HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 427
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 435/23, Beschluss v. 05.12.2023, HRRS 2024 Nr. 427
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. August 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen planten unbekannt gebliebene Täter, einen Lkw-Fahrer, der ‒ wie sie wussten ‒ einen Umschlag mit einem größeren Bargeldbetrag „im Bereich des Beifahrersitzes“ mit sich führen würde, durch das Vortäuschen der Panne eines Pkw zum Anhalten zu zwingen und das Bargeld zu entwenden. Der Angeklagte übernahm gegen einen zugesagten Tatlohn in Höhe von 500 Euro die Aufgabe, „das Geschehen zusätzlich abzusichern“ und die erwartete Beute anschließend in seinem Zimmer zu verstecken. In Ausführung dieses Tatplans lauerten der Angeklagte und zwei weitere Tatbeteiligte dem Lkw auf. Als dieser von einem Betriebsgelände in die davor verlaufende Straße einbog, schob ein Mittäter den Pkw quer in die Mitte der Fahrbahn, so dass der Fahrer des Lkw die Straße nicht mehr passieren konnte und zum Anhalten gezwungen war. Unmittelbar darauf lief einer der Täter zur Beifahrertür, öffnete sie und ergriff den dort hinter der Windschutzscheibe liegenden Umschlag mit Bargeld. Dem Lkw-Fahrer gelang es, den Umschlag „durch ein Entreißen aus der Hand des Mittäters“ wieder an sich zu bringen.
Auf ein Zeichen des weiteren Tatbeteiligten begab sich der Angeklagte, der nunmehr beschloss, sich „aktiv an der Wegnahme zu beteiligen“, weisungsgemäß zur Fahrertür, griff nach dem in der Hand des Fahrers befindlichen Geldumschlag und versuchte, ihm diesen unter Kraftaufwand zu entreißen. Dies misslang; der Umschlag zerriss. Der Angeklagte und die beiden anderen Beteiligten flüchteten, als sich Mitarbeiter des Betriebes, die auf den Vorgang aufmerksam geworden waren, näherten.
b) Die Feststellungen ergeben nicht, dass der Angeklagte den Tatbestand des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB verwirklicht hat.
aa) Gemäß § 316a Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer zur Begehung eines Raubes, eines räuberischen Diebstahls oder einer räuberischen Erpressung einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Sowohl die Absicht als auch die Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs müssen dabei im Zeitpunkt des Angriffs gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185; Beschluss vom 10. September 1996 - 4 StR 416/96, NStZ 1997, 236, 237; Urteil vom 7. Mai 1974 - 5 StR 119/74, BGHSt 25, 315, 316; MüKo-StGB/Sander, 4. Aufl., § 316a Rn. 43).
bb) Zwar ergeben die Feststellungen einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Lkw-Fahrers, der durch die Blockade seines Fahrwegs zum Anhalten gezwungen wurde (vgl. zu Straßenblockaden durch Gegenstände BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2018 - 4 StR 505/18 Rn. 11 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2019, 346]; Urteil vom 12. Juli 2001 - 4 StR 104/01, DAR 2001, 513). Den Urteilsgründen kann aber auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass die Beteiligten hierbei in der Absicht handelten, einen Raub (§ 249 Abs. 1 StGB), einen räuberischen Diebstahl (§ 252 StGB) oder eine räuberische Erpressung (§ 255 StGB) zu begehen.
Zum Vorstellungsbild der Beteiligten ist nur festgestellt, dass der Umschlag mit Bargeld aus der Fahrerkabine des Lkw „entwendet“ werden sollte. Dass dies nach der Vorstellung der Beteiligten mit Nötigungsmitteln im Sinne der genannten Strafvorschriften geschehen sollte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Zwar stellte die mittels des Pkw errichtete Straßenblockade, also der Angriff selbst (vgl. zum möglichen zeitlichen und situativen Zusammenhang von Angriff und Nötigungsmittel der räuberischen Tat LK-StGB/Sowada, 13. Aufl., § 316a Rn. 47 mwN), eine nötigende Gewalt dar. Es ist jedoch nicht festgestellt, dass hierdurch nach der Vorstellung der Beteiligten eine wenigstens mittelbare Zwangswirkung auf den Körper des Geschädigten entfaltet, also die Voraussetzungen der Gewalt gegen eine Person im erforderlichen Sinn verwirklicht werden sollten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2019 - 1 StR 129/19, NStZ 2020, 219, 220; Beschluss vom 4. Juni 2019 - 4 StR 116/19, NStZ 2019, 523, 524).
cc) Auch die Feststellungen zum weiteren Verlauf des Tatgeschehens tragen die rechtliche Würdigung des Urteils nicht. Zwar kann ein Überfall auf einen Kraftfahrer, der anfänglich auf die Verwirklichung einer anderen Straftat abzielt, zu einem räuberischen Angriff im Sinne des § 316a StGB werden, wenn ‒ wie hier ‒ der (beabsichtigte) Einsatz von Raubgewalt zu der Wegnahmeabsicht hinzutritt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1974 ‒ 5 StR 119/74, BGHSt 25, 315, 317). Dies setzt jedoch voraus, dass das Opfer im Zeitpunkt der Fortsetzung des Angriffs noch Fahrzeugführer ist und der Täter weiterhin die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt.
(1) Taugliches Tatopfer in diesem Sinne ist, wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist. Befindet sich das Fahrzeug - wie hier - nicht mehr in Bewegung, so kommt es darauf an, ob das Opfer als Fahrer gleichwohl noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185). Die Gefahren, die durch die Teilnahme am fließenden Verkehr für den Fahrer oder Mitfahrer eines Kraftfahrzeugs entstehen, werden zur Begehung des Raubes nur ausgenutzt, wenn nach dem Tatplan das Kraftfahrzeug als Verkehrsmittel für die Raubtat eine Rolle spielt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1990 ‒ 4 StR 512/90, BGHSt 37, 256, 258 mwN), nämlich wenn der Fahrzeugführer im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zu einem Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2017 - 4 StR 592/16 Rn. 8 mwN), wohingegen eingeschränkte Abwehrmöglichkeiten, die aus nicht verkehrsspezifischen Umständen - wie etwa der Enge des Fahrgastraums - resultieren, nicht ausreichen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 4 StR 522/02 Rn. 10).
(2) Beides kann den Feststellungen nicht entnommen werden. Danach hatte der Geschädigte bei seinem Versuch, aus dem Betriebsgelände auszufahren, zwar zunächst verkehrsbedingt gehalten, was auf die Erfüllung beider Tatbestandsmerkmale hindeuten kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 171). Allerdings lag zwischen dieser Situation und dem gewaltsamen Entreißen des Umschlags durch den Angeklagten die Diebstahlshandlung des weiteren Tatbeteiligten und die hieraus resultierende Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Geschädigten, mithin ein nicht verkehrsbedingter Grund, die Fahrt mit dem Lkw nicht fortzusetzen. Umstände, aufgrund deren der Geschädigte gleichwohl noch taugliches Tatopfer des § 316a StGB und durch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs in seiner Abwehr eingeschränkt gewesen sein könnte (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2018 - 4 StR 506/17, NStZ 2018, 469, 470), namentlich das Weiterlaufen des Motors, hat das Landgericht nicht festgestellt.
2. Da weitere Feststellungen hierzu nicht ausgeschlossen erscheinen und die Urteilsgründe sich im Übrigen auch nicht näher zum Rücktrittshorizont des Angeklagten hinsichtlich des nach Auffassung des Landgerichts auf Konkurrenzebene hinter § 316a StGB zurücktretenden Tatbestands eines versuchten Raubes verhalten, kommt eine Berichtigung des Schuldspruchs durch den Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Die Sache bedarf vielmehr neuer Verhandlung und Entscheidung.
Für die neue Hauptverhandlung sieht der Senat Anlass zu folgendem Hinweis: Sollte sich das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht die Überzeugung bilden, dass die Tatbeteiligten beim Unternehmen des Angriffs auf die Entschlussfreiheit des Lkw-Fahrers durch eine Straßensperre für den Fall des Misslingens des ursprünglich ins Auge gefassten Diebstahls auch die Anwendung von Gewalt im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB in ihren Tatplan aufgenommen hatten oder das Tatgeschehen in seinem Verlauf zu einem räuberischen Angriff auf Kraftfahrer wurde, wird es sich genauer als bisher geschehen mit der Frage zu befassen haben, ob der Angeklagte hierbei als Mittäter oder als Gehilfe handelte. Als tauglicher Täter im Sinne des § 316a StGB käme er nur in Betracht, wenn er den geplanten Raub als Täter verwirklichen wollte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 1972 ‒ 2 StR 631/71, BGHSt 24, 284).
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 427
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede