seit Ende der achtziger Jahre in Deutschland. Er ist seit 2006 rechtskräftig ausgewiesen. Angesichts drohender Abschiebung beantragte er 2015 Asyl. Er lebt von Sozialleistungen und ist mehrfach, auch einschlägig, vorbestraft. Wegen mehrerer Körperverletzungsdelikte verbüßte er bis November 2011 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Die Führungsaufsicht musste mehrfach verlängert werden, zuletzt bis November 2017. Im Oktober 2013 wurde der Angeklagte wegen einer im Juni 2013 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Im Mai 2014 wurde er wegen einer im Juni 2013 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

b) Im Dezember 2015 beging der Angeklagte folgende Taten:

aa) Am 2. Dezember 2015 bedrängte der Angeklagte den Geschädigten G., der ihn beim Urinieren im öffentlichen Raum beobachtet und zur Rede gestellt hatte. Nach einem Schubser durch G. schlug der Angeklagte dreimal mit der Hand nach dem Zeugen und traf ihn beim letzten Schlag in der rechten Gesichtshälfte so heftig, dass der Geschädigte starke Schmerzen verspürte, einen Knall vernahm, taumelte und zu Boden fiel. Der Angeklagte wurde von seinen Begleitern von weiteren Handlungen abgehalten, so dass sich der Geschädigte entfernen konnte. Dieser zog sich durch den Schlag neben einer Ohrprellung einen Trommelfellriss zu, der einer operativen Versorgung bedarf. Er muss jeglichen Wasserkontakt der Ohren vermeiden und Silikonpassstücke tragen, wodurch auch seine Ausbildung zum Binnenschiffer gefährdet war.

bb) G. versuchte erfolglos, einen Freund anzurufen. Deswegen vermutete der Angeklagte, G. habe ihn fotografiert. Um das zu überprüfen, forderte der Angeklagte unter Drohungen und Beleidigungen mehrfach dessen Mobiltelefon. Der Geschädigte kam dem Verlangen nicht nach. Ein Zeuge wurde auf das Geschehen aufmerksam und rief aus dem Fenster, der Geschädigte solle sein Telefon nicht herausgeben, die Polizei sei informiert. Daraufhin nahm der Angeklagte von seinem Vorhaben Abstand.

cc) Am 19. Dezember 2015 suchte er eine Asylunterkunft auf, um einen Freund zu besuchen. Weil er dort Hausverbot hatte, wurde ihm der Zutritt verwehrt. Während ein Beschäftigter den Freund auf Wunsch des Angeklagten ausfindig machen wollte, unterhielt sich der Angeklagte mit der in der Einrichtung als ehrenamtliche Helferin tätigen Gi. und dem Hausmeister A. im Eingangsbereich. Als der Hausmeister kurzzeitig abwesend war, bezeichnete der Angeklagte Gi. als „Schlampe“ und drohte, ihr Kind zu töten. Schließlich schlug er ihr mit der Faust in den Unterbauch, wodurch sie Schmerzen erlitt und sich krümmte. Als der Hausmeister ihr zu Hilfe kommen wollte, entwickelte sich zwischen ihm und dem Angeklagten eine körperliche Auseinandersetzung. In deren Verlauf schlug der Angeklagte mit seinem mit einer Metallschnalle versehenen Gürtel auf seinen Gegner ein, was Verletzungen im Gesicht und am Körper zur Folge hatte. Als der Hausmeister seinen großen Schlüsselbund verlor, nahm der Angeklagte diesen und warf ihn auf die eng zusammenstehenden Geschädigten. Gi. wurde an einem Finger getroffen und litt mehrere Tage Schmerzen.

c) Der Angeklagte trinkt seit 1995 Alkohol, zeitweise auch exzessiv, und konsumiert gelegentlich Kokain, Cannabis und Speed. Er leidet an einer chronischen kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und emotional instabilen Zügen, nimmt sich selbst allerdings als völlig gesund wahr und sieht sich als Opfer einer Verschwörung von Sachverständigen und Strafverfolgungsorganen.

2. Das sachverständig beratene Landgericht hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bei allen Taten angenommen. Die Persönlichkeitsstörung sei als schwere andere seelische Abartigkeit einzuordnen. Sie führe zu einem umfassenden Versagen in allen Lebensbereichen. Es lägen erhebliche Störungen in der Impulskontrolle, Affektivität und Kognition vor, das Verhalten sei von einem raschen Wechsel der Stimmungslage und Affektinkontinenz geprägt. Den Taten sei gemeinsam, dass der Angeklagte zuvor Ablehnung oder Kritik erfahren habe, auf die er mit dem eingeschliffenen Muster verbaler und körperlicher Aggressivität reagiere. Die Legalprognose sei ungünstig. Immer wieder verübe er Körperverletzungsdelikte und sei dabei in der Opferwahl zufällig.

3. Das Landgericht hat für die drei abgeurteilten Taten Einzelstrafen von sechs und drei Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten verhängt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es abgesehen. Mit der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des A. habe der Angeklagte zwar eine erhebliche Anlasstat verwirklicht, weshalb sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 Satz 1 StGB richteten. Es sei aber nicht höhergradig wahrscheinlich, dass er auch in Zukunft derart erhebliche Straftaten begehen werde. Zu erwarten seien zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit Taten wie die gegen G. und Gi. Solche Taten seien aber keine erheblichen Taten im Sinne von § 63 Satz 1 StGB.

II.

Die Revision des Angeklagten führt lediglich zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

a) Die Rüge fehlerhafter Ablehnung eines auf die Vernehmung des Zeugen M. gerichteten Beweisantrags ist unzulässig, da die Seiten 7 und 8 der Revisionsbegründung (Vorsitzendenverfügung, auf die sich die Kammer in ihrer Ablehnungsbegründung bezieht) fehlen und der Vortrag deshalb entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unvollständig ist. Aus demselben Grund versagen die insoweit erhobene Aufklärungsrüge sowie die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs.

b) Die Anträge, die Zeugen A. und Gi. erneut zu hören, obgleich beide bereits umfassend zur Sache und auch zu den Beweisthemen vernommen wurden, hat die Kammer rechtsfehlerfrei abgelehnt. Auch ein Aufklärungsmangel liegt deshalb nicht vor.

c) Soweit die Revision einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens mit der Begründung rügt, die Staatsanwaltschaft habe ihr vorliegende Erkenntnisse aus einem Parallelverfahren erst zu spät zur Gerichtsakte weitergereicht, so dass sie bei einer Zeugenvernehmung keine Verwendung finden konnten, wird ein Rechtsverstoß des erkennenden Gerichts nicht behauptet. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Gegenerklärung zutreffend vorbringt, widersprechen die Angaben der Zeugin Gi. in der anderen Hauptverhandlung ihren Angaben zum hiesigen Tatgeschehen zudem nicht, weshalb nicht ersichtlich ist, inwieweit die Verteidigung durch das Unterlassen der Übersendung in ihren Rechten beeinträchtigt worden sein könnte.

2. Die Sachrüge führt lediglich zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.

a) Die Beweiswürdigung weist in Ansehung des revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16 mwN) keinen Rechtsfehler auf. Entgegen der Auffassung der Revision waren weitergehende Ausführungen zum Inhalt der Aussage des Zeugen Ge. nicht veranlasst. Ebenso wenig bestehen hinsichtlich des Zeugen erläuterungsbedürftige Lücken (vgl. zum Maßstab insoweit BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 - 1 StR 385/16 mwN) oder Widersprüche.

b) Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Entgegen der missverständlichen Formulierung der Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung (UA S. 36) kommt ein freiwilliger Rücktritt von dem Versuch, sich des Mobiltelefons des Geschädigten G. durch Drohungen zu bemächtigen, nicht in Betracht. Denn der Angeklagte war mit seinen Drohungen erfolglos und ließ hiervon erst ab, nachdem ein Zeuge interveniert und mitgeteilt hatte, die Polizei alarmiert zu haben.

c) Die Bemessung der Einzelfreiheitsstrafen weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Angesichts der einschlägigen Vorstrafen und des Bewährungsbruchs sowie der Verwirklichung zweier tateinheitlicher Taten der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil mehrerer Geschädigter ist es trotz der Annahme einer Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht rechtsfehlerhaft, einen minder schweren Fall nach § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB nicht ausdrücklich zu prüfen.

d) Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verstößt indes gegen § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB. Danach darf die Gesamtstrafe die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Aus den in den Urteilsgründen mitgeteilten Einzelfreiheitsstrafen von sechs Monaten, drei Monaten sowie einem Jahr und drei Monaten hätte das Landgericht demnach höchstens eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und elf Monaten bilden dürfen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. Rn. 1204).

III.

Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht von der Verhängung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen hat.

1. Die Strafzumessung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf. Die Einzelstrafen sind zwar angesichts der einschlägigen Vorstrafen, des Bewährungsbruchs und der Tatfolgen bei dem Geschädigten G. überaus milde bemessen. Dies allein ist aber nach revisionsrechtlichen Maßstäben (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 - 1 StR 385/16 mwN) noch nicht zu beanstanden. Der Senat schließt aus, dem Landgericht könne bei der Strafzumessung für die gefährliche Körperverletzung der Umstand, dass sich die Tat gegen zwei Geschädigte richtete, aus dem Blick geraten sein.

2. Allerdings bedarf die Frage der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB erneuter Prüfung.

a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Anordnungsvoraussetzungen nach § 63 Satz 1 StGB richten. Rechtsfehlerfrei hat es mit sachverständiger Hilfe einen überdauernden Zustand im Sinne von § 20 StGB festgestellt, der bei den abgeurteilten Straftaten jeweils sicher zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB geführt hat.

b) Allerdings hat die Strafkammer bei ihrer Gefährlichkeitsprognose einen zu strengen Maßstab angelegt.

aa) Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus wird nach § 63 Satz 1 StGB angeordnet, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (st. Rspr. vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Januar 2017 - 3 StR 421/16 mwN). Straftaten, die wie die vorsätzliche Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, gehören regelmäßig zum Bereich der mittleren Kriminalität. Lediglich Straftaten, die höchstens mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind nicht mehr ohne Weiteres diesem Bereich zuzurechnen (vgl. BGH aaO mwN; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12; BT-Drucks. 18/7244 S. 18; abweichend - wohl versehentlich - BGH, Beschluss vom 13. Juni 2017 - 2 StR 24/17; zutreffend Peglau jurisPR StrafR 18/2017 Anm. 2). Gewalt- und Aggressionsdelikte gehören regelmäßig zu den erheblichen Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN).

Um auch bei derartigen Straftaten die Anordnung der schwerwiegenden Maßregel einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gerade in Fällen geringfügiger vorsätzlicher Körperverletzungen zu begrenzen, hat der Gesetzgeber durch die Neufassung von § 63 Satz 1 StGB im Sinne der bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass es durch solche Taten auch zu erheblichen körperlichen oder seelischen Schäden oder Gefährdungen der Opfer kommen muss (eingehend BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Deshalb muss auch bei drohenden Körperverletzungen im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob diese zu einer „erheblichen“ Schädigung oder Gefährdung führen und deshalb den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 18). Drohende Körperverletzungsdelikte wie eine einfache Ohrfeige, die nur mit geringer Gewaltanwendung verbunden sind und nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit überschreiten, reichen als zu erwartende Taten nicht aus; gleiches gilt für niedrigschwellige Körperverletzungsdelikte wie etwa Ziehen an den Haaren, ein Stoß gegen die Brust oder ein Kniff in das Gesäß (vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 18 f.). Allerdings verbietet sich jede schematische Betrachtung. Erforderlich ist eine Gesamtabwägung, in die neben der Schwere einer drohenden Tat insbesondere auch die Häufigkeit und die Rückfallfrequenz einzustellen sind (BT-Drucks. 18/7244 S. 19).

bb) Schon nach diesen Maßstäben ist die Körperverletzungstat gegenüber dem Geschädigten G. - anders als die Strafkammer meint - ohne Weiteres als erhebliche Straftat im vorgenannten Sinne einzuordnen. Der Schlag ins Gesicht war so massiv, dass der Zeuge zu Boden fiel und einen operationsbedürftigen Trommelfellriss erlitt, was zu erheblichen Einschränkungen in seiner Lebensführung und der Gefährdung seiner Ausbildung führte (vgl. zur Berücksichtigung möglicher Verletzungsfolgen auch van Gemmeren in MüKoStGB, 3. Aufl., § 63 Rn. 54). Zudem wurde der Angriff gegen ein Zufallsopfer im öffentlichen Raum geführt, nachdem der Angeklagte durch sein Urinieren an die Wand einer Fachhochschule Anlass zur Kritik gegeben hatte. Ein solches Verhalten ist in hohem Maße geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Angesichts des ungeklärten aufenthaltsrechtlichen Status des Angeklagten ist entgegen der Auffassung der Strafkammer für die Gefährlichkeitsprognose auch irrelevant, dass seine Abschiebung möglich und deshalb offen ist, ob er überhaupt Gelegenheit hat, weitere Straftaten zu begehen. Dies gilt schon deswegen, weil die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt des Urteils bezogen ist (vgl. van Gemmeren, aaO, § 63 Rn. 61 mwN) und lediglich theoretisch mögliche Entwicklungen außer Betracht bleiben.

c) Eine Anordnung nach § 63 StGB scheidet auch nicht aus anderen Gründen aus. Angesichts der rechtfehlerfreien Feststellung des Landgerichts, aufgrund der Persönlichkeitsstörung sei die Rückfallwahrscheinlichkeit des mit ähnlichen Delikten in der Vergangenheit aufgefallenen krankheitsuneinsichtigen Angeklagten als hoch einzuschätzen und es seien gleichgelagerte erhebliche Taten zu erwarten, bedarf die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vielmehr erneuter tatgerichtlicher Prüfung.

3. Die Aufhebung des Urteils, soweit von der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB abgesehen wurde, hat keinen Einfluss auf die Höhe der verhängten Einzelstrafen. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht noch mildere Einzelstrafen verhängt hätte, wenn es daneben die Maßregel angeordnet hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 19

Bearbeiter: Christian Becker