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HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 182

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 206/23, Beschluss v. 12.12.2023, HRRS 2024 Nr. 182


BGH 4 StR 206/23 - Beschluss vom 12. Dezember 2023 (LG Münster)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang: Kausalitätserfordernis zwischen Hang und Anlasstat, überwiegend).

§ 64 StGB nF

Leitsatz des Bearbeiters

Mit der Ergänzung des Wortes „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ konkretisiert, sodass Personen, bei denen die Straffälligkeit nicht überwiegend auf den Hang, sondern (auch) auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 1. Februar 2023 wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben, soweit gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen über einen Betrag in Höhe von 27 € hinaus angeordnet worden ist. Insoweit wird von der Einziehung abgesehen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 277 € in gesamtschuldnerischer Haftung angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zum Absehen von der Einziehungsentscheidung in Höhe von 250 € und zu einer entsprechenden Änderung des Einziehungsausspruchs; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Senat hat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts aus Gründen der Prozessökonomie von einer Wertersatzeinziehung abgesehen, soweit sie den Wert des Erlangten in Höhe von 27 € in gesamtschuldnerischer Haftung übersteigt (§ 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO) und die Einziehungsanordnung des Landgerichts insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts hat das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB im Ergebnis zu Recht verneint. Denn die Urteilsgründe ergeben nicht, dass die Voraussetzungen der seit dem 1. Oktober 2023 geltenden und nach § 2 Abs. 6 StGB, § 354a StPO auch für Altfälle maßgeblichen Neufassung des § 64 StGB vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23 Rn. 6; Beschluss vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23 Rn. 2; Urteil vom 12. Oktober 2023 - 4 StR 136/23 Rn. 14). Die Neuregelung stellt strengere Anforderungen an die Annahme sowohl eines Hangs als auch eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen diesem und einer Anlasstat sowie an die Erfolgsprognose. Gemessen daran erfüllt der vom Landgericht festgestellte missbräuchliche Konsum des Angeklagten von Cannabis und Amphetamin schon nicht das von der Neufassung des § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzte Merkmal der „Substanzkonsumstörung“ (vgl. näher BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Ferner fehlt es nach den getroffenen Feststellungen am symptomatischen Zusammenhang zwischen „Hang“ und Anlasstat im Sinne der Neuregelung. Mit der Ergänzung des Wortes „überwiegend“ hat der Gesetzgeber das Kausalitätserfordernis zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ konkretisiert, sodass Personen, bei denen die Straffälligkeit nicht überwiegend auf den Hang, sondern (auch) auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2023 - 6 StR 316/23 Rn. 8; Beschluss vom 25. Oktober 2023 - 5 StR 246/23 Rn. 3; BT-Drucks. 20/5913 S. 69). Hieran gemessen halten die den symptomatischen Zusammenhang verneinenden Erwägungen des Landgerichts revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Danach ist der Suchtmittelkonsum des Angeklagten (lediglich) eine Begleiterscheinung seines dissozialen Lebenswandels.

Der Senat ist an der Beschlussverwerfung gemäß § 349 Abs. 2 StPO nicht gehindert. Denn der - vor der Gesetzesänderung gestellte - Aufhebungsantrag des Generalbundesanwalts hinsichtlich der Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wirkt zu Lasten und nicht zugunsten des Angeklagten im Sinne des § 349 Abs. 4 StPO (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - 4 StR 334/20 Rn. 4 mwN; Beschluss vom 30. September 1992 ? 3 StR 440/92, BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 3).

4. Angesichts des geringen Teilerfolgs ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Aus demselben Grund ist unter Billigkeitsgesichtspunkten eine Änderung der Kostengrundentscheidung des erstinstanzlichen Urteils wegen der Teilbeschränkung innerhalb der Einziehungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 465 Abs. 2 StPO nicht veranlasst (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2022 - 4 StR 153/22 Rn. 15; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21 Rn. 25; Beschluss vom 26. Mai 2021 - 5 StR 458/20 Rn. 4 f. mwN). Ferner hat der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Revisionsverfahren zu tragen (§ 472 Abs. 1, § 473 Abs. 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 182

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede