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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 970

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 134/17, Urteil v. 12.07.2017, HRRS 2017 Nr. 970


BGH 5 StR 134/17 - Urteil vom 12. Juli 2017 (LG Hamburg)

Aussetzung durch Ablegen einer schwer alkoholisierten Person in einem Hinterhof (Versetzen in eine hilflose Lage); Aussetzung durch Unterlassen (Garantenstellung aufgrund vorausgegangener sexueller Misshandlungen); sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person (Unrechtskontinuität zwischen altem und neuem Recht).

§ 221 StGB; § 13 StGB; § 179 StGB a.F.; § 177 StGB n.F.

Leitsatz des Bearbeiters

In einer hilflosen Lage im Sinne von § 221 Abs. 1 StGB befindet sich, wer der - zunächst zumindest abstrakten - Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung ohne die Möglichkeit eigener oder fremder Hilfe ausgesetzt ist (hier: Ablegen einer schwer alkoholisierten Person in einem Hinterhof bei winterlichen Temperaturen). Kennzeichnend hierfür ist das Fehlen hypothetisch rettungsgeeigneter sächlicher Faktoren und hilfsfähiger sowie generell auch hilfsbereiter Personen. Die Aussetzung kann nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB auch durch Unterlassen begangen werden, wenn ein Garant das Aussetzen durch einen Dritten nicht verhindert.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Oktober 2016 mit Ausnahme der Feststellungen zum Tatgeschehen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die Revisionen der Angeklagten P. und He. werden verworfen.

Der Angeklagte P. hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Es wird davon abgesehen, den Angeklagten S. und He. die Kosten ihrer Rechtsmittel aufzuerlegen; sie haben jedoch die der Nebenklägerin jeweils hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:

- P. und Ka. wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung, den Angeklagten P. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren, den Angeklagten Ka. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten,

- S. wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen sowie wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren,

- M. wegen schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person sowie wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten,

- He. wegen Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person in Tateinheit mit Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen sowie wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr.

Die Vollstreckung der Jugendstrafen hat es jeweils zur Bewährung ausgesetzt.

2 Gegen dieses Urteil haben die Angeklagten P., He. und S. - dieser hat sein Rechtsmittel in der Hauptverhandlung zurückgenommen - sowie die Staatsanwaltschaft zu Lasten aller Angeklagten Revisionen eingelegt und diese jeweils mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Staatsanwaltschaft erstrebt insbesondere die Verurteilung der Angeklagten P., M. und Ka. auch wegen Aussetzung (§ 221 StGB) und gefährlicher Körperverletzung in Form einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) und rügt die Strafzumessung. Während ihre Revisionen im tenorierten Umfang zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, bleiben die Revisionen der Angeklagten ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Die Angeklagten Ka. (16 Jahre), S. (16 Jahre), He. (15 Jahre) und P. (21 Jahre) feierten bis in die frühen Morgenstunden des 11. Februar 2016 in der Wohnung des Angeklagten M., der allein zu Hause war, dessen 14. Geburtstag. An der Feier nahm auch die 14-jährige B., eine Mitbewohnerin der Angeklagten He., teil und trank erhebliche Mengen Alkohol. Der Angeklagte Ka. und B. flirteten miteinander und zogen sich schließlich ins Schlafzimmer zurück, wo sie einvernehmlich Geschlechtsverkehr hatten. Nachdem Ka. das Schlafzimmer wieder verlassen hatte, fand die Angeklagte He. die Geschädigte entblößt und infolge ihres Alkoholkonsums nicht mehr ansprechbar auf der Schlafcouch vor. Unter Ausnutzung ihrer erkennbaren Widerstandsunfähigkeit führte der in seiner Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt erheblich verminderte Angeklagte P. an der Geschädigten den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch. Nachdem B. auf das Kopfkissen erbrochen hatte, fertigte zunächst der Angeklagte S. mit seinem Mobiltelefon Filmaufnahmen von der weitgehend Unbekleideten. Auf seine Idee hin führten er sowie die Angeklagten M. und Ka., dessen Steuerungsfähigkeit ebenfalls alkoholbedingt erheblich vermindert war, der Geschädigten jeweils abwechselnd eine Bierflasche, der Angeklagte S. zudem eine Wodkaflasche in die Vagina ein. Von diesem Geschehen fertigten die Angeklagten S., He., Ka. und P. Videoaufnahmen mit Mobiltelefonen, wobei He. auch Anweisungen an die handelnden Personen gab. B. war während der gesamten Zeit infolge ihres Alkoholkonsums nicht in der Lage, einen Willensentschluss gegen das „sexuelle Ansinnen“ der Angeklagten zu bilden, zu äußern und durchzusetzen.

Als die Geschädigte schließlich zu schreien begann, schlug der Angeklagte Ka. vor, sie „rauszuschmeißen“. Ungeachtet des Widerspruchs von S. und He. verbrachten Ka., M. und P. zwischen 6.30 Uhr und 6.50 Uhr das nur spärlich bekleidete, schreiende Mädchen bei Außentemperaturen um den Gefrierpunkt in einen Hinterhof, wo sie es liegen ließen und sich entfernten. Dabei nahmen sie billigend in Kauf, dass die Geschädigte eine Unterkühlung erleiden würde; ihren etwaigen Erfrierungstod billigten sie nicht. S. und He. kamen der Geschädigten nicht zu Hilfe. Um 6.53 Uhr wurde B. von Polizeikräften gefunden, die durch einen Nachbarn informiert worden waren. Sie erlitt eine Absenkung der Körpertemperatur auf 35,4 Grad Celsius und musste aufgrund ihrer erheblichen Alkoholisierung zunächst auf der Intensivstation behandelt werden. Nach dem Tatgeschehen zog sie sich zurück. Im Mai 2016 verließ sie die Jugendwohnung in H. und brach den Kontakt zu ihrer Familie und der Nebenklägervertreterin ab. Ihr Aufenthalt war im Zeitpunkt der tatgerichtlichen Hauptverhandlung unbekannt.

2. Die Revisionen der Angeklagten P. und He. sind unbegründet.

a) Die Verurteilungen wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen nach § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 und 2 StGB in der bis 9. November 2016 geltenden Fassung bzw. Beihilfe hierzu können bestehen bleiben, weil ausgeschlossen werden kann, dass die durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I 2460) - umgestaltete Vorschrift des § 177 StGB nF bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise als milderes Recht Anwendung findet (§ 2 Abs. 3 StGB).

Die vom Angeklagten P. begangene sexuelle Handlung gegen die bereits zur Bildung bzw. Äußerung eines entgegenstehenden Willens unfähige Geschädigte (vgl. UA S. 19) sowie die sexuellen Missbrauchshandlungen der übrigen Angeklagten, zu denen die Angeklagte He. Hilfe geleistet hat, sind nach Inkrafttreten des genannten Gesetzes am 10. November 2016 von § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. März 2017 - 1 StR 52/17, und vom 9. Mai 2017 - 4 StR 366/16). Diese Regelung stellt im Sinne notwendiger Unrechtskontinuität eine Nachfolgeregelung zu § 179 Abs. 1 StGB aF dar; denn sowohl das Schutzgut als auch die inkriminierte Angriffsrichtung sind unverändert geblieben.

Allerdings sieht § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine geringere Höchststrafe vor als § 179 Abs. 1 StGB aF, was sich auch auf die Gewichtung des von der jugendlichen Angeklagten He. verwirklichten Unrechts zu ihren Gunsten auswirken könnte. Indes haben die Angeklagten den Qualifikationstatbestand des § 179 Abs. 5 StGB aF in den Varianten der Nummern 1 und 2 verwirklicht; eine diese Varianten aufgreifende Strafschärfung mit identischem Strafrahmen sieht § 177 Abs. 6 Nr. 1 und 2 StGB vor, der jedoch lediglich Regelbeispiele eines besonders schweren Falls benennt. Ob die nach § 354a StPO auch im Revisionsverfahren zu beachtende Änderung des materiellen Rechts bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise nach § 2 Abs. 3 StGB die Anwendung des neuen Rechts zur Folge hat, hängt demnach von der als Strafzumessungsakt grundsätzlich allein dem Tatgericht obliegenden Entscheidung über die Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB ab (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2017 aaO).

Vorliegend kann der Senat jedoch bereits auf der Grundlage der Strafzumessungserwägungen des Landgerichts feststellen, dass ein Absehen von der Regelwirkung des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 und 2 StGB im konkreten Fall nicht in Betracht käme. Dies ergibt sich für den erwachsenen Angeklagten P. aus der Begründung, mit der das Landgericht die Anwendung des § 179 Abs. 6 StGB aF abgelehnt hat (UA S. 108). Für die jugendliche Angeklagte He. hat das Landgericht entsprechende Erwägungen im Rahmen der Prüfung der Schuldschwere angestellt (UA S. 96 ff.). Gemäß § 2 Abs. 1 StGB findet demnach weiterhin § 179 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1 Alternative 2, Nr. 2 StGB aF Anwendung.

b) Die umfassende sachlich-rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils betreffend die zwei revidierenden Angeklagten hat keine Fehler zu ihrem Nachteil zutage treten lassen.

Die Feststellungen belegen die Beihilfe der Angeklagten He. zu den abgeurteilten sexualbezogenen Tathandlungen der übrigen Angeklagten nach Vollzug des Geschlechtsverkehrs durch den Angeklagten P. Die Ahndung ihrer Taten mit Jugendstrafe ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Dass die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld - ungeachtet ihres Alters und fehlender Vorbelastungen - erzieherisch unerlässlich ist, hat das Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt.

3. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind im tenorierten Umfang begründet; im Übrigen sind sie unbegründet.

Die Schuldsprüche gegen die Angeklagten haben insgesamt keinen Bestand.

a) Da die Jugendkammer die Anfertigung der Videoaufnahmen von dem sexuellen Missbrauch der Geschädigten durch die Angeklagten nicht unter dem Gesichtspunkt des Herstellens oder Sichverschaffens jugendpornographischer Schriften (§ 184c Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB) bzw. der Beihilfe hierzu (Angeklagter M., insoweit auch zu § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB) gewürdigt hat, können die - für sich genommen rechtsfehlerfreien - Schuldsprüche wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB), betreffend die Angeklagten P., S. und Ka., in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person, nicht bestehen bleiben.

b) Die Staatsanwaltschaft beanstandet ferner zu Recht, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob das Ablegen der Geschädigten in dem Hof bei einer Temperatur von etwa null Grad Celsius durch die Angeklagten P., M. und Ka. den Tatbestand der Aussetzung (§ 221 StGB) erfüllt.

aa) In Frage kommt hier die Tatbestandsalternative des Versetzens in eine hilflose Lage (§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB). In einer hilflosen Lage im Sinne von § 221 Abs. 1 StGB befindet sich, wer der - zunächst zumindest abstrakten - Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung ohne die Möglichkeit eigener oder fremder Hilfe ausgesetzt ist. Kennzeichnend hierfür ist das Fehlen hypothetisch rettungsgeeigneter sächlicher Faktoren und hilfsfähiger sowie generell auch hilfsbereiter Personen (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, NStZ 2008, 395; SSWStGB/Momsen, 3. Aufl., § 221 Rn. 3). Die betroffene Person muss sich in einem Zustand befinden, in dem sie schutzlos Lebens- oder Leibesgefahren preisgegeben ist, falls ihr nicht ein rettender Zufall zu Hilfe kommt (BGH, Urteile vom 24. Februar 1966 - 1 StR 587/65, BGHSt 21, 44, 45 f., und vom 5. Dezember 1974 - 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 37, jeweils zu § 221 StGB aF). Versetzen in diesen Zustand ist das zurechenbare Hervorrufen oder Steigern einer hilflosen Lage; es ist auch gegeben, wenn der Täter das Opfer in eine Lage bringt, in der es mehr Hilfe nötig hat als in der früheren (MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 221 Rn. 8 ff.). Hierdurch muss die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung eingetreten sein oder sich gesteigert haben (vgl. BT-Drucks. 13/9064 S. 14). Es muss indes nicht zum Eintritt einer schweren Gesundheitsbeschädigung oder des Todes gekommen sein.

bb) Nach diesen Maßstäben hätte der Erörterung bedurft, ob - was nahe lag - das Verbringen der alkoholbedingt nicht ansprechbaren und zu koordiniertem Verhalten unfähigen, spärlich bekleideten B. in den Hof als Versetzen in eine hilflose Lage anzusehen ist (vgl. KG, JR 1973, 72 f.). Angesichts der Tatsache, dass sich die abgesunkene Körpertemperatur der - noch zeitnah aufgefundenen (UA S. 24) - Geschädigten bereits der Grenze von 35 Grad Celsius genähert hatte, unterhalb derer eine Hypothermie angenommen wird (UA S. 67), ihre Alkoholisierung eine Unterkühlung weiter förderte und - nach den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Tatgericht angeschlossen hat - wegen ihrer erheblichen Alkoholisierung die Gefahr bestand, dass die Geschädigte einschlafen, erneut erbrechen und Erbrochenes dabei in die Lunge geraten würde, hätte sich das Urteil mit dem Eintreten bzw. Verstärken einer bereits konkreten Lebens- oder schweren Gesundheitsgefahr für die Geschädigte näher auseinandersetzen müssen. Einer solchen stand nicht ohne weiteres entgegen, dass die Geschädigte an einem Werktag gegen sieben Uhr in den Hinterhof eines „belebten“ Wohnhauses gebracht wurde (UA S. 70).

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Schuldsprüche wegen gefährlicher Körperverletzung.

c) Die Schuldsprüche gegen die Angeklagten He. und S. wegen unterlassener Hilfeleistung können ebenfalls nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat sich nicht mit einer möglichen Strafbarkeit dieser Angeklagten wegen einer jeweils durch Unterlassen (§ 13 StGB) begangenen Aussetzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung auseinandergesetzt, obwohl dazu Anlass bestand.

Wie die gefährliche Körperverletzung kann auch die Aussetzung nach § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB durch Unterlassen begangen werden, wenn ein Garant das Aussetzen durch einen Dritten nicht verhindert (SSWStGB/Momsen, aaO, § 221 Rn. 5). Eine Garantenstellung der beiden Angeklagten, die für sie die Pflicht zur Erfolgsabwendung begründet hat, kann sich hier aus ihrer Beteiligung an dem sexuellen Missbrauch der Geschädigten ergeben (vgl. BGH, Urteile vom 22. September 1992 - 5 StR 379/92, BGHSt 38, 356, 358; vom 20 21 22 23. Oktober 1985 - 3 StR 300/85, StV 1986, 59 f., und vom 12. September 1984 - 3 StR 245/84, BGH, NStZ 1985, 24; Beschluss vom 22. Dezember 1981 - 1 StR 729/81, StV 1982, 218). Sie setzt voraus, dass ihr Vorverhalten die nahe Gefahr eines Eintritts gerade des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeigeführt hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. März 2017 - 1 StR 466/16, NJW 2017, 2052, 2054). Insoweit liegt nicht fern, dass gerade die entwürdigende sexuelle Misshandlung des widerstandsunfähigen Opfers, die ganz wesentlich von diesen beiden Angeklagten initiiert und bestärkt wurde, mitursächlich dafür war, dass die anderen Angeklagten die Geschädigte in den Hof trugen. Denn bei diesen kann - im Rahmen des gruppendynamischen Geschehens - der Eindruck entstanden sein, man könne mit der Geschädigten nach Belieben wie mit einer Sache verfahren und sie deshalb auch in lebensgefährdender Weise auf dem Hof geradezu „entsorgen“. Zugleich war Anlass für diese Behandlung der Geschädigten, dass sie naheliegenderweise aufgrund der Misshandlungen, an denen die beiden Angeklagten maßgeblich beteiligt waren, zu schreien anfing. Auch damit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Schuldsprüche wegen unterlassener Hilfeleistung.

d) Einen weiteren Rechtsfehler stellt schließlich die Nichterörterung von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bezüglich der Angeklagten P., M. und Ka. dar, die sich zu ihren Gunsten auf ihre Strafen ausgewirkt haben kann.

Das Ablegen eines spärlich bekleideten, schwerstalkoholisierten Menschen im Freien bei einer Außentemperatur von etwa Null Grad Celsius begründet für sich genommen typischerweise eine abstrakte Gefahr für dessen Leben im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB als Folge einer Unterkühlung; das Entstehen einer konkreten Lebensgefahr ist zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht erforderlich. Vor diesem Hintergrund fehlen ausreichende Erörterungen dazu, warum die Jugendkammer diese abstrakte Gefahr vorliegend ausnahmsweise als nicht gegeben erachtet hat.

e) Die Überprüfung des Urteils auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hat hingegen keinen Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten S., M. und Ka. ergeben (§ 301 StPO). Die Ausführungen zur Anwendung von § 179 StGB bei den Angeklagten P. und He. (vgl. oben 2. a) gelten angesichts der Erwägungen, die das Landgericht auch hinsichtlich der übrigen Angeklagten im Rahmen der Prüfung der Schuldschwere angestellt hat (vgl. UA S. 85 f., 91 f. und 103 f.), bei diesen entsprechend.

4. Einer Aufhebung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatgeschehen bedarf es nicht. Sie können um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

5. Für die neue tatgerichtliche Verhandlung weist der Senat abschließend auf Folgendes hin:

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im Falle des Angeklagten P. nur einen schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person in der Begehungsweise des § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB (Beischlaf) und nicht auch in der Variante des § 179 Abs. 5 Nr. 2 StGB (von mehreren gemeinschaftlich) angenommen hat. Denn bei Vollzug des Geschlechtsverkehrs an der widerstandsunfähigen Geschädigten befand er sich mit dieser allein im Schlafzimmer; die übrigen Angeklagten waren hieran nicht beteiligt. An den weiteren Missbrauchshandlungen durch Einführen von Flaschen hat er nicht - wie für die Annahme der Verwirklichung des § 179 Abs. 5 Nr. 2 StGB erforderlich - als Mittäter mitgewirkt (vgl. zu § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB aF: BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 3 StR 278/16, StV 2017, 387).

Soweit sich dieser Angeklagte mit der Anfertigung von Filmaufnahmen als Gehilfe an dem sexuellen Missbrauch der Geschädigten durch die übrigen männlichen Mitangeklagten beteiligt haben kann, liegt angesichts der - was ihn betrifft - bloßen Fortsetzung der Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit der Geschädigten nach Vollzug des Geschlechtsverkehrs bei natürlicher Auffassung des Gesamtvorganges ein einheitliches Tatgeschehen vor. Daher geht eine etwaige Beihilfe zum schweren sexuellen Missbrauch einer Widerstandsunfähigen in dem täterschaftlich verwirklichten Delikt auf (vgl. LKStGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 52 Rn. 18).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 970

Externe Fundstellen: NStZ 2018, 209 ; StV 2019, 557

Bearbeiter: Christian Becker