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HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 724

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 583/15, Urteil v. 11.05.2016, HRRS 2016 Nr. 724


BGH 5 StR 583/15 - Urteil vom 11. Mai 2016 (LG Dresden)

Bandendiebstahl (Beurteilung der Beteiligung an Bandentat unabhängig von Bandenmitgliedschaft; psychische Beihilfe durch präsente Bereitschaft zur Unterstützung; psychischer Rückhalt; Bereitschaft zur „Vertretung“; Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs).

§ 242 StGB; § 243 StGB § 244 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Allein die Bandenmitgliedschaft kann nicht zu einer Verurteilung wegen Beteiligung an allen von den Bandenmitgliedern begangenen Tathandlungen führen. Die Bandenmitgliedschaft und die Beteiligung an einer Bandentat sind vielmehr unabhängig voneinander zu beurteilen. Für jede einzelne Tat ist nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder ob sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben.

2. Wer innerhalb eines persönlichen Näheverhältnisses (hier: Eheleute) durch sein Verhalten eine präsente Bereitschaft zum Ausdruck bringt, den Partner bei Straftaten zu unterstützen, leistet u.U. psychische Beihilfe zu konkret begangenen Taten, wenn das Verhalten über ein bloßes Dulden der kriminellen Machenschaften hinausgeht. Darin kann eine konkludente Billigung der Straftaten liegen, die dem Täter psychischen Rückhalt bei seiner Tätigkeit bietet und ihn in Tatplan, -entschluss und -ausführungswillen unterstützend bestärkt. Insbesondere die Bereitschaft zur „Vertretung“ im Verhinderungsfall kann zur Aufrechterhaltung des auf Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebs“ Hilfe leisten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 2. Juli 2015, soweit es die Angeklagte betrifft, in den Fällen 3 bis 16 und 18 bis 21 der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte von dem Vorwurf freigesprochen, gemeinschaftlich mit ihrem mitangeklagten Ehemann gewerbs- und bandenmäßig in 16 Fällen Pkw gestohlen zu haben und dies in 20 weiteren Fällen versucht zu haben (§ 242 Abs. 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3, § 244a Abs. 1, §§ 22, 23, 25 Abs. 2, § 53 StGB). Ihren Ehemann Li. hat es - unter Freispruch im Übrigen - wegen schweren Bandendiebstahls in zwölf Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in fünf Fällen und Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision auf den Freispruch der Angeklagten in den Fällen beschränkt, in denen ihr mitangeklagter Ehemann verurteilt wurde. Die Revision ist erfolgreich.

1. Nach den Feststellungen bestand bereits im Sommer 2012 eine „Diebesbande“ um den Mitangeklagten Li., die Angeklagte sowie weitere tschechische Staatsangehörige, die sich zusammengeschlossen hatten, um in Li. s Auftrag hochwertige Autos zu entwenden und diese der weiteren Verwertung durch Li. zuzuführen. Alle beabsichtigten, hieraus Gewinn zu erzielen, um sich auf diese Weise über einen längeren Zeitraum eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu verschaffen.

Im Sommer 2012 lernten der Mitangeklagte Li. und die Angeklagte den gesondert verfolgten Zeugen I. kennen, der wegen seines Rauschgiftkonsums auf eine Einnahmequelle angewiesen war und davon gehört hatte, dass Li. „Leute unter sich habe, die Autos für ihn entwendeten“ (UA S. 10). Nachdem I. in Dresden auftragsgemäß das erste Auto entwendet und nach Tschechien gebracht hatte, schloss auch er sich der bereits bestehenden Bande an. Li. sorgte im Rahmen der Bandenabrede unter anderem für die benötigten Werkzeuge; für sie hatte er in Dresden zwei Verstecke eingerichtet, auf die die Bandenmitglieder zugreifen konnten. Die Aufgabe I. s und auch die der anderen Bandenmitglieder war es, gemäß den von Li. erteilten Aufträgen in Dresden Fahrzeuge zu entwenden, nach Tschechien zu bringen und dort dem Mitangeklagten oder der Angeklagten zu übergeben. I. erhielt für die übergebenen Autos ein festes Honorar, das ihm meist von Li., manchmal jedoch von der Angeklagten übergeben wurde. Wenn Li. nicht vor Ort war, beauftragte er die Angeklagte, seine Aufgaben fortzuführen, zum Beispiel gestohlene Autos entgegenzunehmen und Lohn auszuzahlen (UA S. 14). Die Autos übergab Li. seinen Abnehmern.

2. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte in die Bandenabrede eingebunden war (UA S. 64 ff.). Sie sei die „rechte Hand“ ihres Ehemanns gewesen und habe ihn in seiner Abwesenheit vertreten. In mindestens zwei Fällen habe sie dem Zeugen I. in Vertretung ihres Ehemannes den Lohn ausgezahlt. Diese Fälle hätten sich indes nicht sicher zeitlich einordnen lassen. Ebenso verhalte es sich mit dem Umstand, dass sie den Zeugen in Abwesenheit ihres Ehemannes gedrängt habe, nach Deutschland zu fahren, um Autos „zu holen“. Wie der Mitangeklagte habe sie die Handys der Bandenmitglieder aufgeladen und neue Handys und SIM-Karten besorgt, wenn diese nach kurzer Zeit ausgetauscht werden sollten. In Telefonaten der Eheleute Li. mit einem weiteren in derselben JVA wie der Zeuge I. einsitzenden Bandenmitglied habe die Angeklagte den Angerufenen unter anderem aufgefordert, I. auszurichten, dass er sich gut überlegen solle, was er bei der Polizei zu sagen habe. Die Angeklagte habe auch Interesse an der Bandenabrede und den zu entwendenden Fahrzeugen gehabt; bereits im Jahr 2011 sei sie wegen eines gemeinschaftlich mit ihrem Ehemann und einem Dritten begangenen versuchten Diebstahls eines Pkw verurteilt worden. Schließlich habe sie auch von den Einnahmen aus den Autoverkäufen profitiert.

Das Landgericht hat die Angeklagte dennoch aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, da ihr ungeachtet der Feststellung ihrer Bandenmitgliedschaft eine Beteiligung an den ihr konkret vorgeworfenen Straftaten nicht habe nachgewiesen werden können.

3. Der Freispruch der Angeklagten hält in dem von der Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision angegriffenen Umfang sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass allein die Bandenmitgliedschaft der Angeklagten nicht zu einer Verurteilung wegen Beteiligung an allen von den Bandenmitgliedern begangenen Tathandlungen führen kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Bandenmitgliedschaft und die Beteiligung an einer Bandentat unabhängig voneinander zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2012 - 4 StR 665/11, StV 2012, 669 f. mwN). Schließen sich mehrere Täter zu einer Bande zusammen, um fortgesetzt Diebstähle nach § 243 Abs. 1 Satz 2, § 244a Abs. 1 StGB zu begehen, hat dies nicht zur Folge, dass jede von einem Bandenmitglied aufgrund der Bandenabrede begangene Tat den anderen Bandenmitgliedern ohne weiteres zugerechnet werden kann. Vielmehr ist für jede einzelne Tat nach den allgemeinen Kriterien festzustellen, ob sich die anderen Bandenmitglieder hieran als Mittäter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt oder sie gegebenenfalls überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet haben (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 162/07, BGHR StGB § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Bande 2; vom 24. Juli 2008 - 3 StR 243/08, StV 2009, 130; vom 14. November 2012 - 3 StR 403/12, StV 2013, 386 f., und vom 5. Februar 2013 - 3 StR 499/12, wistra 2013, 307 f.).

b) Nach diesen Maßstäben lassen sich zwar die vom Landgericht festgestellten physischen Beiträge der Angeklagten zur Bandentätigkeit keiner der von ihrem mitangeklagten Ehemann begangenen Taten konkret zuordnen. Soweit die Angeklagte nach den Feststellungen zu Fall 15 (UA S. 26 f.) dem Zeugen I. zusagte, ihm einen in Tschechien gestohlenen Skoda Oktavia abnehmen zu wollen, war dieser Diebstahl nicht Gegenstand der Anklage.

c) Das Landgericht hätte allerdings prüfen müssen, ob die Angeklagte ihrem Ehemann durch ihre in ihrem Verhalten zum Ausdruck gebrachte präsente Bereitschaft, ihn bei seinen Straftaten zu unterstützen, zumindest psychisch Hilfe geleistet hat. Ihr Verhalten ging über ein bloßes, nicht beihilferelevantes Dulden der kriminellen Machenschaften ihres Ehemannes weit hinaus. Zu erwägen war daher, inwieweit die Angeklagte innerhalb des persönlichen Näheverhältnisses durch ihre - wenn auch nicht den verfahrensgegenständlichen Delikten konkret zuzuordnende - Hilfestellung und die damit verbundene tätige (konkludente) Billigung der vom Mitangeklagten verübten Straftaten diesem psychischen Rückhalt bei seiner Tätigkeit als Bandenchef bot und ihn in Tatplan, -entschluss und -ausführungswillen unterstützend bestärkte (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 27 Rn. 11).

Darüber hinaus hätte das Landgericht in den Blick nehmen müssen, dass sich die physischen Unterstützungshandlungen der Angeklagten nicht in Handreichungen bei einzelnen Bandentaten erschöpften. Vielmehr leistete sie „als ‚rechte Hand‘ des Angeklagten Li. Beiträge im Gesamtgefüge“ (UA S. 64) und war damit dauerhaft gleichsam als „Assistentin auf Leitungsebene“ für die Bande tätig. Das Landgericht hätte erörtern müssen, ob die Angeklagte etwa insbesondere durch ihre festgestellte Bereitschaft, ihren Ehemann bei dessen Verhinderung zu vertreten, Tatbeiträge erbracht hat, durch die alle oder mehrere Einzeldelikte des Mitangeklagten gleichzeitig gefördert worden sind, und sie damit zur Aufrechterhaltung des auf Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebs“ der Bande Hilfe geleistet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2012 - 3 StR 403/12, StV 2013, 386, 387).

In diesem Fall wären ihr die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in ihrer Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft würden; dass der Mitangeklagte die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen hat, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 183 mwN). Nach diesen Grundsätzen ist auch die Teilnahme in Form der psychischen Beihilfe, die mehrere rechtlich selbständige Haupttaten gefördert hat, als tateinheitlich begangen zu werten (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 5 StR 71/15, NJW 2015, 2901, 2903; Heine/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 27 Rn. 42).

4. Die Urteilsaufhebung wegen der aufgezeigten Rechtsfehler führt auch dazu, dass der Ausspruch über die Entschädigungspflicht für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen keinen Bestand hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2016 Nr. 724

Bearbeiter: Christian Becker