HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 800
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 117/24, Beschluss v. 23.04.2024, HRRS 2024 Nr. 800
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 7. November 2023 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht ausgeführte Formalrüge und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erhobenen Einwände greifen aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts vom 3. April 2024 genannten Gründen nicht durch.
2. Der Strafausspruch hat hingegen keinen Bestand.
a) Bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2. a. der Urteilsgründe hat die Strafkammer gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) verstoßen.
aa) In diesem Fall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF hat das Landgericht dem Angeklagten straferschwerend angelastet, dass der von ihm - unter Eindringen mit seiner Zunge in die Vagina des Opfers - ausgeführte Oralverkehr eine „besonders intime“ sexuelle Handlung sei. Dies ist rechtsfehlerhaft, denn die mit dem Eindringen in den Körper verbundene Intensität der sexuellen Handlung begründet erst den Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 497/07 Rn. 5). Dass die vorgenommene sexuelle Handlung im Rahmen der qualifizierten Fälle von herausgehobener Schwere war (vgl. allgemein Hörnle in LK-StGB, 13. Aufl., § 176c Rn. 45 f. mwN), ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Die Schmerzen der Nebenklägerin, die ihr der von dem Angeklagten verübte Oralverkehr bereitete, hat das Landgericht zudem als eigenständigen Straferschwerungsgrund bedacht.
bb) Als rechtsfehlerhaft erweist sich zudem die weitere strafschärfende Erwägung des Landgerichts, die Geschädigte habe „ein junges Alter“ gehabt. Diese sei - so das Landgericht weiter - im Tatzeitraum zwischen zehn und elf Jahre alt gewesen, so dass sie sich allenfalls am Anfang ihrer sexuellen Entwicklungsphase befunden, deutlich unter der Schutzaltersgrenze gelegen habe und daher besonders schutzwürdig gewesen sei. Der Senat kann offenlassen, ob diese Erwägung im Rahmen von § 176a StGB aF bereits deshalb gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt, weil die im Tatzeitraum - der womöglich erst in der zweiten Jahreshälfte 2015 lag - etwa elfeinhalb Jahre alte Nebenklägerin nicht mehr deutlich von der Schutzaltersgrenze entfernt gewesen sein könnte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 373/21 Rn. 4 f.; s. ferner BGH, Beschluss vom 24. Januar 2023 - 3 StR 436/22 Rn. 10; Beschluss vom 4. Dezember 2014 - 4 StR 477/14 Rn. 9). Allein eine deutliche Entfernung hiervon dürfte strafschärfend berücksichtigt werden. Anderenfalls ginge zu Lasten des Angeklagten, dass er die Tat überhaupt begangen hat.
Ein solcher Rechtsfehler liegt hier jedenfalls deshalb vor, weil die Strafkammer ihre straferschwerende Erwägung mit der besonderen Schutzwürdigkeit der Nebenklägerin im Hinblick auf ihre sexuelle Entwicklung verknüpft hat. Damit ist entgegen § 46 Abs. 3 StGB lediglich das Schutzgut des Tatbestands benannt, das durch die bloße Tatbegehung gefährdet wird (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. März 2023 - 4 StR 312/22 Rn. 26; Beschluss vom 6. September 2022 - 6 StR 274/22; Schneider in LK-StGB, 13. Aufl., § 46 Rn. 256; Maier in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 46 Rn. 538; jeweils mwN). Die weiter gehend festgestellten Tatfolgen bei der Nebenklägerin hat das Landgericht ohnehin eigens strafschärfend bedacht, so dass es eine Gefahr für ihre sexuelle Entwicklung nicht noch zusätzlich erschwerend berücksichtigen durfte.
b) Auch die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. b. und c. der Urteilsgründe haben keinen Bestand. Insoweit hat die Strafkammer auf die soeben erörterte Strafzumessungserwägung Bezug genommen. Daher leidet die Bemessung der Einzelstrafen in diesen Fällen an demselben Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB. Auf zusätzliche rechtliche Bedenken stößt im Fall II. 2. c. der Urteilsgründe die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe „unterschiedliche sexuelle Handlungen“ (Kneten des bekleideten Gesäßes, Betasten des bekleideten Intimbereichs, Berühren des nackten Gesäßes) vorgenommen. Denn das Landgericht hat in diesem Fall erst durch deren Kombination die Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB überschritten gesehen.
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der Einzelstrafen durch die aufgezeigten Rechtsfehler beeinflusst worden ist. Die Aufhebung der Einzelstrafen bedingt die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs. Die zugehörigen Feststellungen können bestehen bleiben, denn es liegen reine Wertungsfehler vor.
3. Das neue Tatgericht wird bei seiner Strafzumessung darauf Bedacht zu nehmen haben, dass eingetretene Tatfolgen nur dann mit ihrem vollen Gewicht bei der Einzelstrafbemessung berücksichtigt werden können, wenn sie unmittelbare Folge allein einzelner Taten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2022 - 4 StR 149/22 Rn. 59 mwN). Sind sie Folge aller abgeurteilten Straftaten, können sie strafzumessungsrechtlich nur einmal bei der Gesamtstrafenbildung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2022 - 4 StR 449/21 Rn. 4; Beschluss vom 18. Februar 2021 - 2 StR 7/21 Rn. 4 mwN).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 800
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede