HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 965
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 151/24, Beschluss v. 18.06.2024, HRRS 2024 Nr. 965
Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 22. Februar 2024 zu gewähren, wird verworfen.
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten im zweiten Rechtsgang eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis von fünf Jahren angeordnet. Gegen das in Anwesenheit des Angeklagten am Donnerstag, den 22. Februar 2024, verkündete Urteil hat der Angeklagte mit am Freitag, dem 1. März 2024, beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz seines Wahlverteidigers Revision eingelegt. Mit Beschluss vom 4. März 2024 hat das Landgericht die Revision wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Neben der Zustellung des Verwerfungsbeschlusses an den Wahlverteidiger ist auch die Übersendung an den Pflichtverteidiger sowie an den Angeklagten richterlich verfügt und am Folgetag, dem 5. März 2024, von der Geschäftsstelle ausgeführt worden. Der Pflichtverteidiger hat den Beschluss am 6. März 2024, der Wahlverteidiger am 8. März 2024 empfangen, der mit beim Landgericht am 15. März 2024 eingegangenem Schriftsatz für den Angeklagten Wiedereinsetzung in die Wochenfrist zur Einlegung der Revision beantragt hat. Zur Begründung hat er ein nach Zustellung der Verwerfungsentscheidung noch am selben Tag von ihm und seiner Mitarbeiterin bemerktes Kanzleiversehen angeführt.
Der Generalbundesanwalt hat mit Verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung als unzulässig zu verwerfen. Der Antrag sei binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses seien Zulässigkeitsvoraussetzung, wobei entscheidend für den Fristbeginn der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten sei. An einem entsprechenden Vortrag fehle es vorliegend. Dieser sei hier auch nicht entbehrlich, weil die Wahrung der Wochenfrist nach Aktenlage nicht offensichtlich sei.
Mit weiterem Schriftsatz vom 23. Mai 2024 hat der Wahlverteidiger daraufhin ausgeführt, dass er im Wiedereinsetzungsantrag „im Lichte der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbstredend“ die Kenntnisnahme vom Wegfall des Hindernisses durch den Angeklagten gemeint habe. Zudem sei ausgeschlossen, dass der Angeklagte über den Pflichtverteidiger vor dem 8. März 2024 vom Verwerfungsbeschluss Kenntnis erlangt habe.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, weil die sich aus § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Darlegungsvoraussetzungen nicht eingehalten sind.
1. Zur formgerechten Anbringung eines Wiedereinsetzungsantrags gehört, dass der Antragsteller innerhalb der Wochenfrist mitteilt, wann das Hindernis weggefallen ist, das der Fristwahrung entgegenstand. Dabei kommt es auf die Person des Angeklagten an. Dies gilt selbst dann, wenn der Verteidiger ein eigenes Verschulden geltend macht, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2019 - 4 StR 522/19 Rn. 3 mwN; Beschluss vom 26. Juni 2018 - 3 StR 197/18 Rn. 3 mwN). Es wäre daher vorliegend vorzutragen gewesen, wann der Angeklagte Kenntnis von der nicht fristgerechten Revisionseinlegung erlangt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 2023 - 3 StR 80/23 Rn. 4 mwN). An dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es. Der Antrag teilt allein den Zeitpunkt der Kenntnis des Wahlverteidigers mit.
Soweit in dem Schriftsatz vom 23. Mai 2024 ausgeführt wird, im Wiedereinsetzungsantrag sei die Kenntnisnahme durch den Angeklagten gemeint gewesen, kann der Antragsteller hiermit nicht durchdringen. Denn die Ausführungen des Wahlverteidigers in dem Antragsschriftsatz vom 15. März 2024 sind einer dahingehenden Auslegung nicht zugänglich. Sie beziehen sich ausschließlich auf die Darlegung von Umständen in dessen Kanzleiräumen nach dem dortigen Eingang des Verwerfungsbeschlusses. Diese lagen ersichtlich nicht im Wahrnehmungsbereich des inhaftierten Angeklagten.
2. Auch ist der fehlende Vortrag zur Kenntnisnahme vom Wegfall des Hindernisses durch den Angeklagten hier nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2023 - 2 StR 124/23 Rn. 12). Denn der Akteninhalt bietet Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Angeklagten von der Versäumung der Revisionseinlegungsfrist noch vor seinem Wahlverteidiger. Nach Aktenlage hatte der Pflichtverteidiger den Verwerfungsbeschluss bereits zwei Tage vor dem Wahlverteidiger in Empfang genommen, was die Möglichkeit eröffnet, dass der Angeklagte bereits über seinen Pflichtverteidiger und damit früher als der Wahlverteidiger von der Verwerfungsentscheidung erfahren hatte. Der Umstand, dass der Wahlverteidiger in der Stellungnahme vom 23. Mai 2024 diesen Fall nach entsprechender Erkundigung nunmehr ausschließt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Angaben zu dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte von dem Wegfall des Hindernisses erfahren hat, hätten bereits innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO gemacht werden müssen, weil sie Voraussetzung für die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrags sind. Zwar kann ein rechtzeitig angebrachter Vortrag zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Fristablauf noch ergänzt und verdeutlicht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2019 - 3 StR 560/18 Rn. 5 mwN). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
Ungeachtet dessen verbleibt - wegen der am 5. März 2024 ausgeführten Übersendung des Verwerfungsbeschlusses (auch) an den Angeklagten - die Möglichkeit dessen direkter Kenntnisnahme vor dem 8. März 2024. Hierzu verhält sich weder der Wiedereinsetzungsantrag noch die nachfolgende Stellungnahme des Wahlverteidigers.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 965
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede