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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 112

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 477/14, Beschluss v. 04.12.2014, HRRS 2015 Nr. 112


BGH 4 StR 477/14 - Beschluss vom 4. Dezember 2014 (LG Detmold)

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern.

§ 176a StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 6. Juni 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 1, II. 10 und II. 11 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) im gesamten verbleibenden Strafausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Annahme eines schweren sexuellen Missbrauchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil sich aus den Feststellungen nicht zweifelsfrei ergibt, dass der dem Angeklagten angelastete Oralverkehr mit der Nebenklägerin K. nach dem Inkrafttreten der neuen Bestimmung des § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB am 1. April 1998 stattgefunden hat (§ 2 Abs. 1 StGB).

Nach den Urteilgründen hat sich die Tat im "Osterurlaub 1998" ereignet (UA 5), den der Angeklagte mit der Geschädigten, ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern in Kroatien verbrachte. Da das Osterfest im Jahr 1998 auf den 12./13. April fiel und in Nordrhein-Westfalen, wo die schulpflichtige Nebenklägerin und ihre Geschwister zu dieser Zeit wohnten, die Osterferien bereits am 30. März - einem Montag - begonnen haben, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu dem Übergriff des Angeklagten auf K. schon vor dem 1. April 1998 gekommen ist. In diesem Fall läge kein schwerer sexueller Missbrauch gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998, sondern nur ein sexueller Missbrauch nach § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 10. März 1987 vor.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der neue Tatrichter noch genauere Feststellungen zur Tatzeit zu treffen vermag, kann der Senat den Schuldspruch nicht selbst abändern.

2. Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall II. 10 der Urteilsgründe und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Fall II. 11 der Urteilsgründe hat keinen Bestand, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren vorgenommen hat (§ 176 Abs. 1, § 176a StGB).

Sowohl hinsichtlich des vaginalen Penetrationsversuchs zum Nachteil der Nebenklägerin K. im Fall II. 10 der Urteilsgründe, als auch in Bezug auf den mit ihr ausgeführten Oralverkehr im Fall II. 11 der Urteilsgründe gibt das Urteil als Tatzeit "einen nicht mehr genau feststellbaren Tag im Zeitraum 2001/2002" an. Da K. am 2. November 2002 vierzehn Jahre alt geworden ist, können sich diese Geschehnisse damit auch zu einem Zeitpunkt zugetragen haben, in dem sie die Schutzaltersgrenze bereits erreicht hatte und damit kein Kind im Sinne der §§ 176, 176a StGB mehr war.

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass es in der neuen Hauptverhandlung zu Feststellungen kommt, die eine Verurteilung des Angeklagten nach den §§ 176, 176a oder aber nach § 174 StGB rechtfertigen.

3. Die in den verbleibenden Fällen verhängten Einzelstrafen waren aufzuheben, weil dem Landgericht bei deren Bemessung durchgreifende Rechtsfehler unterlaufen sind.

In den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern ist die Strafkammer rechtsfehlerhaft von dem Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB in der Fassung vom 27. Dezember 2003 ausgegangen, obgleich die Taten vor dem Inkrafttreten dieser Vorschrift am 1. April 2004 begangen worden sind und deshalb § 176a Abs. 1 StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 anzuwenden gewesen wäre, der eine niedrigere Mindeststrafe vorsieht. Soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden ist, hätte die Strafkammer einen minder schweren Fall nach § 176 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB in der hier anzuwenden Fassung vom 26. Januar 1998 in Erwägung ziehen müssen, da auch diese Taten vor dem 1. April 2004 begangen wurden. Rechtlich bedenklich ist schließlich auch, dass das Landgericht dem Angeklagten "das noch sehr junge Alter der Opfer" bzw. den Missbrauch von zwei "noch sehr jungen Kinder(n)" (UA 25) angelastet hat, obgleich die Nebenklägerin K. in den Fällen II. 3, 4, 7 und 9 der Urteilsgründe entweder 12 oder 13 Jahre alt war.

Trotz der maßvollen Bemessung der Einzelstrafen vermag der Senat nicht auszuschließen, dass es ohne die aufgezeigten Rechtsfehler zu noch niedrigeren Einzelstrafen gekommen wäre.

Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II. 1, II. 10 und II. 11 der Urteilsgründe und die Aufhebung der übrigen Einzelstrafen ziehen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 112

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel