HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 290
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 441/23, Beschluss v. 30.01.2024, HRRS 2024 Nr. 290
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 8. August 2023 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Der auf die Sachrüge gestützten und aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision des Angeklagten kann der Erfolg nicht versagt werden.
1. Nach den Feststellungen geriet der Angeklagte nach einem Streit mit seiner Ehefrau in heftige Wut und entschloss sich spontan, sie zu töten. In Umsetzung dieses Tatentschlusses würgte er sie so massiv, dass es zu knöchernen Verletzungen am Hals sowie zu einem massiven Stauungssyndrom des Kopfes kam. Anschließend ergriff er ein Küchenmesser und fügte seiner Ehefrau drei Bruststichverletzungen zu, die unter anderem zu einer zweifachen Durchsetzung des Herzbeutels führten. Sie verstarb innerhalb weniger Minuten. Anschließend fertigte der Angeklagte mit seinem Mobiltelefon ein Video an, das seine blutüberströmt und regungslos am Boden liegende Ehefrau zeigte. Schließlich brachte er sich in Selbsttötungsabsicht mehrere Stichverletzungen bei.
Das Landgericht ist aufgrund eines möglicherweise vorliegenden massiven Affektsturms von erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgegangen. Im Rahmen der Strafzumessung hat es unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB einen sonst minder schweren Fall des § 213 StGB angenommen; eine weitere Strafrahmenmilderung hat es abgelehnt.
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 2. Alt. StGB allein aufgrund der allgemeinen Strafzumessungskriterien verneint hat, lückenhaft ist.
Insoweit hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:
„Für die Annahme eines minder schweren Falls hat“ das Landgericht „die allgemeinen Milderungsgründe […] nicht für ausreichend erachtet, da diese im Vergleich zu den strafschärfenden Erwägungen nicht überwiegen würden (UA S. 39). Um welche Strafschärfungsgründe es sich hierbei handelt, lässt sich dem Urteil ‒ auch in seiner Gesamtschau ‒ nicht entnehmen.“
Dem tritt der Senat bei.
Zwar legt das Tatbild ohne die Hinzuziehung des vertypten Strafmilderungsgrunds des § 21 StGB die Annahme eines minder schweren Falls des Totschlags nicht nahe. Ferner bestand ‒ entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ‒ auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zur unmittelbaren Tatvorgeschichte kein Anlass, die Frage einer möglichen Provokation im Sinne des § 213 StGB zu erörtern oder eine solche gar zugunsten des Angeklagten anzunehmen. Nach den Feststellungen kam es zwar unmittelbar vor der Tat zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau, dessen Verlauf und näherer Inhalt nicht aufgeklärt werden konnte. Zu einer Erörterung dieser Frage musste sich das Landgericht aber angesichts der Feststellungen zur Persönlichkeit der Getöteten, der Entwicklung der Beziehung und der als glaubhaft angesehenen Angaben des Angeklagten zu früheren Streitigkeiten nicht gedrängt sehen. Denn es fehlt hier ‒ anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats vom 16. Januar 2019 (4 StR 580/18, Rn. 7) zugrunde gelegen hat ‒ an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür, dass die Geschädigte den Angeklagten bei objektiver Betrachtung schwer im Sinne des § 213 StGB beleidigt haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 2023 ‒ 1 StR 488/22 Rn. 8 mwN; vgl. Fischer StGB, 71. Aufl., 2024 § 213 Rn. 5 mwN). Es ist aber weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Sachverhaltsvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen kein konkreter Anhaltspunkt besteht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. Januar 2021 ‒ 4 StR 337/20 Rn. 18; Urteil vom 26. April 2018 ‒ 4 StR 364/17 Rn. 8; Urteil vom 29. September 2016 ‒ 4 StR 320/16, NStZ-RR 2016, 380, 381; Urteil vom 12. Februar 2015 ‒ 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148; Urteil vom 11. Januar 2005 ‒ 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147).
Ein Beruhen des Strafausspruchs auf dem Erörterungsmangel ist gleichwohl nicht auszuschließen. Der Senat hebt ‒ auch insoweit dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend ‒ die dem Strafausspruch zugrundeliegenden Feststellungen mit auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine widerspruchsfreie und stimmige Entscheidung der Straffrage zu ermöglichen.
3. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird zu beachten haben, dass die Art der Tatausführung einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden darf, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so dass für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. November 1961 ‒ 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; Beschluss vom 14. September 2021 ‒ 5 StR 186/21 Rn. 5).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 290
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede