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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1333

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 64/24, Beschluss v. 03.07.2024, HRRS 2024 Nr. 1333


BGH 4 StR 64/24 - Beschluss vom 3. Juli 2024 (LG Bochum)

Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion (Tenorierung; Tateinheit); Strafzumessung (Pflichtverstoß; Unterlassen: Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit, Fahrlässigkeit).

§ 308 StGB; § 52 StGB; § 46 StGB; § 13 StGB; § 46 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Besteht der Pflichtverstoß nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit in einem aktiven Tun, scheidet zwar eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 13 Abs. 2 StGB aus. Die mit dieser Norm verbundene gesetzliche Wertung ist aber zu berücksichtigen, wenn weitere einschlägige Sorgfaltswidrigkeiten als solche in einem Unterlassen liegen. Auch bei einem Fahrlässigkeitsvorwurf kann ein Unterlassen weniger schwer wiegen als aktives Tun.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 27. Oktober 2023

a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte der fahrlässigen Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in drei tateinheitlichen Fällen schuldig ist;

b) im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet wurde, in einem Fall, in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig Leib und Leben eines anderen Menschen gefährdet wurde, in einem weiteren Fall, in Tateinheit mit fahrlässigem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, wobei fahrlässig eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet wurde, in einem weiteren Fall“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die mit den Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts geführte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Die Verfahrensrügen haben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Erfolg. Insbesondere genügen die Rügen, mit denen die Revision die Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO geltend macht und die allein zusätzlicher Erörterung bedürfen, den Vortragserfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht. Sie sind folglich unzulässig.

Dabei bedarf keiner Entscheidung, ob die Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO jedenfalls bei einem verteidigten Angeklagten lediglich dann in der Revision geltend gemacht werden kann, wenn - woran es hier fehlt - in der tatrichterlichen Hauptverhandlung Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO gestellt worden war (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 1 StR 126/11; offen BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17 Rn. 21). Denn um den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu genügen, bedarf es jedenfalls auch eines Vortrags dazu, welche Äußerungsmöglichkeiten mit welchen Inhalten dem Angeklagten verloren gegangen sind und aus welchen Gründen er durch den Verstoß gegen § 257 Abs. 1 StPO in seinen Verteidigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichenden rechtlichen Gehörs unzulässig beschränkt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 StR 651/17 Rn. 20 mwN; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 257 Rn. 9). Dem genügt die Revision nicht, denn sie trägt keine unterbliebenen konkreten Erklärungen nach § 257 Abs. 1 StPO vor. Vielmehr hebt sie darauf ab, dass der Angeklagte jede Beweiserhebung genutzt hätte, um (insbesondere) die „Erstaunlichkeit der Luftdruckverhältnisse“ zu klären, er weitere Einzelheiten von Zeugen und Sachverständigen erfragt und die Umstände mit ihnen und dem Gericht „erörtert“ hätte. Damit vermengt die Revision auch in unzulässiger Weise die Befragung gemäß § 257 Abs. 1 StPO nach der Beweiserhebung mit dem Fragerecht des Angeklagten während der Vernehmung einer Auskunftsperson. Die Revision hält zwar zugleich § 240 Abs. 2 Satz 1 StPO für verletzt, legt aber auch dies nicht dar. Denn die Revisionsbegründung enthält keine Ausführungen dazu, dass dem Angeklagten die verlangte Befragung einer Auskunftsperson im Rahmen von deren Vernehmung verwehrt worden wäre.

Vor diesem Hintergrund wäre auch das Beruhen des Urteils auf einer Verletzung von § 257 Abs. 1 StPO auszuschließen. Zu der Gegenerklärung vom 21. März 2024 ist zu bemerken, dass dem Senat wie ersichtlich schon dem Generalbundesanwalt kein anderes Hauptverhandlungsprotokoll als der Verteidigung vorliegt.

II.

1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Der Senat hat lediglich auf Anregung des Generalbundesanwalts den Schuldspruch klargestellt. Das Landgericht wollte mit seiner Tenorierung zum Ausdruck bringen, dass es durch die vom Angeklagten verursachte Gasexplosion den Tatbestand des § 308 Abs. 1 und 6 StGB in drei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen als verwirklicht angesehen hat. Gegen diese Rechtsansicht ist nichts zu erinnern. Es liegt nicht etwa nur eine Tat vor (vgl. zur Abgrenzung BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 - 4 StR 487/15 Rn. 23 mwN). Denn § 308 Abs. 1 StGB stellt zwar als „gemeingefährliche Straftat“ auf die Verletzung von Gesamtheiten ab, schützt aber mit dem Leib und Leben anderer Menschen zugleich höchstpersönliche Rechtsgüter. Dabei dient die Norm auch nicht in erster Linie dem Schutz eines anderen Rechtsguts, wie dies im Rahmen von §§ 315b, 315c StGB mit der Sicherheit des Straßenverkehrs der Fall ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 23. Mai 1989 - 4 StR 190/89 Rn. 5; Urteil vom 20. Oktober 1988 - 4 StR 335/88 Rn. 13). Aus diesen Gründen liegen über das eingestürzte Haus von bedeutendem Wert hinaus im Hinblick auf die getötete und auf die verletzte Person zwei weitere Fälle des § 308 Abs. 1 und 6 StGB vor. Die drei Fälle stehen wegen der identischen Tathandlungen des Angeklagten in gleichartiger Idealkonkurrenz (§ 52 StGB; vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. November 2021 - 4 StR 133/21 zu § 306c StGB). Demgemäß hat der Senat den Schuldspruch neu gefasst.

2. Der Strafausspruch hat hingegen - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 14. März 2018 - 2 StR 416/16 Rn. 12 mwN) - keinen Bestand.

a) Den mildernden Umstand, dass der Angeklagte unbestraft ist, hat die Strafkammer rechtsfehlerhaft nicht mit dem ihm nach den Urteilsgründen gebührenden Gewicht bei der Strafzumessung berücksichtigt. Zwar hat sie diesen Umstand nicht aus dem Blick verloren, ihm aber „nur geringes Gewicht“ zugemessen. Bei der Unbestraftheit des Angeklagten handelt es sich jedoch um einen gewichtigen Strafzumessungsgrund, dessen Berücksichtigung es regelmäßig bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2023 - 4 StR 211/23 Rn. 8; Beschluss vom 6. Juni 2023 - 4 StR 133/23 Rn. 5 mwN). Dies ist nur unzureichend zugunsten des Angeklagten geschehen. Den weiter herangezogenen Milderungsgründen seiner „freimütigen“ Einlassung und aufrichtigen Reue hat das Landgericht ein „gewisses“ sowie „erhebliches“ Gewicht beigemessen. Die daraus hervorgehende Abstufung zeigt, dass die Unbestraftheit des Angeklagten für die Strafkammer kaum Bedeutung hatte. Besondere Umstände, die eine solche Bewertung hier rechtfertigen könnten, sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Daher hat die Strafkammer diesem Strafmilderungsgrund rechtsfehlerhaft ein nicht nachvollziehbar niedriges Gewicht beigemessen.

b) Darüber hinaus hat das Landgericht dem Angeklagten mit „hohem Gewicht“ angelastet, zwei als grob zu bewertende Pflichtverstöße begangen zu haben. Diese Erwägung ist zwar nicht grundsätzlich zu beanstanden. Das Landgericht hat aber bei seiner identischen Bewertung der Pflichtverstöße rechtsfehlerhaft nicht erörtert, ob die unterbliebene sofortige Information des Netzbetreibers über den entstandenen Verdacht eines Gaslecks, den der Angeklagte nach olfaktorischen und akustischen Prüfungen nicht bestätigt fand, aufgrund des Unterlassungscharakters dieser Sorgfaltswidrigkeit weniger gewichtig sein könnte.

Aufgrund des ersten Pflichtverstoßes des Angeklagten, der mit dem Durchbohren der sorgfaltswidrig nicht freigelegten Gasleitung in einem aktiven Tun bestand (vgl. zur Abgrenzung nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auch bei Fahrlässigkeitsdelikten BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02 Rn. 14 ff.), schied zwar eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 13 Abs. 2 StGB aus. Die mit dieser Norm verbundene gesetzliche Wertung (vgl. Freund in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 13 Rn. 295 mwN) hätte die Strafkammer aber im vorliegenden Fall bei der Gewichtung der weiteren Sorgfaltswidrigkeit, die als solche in einem Unterlassen liegt und infolge des aktiven Pflichtverstoßes den Schaden mitverursacht hat, zu berücksichtigen gehabt. Auch bei einem Fahrlässigkeitsvorwurf kann ein Unterlassen weniger schwer wiegen als aktives Tun (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 Rn. 50; Beschluss vom 17. August 1999 - 1 StR 390/99 Rn. 3; Beschluss vom 17. März 1992 - 5 StR 652/91 Rn. 5; Weigend in LK-StGB, 13. Aufl., § 13 Rn. 101 mwN). Dies hätte hier vor der erfolgten Heranziehung als weiterer Pflichtverstoß vom selben Gewicht zunächst der tatrichterlichen Bewertung bedurft, die den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist. Vielmehr hat die Strafkammer in der unterbliebenen sofortigen Einschaltung des Netzbetreibers eine ebenso grobe Sorgfaltswidrigkeit wie im Durchbohren der Gasleitung gesehen, ohne den Unterlassungsaspekt bei dem hinzutretenden Pflichtverstoß erkennbar zu bedenken.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne die aufgezeigten Rechtsfehler eine mildere Strafe verhängt hätte (§ 337 StPO). Dies bedingt die Aufhebung des Strafausspruchs. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn es liegen reine Wertungsfehler vor.

III.

Dem mit der Gegenerklärung des Verteidigers vom 21. März 2024 geäußerten Begehren, die Revision nicht ohne „Hörung entsprechend § 349 Abs. 5 StPO“ zu verwerfen, war nicht nachzukommen, auch wenn das Rechtsmittel keinen vollen Erfolg hat. Einen Anspruch auf die Durchführung einer Hauptverhandlung im Revisionsverfahren hat der Angeklagte nicht, wenn sein Rechtsmittel - wie hier - auf Antrag des Generalbundesanwalts (teilweise) nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss als offensichtlich unbegründet verworfen werden kann. Ein solcher Anspruch folgt weder aus Art. 103 Abs. 1 GG noch aus Art. 6 EMRK (vgl. BVerfG, NJW 2014, 2563; Gericke in KK-StPO, 9. Aufl., § 349 Rn. 15; jeweils mwN). Im vorliegenden Fall sind darüber hinaus keine besonderen Umstände dargetan oder sonst ersichtlich, die für eine Entscheidung durch Urteil gemäß § 349 Abs. 5 StPO sprechen könnten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 16. Dezember 1991 - StbStR 2/91, BGHSt 38, 177, 178 f.; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 349 Rn. 6, 7).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 1333

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede