HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 151
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 75/22, Urteil v. 08.12.2022, HRRS 2023 Nr. 151
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 30. August 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Münster zurückverwiesen.
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 2. Februar 2018 wegen schwerer räuberischer Erpressung, schweren Raubes in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und im anderen Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, sowie wegen versuchten schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen; von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder deren Vorbehalt hatte das Landgericht abgesehen. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat diese Entscheidung mit Urteil vom 14. März 2019 (4 StR 444/18) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurück. Die Revision des Angeklagten führte zu einer Änderung der Einziehungsentscheidung; im Übrigen wurde das Rechtsmittel als unbegründet verworfen, so dass das Urteil seitdem im Schuld- und Strafausspruch rechtskräftig ist.
Mit Urteil vom 30. August 2021 hat das Landgericht erneut von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung oder ihrem Vorbehalt abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat Erfolg.
1. Nach den im ersten Rechtsgang getroffenen und in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen beging der vielfach insbesondere wegen Diebstahlsdelikten vorbestrafte und hafterfahrene Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 12. Mai 2015 und dem 12. Juni 2016 die folgenden vier Anlasstaten:
a) Spätestens am 12. Mai 2015 kam der Angeklagte, der sich nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft in einer „finanziellen Schieflage“ befand, mit seinem Stiefsohn, dem früheren Mitangeklagten S., überein, die Volksbankfiliale in M. zu überfallen, um an Bargeld zu gelangen. Dem gemeinsamen, auch die Anwendung von Gewalt einschließenden Tatplan entsprechend drangen sie in der Nacht auf den 13. Mai 2015 in die Filiale ein und warteten dort maskiert und mit einer täuschend echt aussehenden, ungeladenen Pistole ausgerüstet auf das Eintreffen der Angestellten. Die als erste eintreffende Angestellte W. wurde mit der zu diesem Zweck mitgeführten Pistole bedroht und aufgefordert, den Tresor zu öffnen. Die Angestellte, die die Pistole für echt hielt und in Todesangst geriet, erklärte dem Angeklagten und seinem Mittäter, dass sie den Tresor nicht allein öffnen könne, sondern dass hierfür aus Sicherheitsgründen ein von zwei Angestellten auszuführender, sogenannter Fingerscan erforderlich sei. Der Angeklagte und sein Mittäter führten die Angestellte daraufhin in einen Heizungsraum, fesselten ihre Hände mit Kabelbindern auf ihrem Rücken, und brachten ihr einen Stuhl, da sie sich nicht auf den kalten Boden setzen wollte. Einer der Angeklagten erklärte ihr, dass ihr nichts geschehen werde, wenn sie ihre Forderungen erfülle; wenn sie aber „Mist mache“, werde er ihr ins Knie schießen und sie zum „Krüppel“ machen. Anschließend verließen beide den kleinen Raum und verschlossen die Türe von außen. Einen wenig später eintreffenden Mitarbeiter einer Bausparkasse bedrohte der Angeklagte mit der Pistole und verbrachte ihn gemeinsam mit seinem Mittäter ebenfalls in den Heizungsraum, wo er ihn einschloss. Als nunmehr überraschend der Hausmeister in der Filiale erschien, stürzte sich entweder der Angeklagte oder sein Mittäter auf ihn und griff ihn körperlich an; der Hausmeister erlitt hierdurch eine Platzwunde am Kopf und sank bewusstlos zu Boden. Eine kurze Zeit später eintreffende weitere Angestellte wurde schon beim Öffnen der Eingangstüre von dem Mittäter des Angeklagten mit Wucht in die Filiale gezogen und dort durch den Angeklagten mit der Pistole bedroht. Während die Angestellte der Forderung des Angeklagten und seines Mittäters entsprechend das Programm für den „Fingerscan“ startete, drückte ihr der Angeklagte die Waffe in den Rücken. Sodann wurde die im Heizungsraum festgehaltene Angestellte hinzugeholt; nachdem der „Fingerscan“ erfolgreich durchgeführt worden war, zwang der Angeklagte eine der Angestellten, den Tresor zu öffnen; dabei hielt er ihr die Pistole weiterhin in den Rücken und schließlich unmittelbar an den Kopf, wodurch diese in Todesangst geriet. Nach dem Öffnen des Tresors wurde auch sie in den Heizungsraum verbracht und darin eingeschlossen. Der Angeklagte und sein Mittäter entnahmen dem Tresor mindestens 90.000 € Bargeld und flohen. Drei der vier Tatopfer litten noch im Zeitpunkt der im ersten Rechtsgang stattfindenden Hauptverhandlung psychisch unter den Folgen des Tatgeschehens.
b) Mitte Februar 2016 beschlossen der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte S., einen weiteren Überfall zu begehen. Die Tat sollte auf Wunsch von S., der Hemmungen hatte, in die Bank einzusteigen und die eintreffenden Angestellten zu überwältigen, anders als der vorangegangene Überfall ablaufen; S. sollte den Überfall unter Anleitung des Angeklagten allein ausführen, die Bank während der regulären Öffnungszeiten betreten und die Angestellten durch Drohung mit einer unechten, ungeladenen Pistole zur Herausgabe von Bargeld bewegen; der Angeklagte sollte während des Überfalls in Tatortnähe im Fahrzeug warten. Nachdem sie gemeinsam mehrere Bankfilialen ausgekundschaftet und Nachforschungen über die dort tätigen Angestellten und ihre Kraftfahrzeuge angestellt hatten, schlug der Angeklagte schließlich vor, am 23. März 2016 die Volksbank-Filiale in H. zu überfallen. Am Vorabend fuhr S. noch einmal zu der Filiale, überprüfte die Situation vor Ort und stellte ? wie er dem Angeklagten fernmündlich berichtete ? fest, dass „alles beim Alten“ war. Am Tattag fuhr der Angeklagte S. in die Nähe der Bank und gab ihm auf der Fahrt dorthin genaue Anweisungen, wie er den Überfall durchführen sollte. Absprachegemäß begab S. sich um die Mittagszeit unmaskiert in die Filiale, während der Angeklagte in der Nähe des Tatorts im Fahrzeug auf ihn wartete. S. nahm eine unechte Pistole aus seiner Jackentasche und richtete sie auf die dort tätige Angestellte; diese hielt die Scheinwaffe für echt, geriet in Todesangst und schrie. S. forderte die Angestellte auf, sich zu beruhigen, und erklärte ihr, dass er nur Geld wolle. Sodann zog er sich ein Tuch über die untere Gesichtshälfte. Unter dem Eindruck der Drohung mit der Waffe händigte die Angestellte ihm schließlich Münzgeld in Höhe von insgesamt 1.175 € sowie 120 €, die sie persönlich mit sich führte, aus. Anschließend zwang S. sie, sich in den Toilettenraum zu begeben, und schloss sie dort ein. Die Angestellte litt psychisch erheblich unter dem Tatgeschehen; sie konnte die Filiale bis zum Zeitpunkt der ersten Hauptverhandlung nicht betreten und ließ sich versetzen. S. wurde am 30. März 2016 festgenommen.
c) Von der Festnahme des S. unbeeindruckt kam der Angeklagte spätestens im April 2016 mit dem inzwischen verstorbenen Mitangeklagten G. überein, gemeinsam einen Überfall zu begehen. Tatplangemäß drangen beide in der Nacht auf den 11. April 2016 mit Hilfe einer Leiter in das nicht alarmgesicherte Obergeschoss des Gebäudes ein, in dessen Erdgeschoss sich die Filiale der Volksbank O. befand. Dort warteten sie maskiert auf das Eintreffen der Angestellten, die sie mit der mitgeführten unechten Pistole bedrohen und zur Herausgabe von Bargeld bewegen wollten; weiterhin führten sie Kabelbinder mit sich, mit deren Hilfe sie die Angestellten in einem Raum fesseln und einschließen wollten, um ihre Flucht zu ermöglichen. Als die Angestellte Me. am 11. April 2016 die Filiale betrat und sich zu ihrem Schreibtisch begab, trat G. von hinten dicht an sie heran, legte ihr einen Arm um den Hals und hielt ihr zugleich die unechte und ungeladene Pistole an den Kopf; dabei sprach er beruhigend auf die Angestellte ein. Sodann zog er sie in ein Büro und forderte den Angeklagten, der im ersten Obergeschoss gewartet hatte, auf, hinzuzukommen; sodann zwang er die Angestellte unter Vorhalt der Pistole, den Tresor zu öffnen. Anschließend führte der Angeklagte die Angestellte in eine leerstehende, über der Bankfiliale gelegene Wohnung. Dort fesselte er sie in einem fensterlosen Abstellraum mit Kabelbindern an ein Metallregal; dabei achtete er darauf, die Kabelbinder nur so weit zuzuziehen, dass die Angestellte sich nicht befreien konnte. Anschließend verließ er den Abstellraum und verschloss die Türe von außen. Der Angeklagte und G. flohen mit Bargeld in Höhe von 37.680 € und teilten die Beute untereinander auf. Nach etwa einer halben Stunde wurde die Angestellte vom Filialleiter befreit; sie litt psychisch unter dem Überfall und insbesondere darunter, für geraume Zeit in dem Abstellraum eingesperrt gewesen zu sein.
d) Der Angeklagte und G. beschlossen nunmehr, gemeinsam weitere Überfälle zu begehen. Zu diesem Zweck kundschafteten sie in den folgenden Wochen verschiedene Bankfilialen aus und fuhren schließlich in der Nacht auf den 9. Juni 2016 zur Volksbank-Filiale in We. Sie blieben zunächst in der Nähe der Filiale im Auto sitzen und besprachen den bevorstehenden Überfall. Wie bei dem vorangegangenen Überfall beabsichtigten sie, in die Filiale einzusteigen und auf das Eintreffen der Angestellten zu warten. Als einer von ihnen versuchte, ein rückwärtiges Fenster mit einem Schraubenzieher aufzuhebeln, wurde ein Alarm ausgelöst. Nunmehr wurde ihnen bewusst, dass sie nicht mehr mit dem Erscheinen argloser Bankangestellter rechnen konnten und ihr Plan gescheitert war. Aus Furcht vor Entdeckung liefen sie zurück zu ihrem Fahrzeug und konnten wenig später festgenommen werden.
e) Das Landgericht hatte die verfahrensgegenständlichen Taten mit Einzelfreiheitsstrafen von acht Jahren, fünf Jahren, sechs Jahren sowie drei Jahren und sechs Monaten geahndet.
2. Das Landgericht hat von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ebenso wie von ihrem Vorbehalt abgesehen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die fakultative Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB vor; es fehle aber an den materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Der Angeklagte habe zweifelsfrei einen Hang zur Begehung von Straftaten, wie die Vielzahl der fortlaufend erfolgten strafrechtlichen Verurteilungen in den Jahren von 1984 bis 2007 mit oftmals sehr hoher Rückfallgeschwindigkeit zeige. Dieser Hang beziehe sich jedoch „vornehmlich“ auf Eigentumsdelikte ohne Gewaltanwendung. Der Angeklagte habe „nur“ vier Raubüberfälle begangen; ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher rechtswidriger Taten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB liege daher nicht vor. Darüber hinaus sei der Angeklagte für die Allgemeinheit nicht gefährlich. Schließlich hat das Landgericht ausgeführt, dass es selbst bei Annahme der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB in Ausübung seines Ermessens Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hätte. Auch die Anordnung des Vorbehalts der Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des § 66a StGB komme nicht in Betracht.
Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.
1. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB zu Recht bejaht, weil der Angeklagte im ersten Rechtsgang rechtskräftig wegen vier Taten der in § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Art zu Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren und sechs Monaten und acht Jahren verurteilt worden ist. Die Erwägungen, mit denen es die materiellen Anordnungsvoraussetzungen verneint und angenommen hat, es fehle an dem nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB erforderlichen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten, halten jedoch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Der Rechtsbegriff des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB bezeichnet einen eingeschliffenen inneren Zustand, der den Täter immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Ein Hang liegt bei demjenigen vor, der dauerhaft zur Begehung von Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Hangtäter ist auch derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 4 StR 108/20, NStZ-RR 2021, 43, 44; Urteil vom 6. August 2020 ? 3 StR 66/20, NStZ-RR 2020, 339, 340; Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 StR 598/16, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 15; Peglau in LK-StGB, 13. Aufl., § 66 Rn. 118; Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 66 Rn. 26). Das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines gegenwärtigen Zustands ist vom Tatgericht auf der Grundlage einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung in eigener Verantwortung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände wertend festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 4 StR 108/20; Urteil vom 9. Mai 2019 ? 4 StR 578/18; Urteil vom 31. Juli 2019 ? 2 StR 132/19 Rn. 13; Urteil vom 26. April 2017 - 5 StR 572/16).
b) Die Erwägungen, mit denen das ? sachverständig beratene ? Landgericht seine Überzeugung begründet hat, dass bei dem Angeklagten zwar ein Hang zur Begehung von Eigentumsdelikten ohne Gewaltanwendung vorliege, trotz der verfahrensgegenständlichen Begehung von vier Taten des schweren Raubes bzw. der schweren räuberischen Erpressung jedoch kein Hang zur Begehung erheblicher Taten bestehe, begegnen auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2017 - 4 StR 397/16; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 329/16 und Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14; jeweils mwN) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie sind lückenhaft.
aa) Zwar hat das Landgericht nicht übersehen, dass gewichtige Umstände auf das Vorliegen eines Hanges des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten hindeuten. Insoweit hat es zu Recht auf die Persönlichkeit des Angeklagten, namentlich auf die vorliegende ausgeprägte dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen abgestellt. Weiterhin hat es aus der „Deliktshistorie“ tragfähig auf eine generelle Bereitschaft des Angeklagten geschlossen, Geld und Wertgegenstände durch Straftaten zu erlangen, um hierdurch akute finanzielle Probleme zu lösen. Die tatgerichtliche Wertung, es handele sich dabei um eine „schon verfestigte Problemlösungsstrategie“ des Angeklagten, ist von Rechts wegen ebenso wenig zu beanstanden wie die weitere Erwägung, dass bei ihm allgemein kaum noch eine Hemmschwelle bestehe, Straftaten zu begehen. Weiterhin hat das Landgericht als hangbegründendes Indiz gewertet, dass auch mehrfacher und teils langjähriger Strafvollzug keine Verhaltensänderung bei dem Angeklagten zu bewirken vermochte. Ferner hat das Landgericht berücksichtigt, dass insbesondere die serienhafte Begehung der Anlasstaten für einen eingeschliffenen inneren Zustand des Angeklagten auch zur Begehung von Raubtaten unter Einsatz von Gewalt und Nötigungsmitteln sprechen könne. Des Weiteren hat das Landgericht ? insoweit abweichend von den Ausführungen des Sachverständigen ? in seine Erwägungen eingestellt, dass das vom Angeklagten bei den Anlasstaten eingesetzte Maß an Gewalt „über das unbedingt erforderliche Maß“ hinausreichte, wenngleich das Landgericht an anderer Stelle relativierend ausgeführt hat, dass die Gewaltanwendung bei den Anlasstaten „vornehmlich […] auf das erforderliche Maß“ begrenzt blieb.
bb) Soweit das Landgericht im Rahmen der angestellten Vergangenheitsbetrachtung gleichwohl die Überzeugung gewonnen hat, dass sich der Hang des Angeklagten zur Begehung von „Straftaten im Allgemeinen“ ? insbesondere zu Eigentumsdelikten ohne Gewaltanwendung ? nicht zu einem Hang zur Begehung erheblicher Straftaten wie den verfahrensgegenständlichen Raubdelikten „fortentwickelt“ habe, hat das Landgericht nicht alle sich aus den Feststellungen ergebenden und für einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten sprechenden Gesichtspunkte in seine Gesamtwürdigung eingestellt.
(1) Anhaltspunkte dafür, dass die Anlassdelikte ? anders als die Eigentumsdelinquenz der vergangenen Jahrzehnte ? ihre Wurzel nicht in der Persönlichkeit des Angeklagten, sondern in anderen Umständen finden könnten, lassen sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnehmen. Vielmehr ist ausdrücklich festgehalten, dass der Angeklagte seit seinem 16. Lebensjahr bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten „fortlaufend“ strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und eine „generelle, durchgehende Bereitschaft“ zeige, Straftaten zu begehen. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, auf der Grundlage welcher gegenläufigen, gegen den Hang sprechenden Beweisanzeichen das Landgericht seine Überzeugung gewonnen hat, dass die Anlasstaten nicht auf dem festgestellten Hang des Angeklagten beruhen. Die in diesem Zusammenhang angeführte Erwägung, der Angeklagte sei „bis auf die Anlassdelikte und die Vorverurteilung vom 10.08.1988 während seiner über 30 Jahre andauernden Deliktshistorie nie mit Gewalt gegen Personen aufgefallen“ und habe „insgesamt nur vier Taten unter Einsatz von Gewalt gegen Personen begangen bzw. dies versucht“, lässt im Übrigen besorgen, dass das Landgericht Bedeutung und Schwere der Anlasstaten entgegen der gesetzgeberischen Wertung zu gering gewichtet hat. Denn sie deuten ? worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat ? darauf hin, dass das Landgericht nicht hinreichend beachtet hat, dass nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 StGB unter den dort normierten Voraussetzungen Sicherungsverwahrung auch gegenüber einem Ersttäter ohne vorangegangene Vorverurteilung und Hafterfahrung angeordnet werden kann.
(2) Weiterhin hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Erwägungen einbezogen, dass die verfahrensgegenständlichen vier Anlasstaten zahlreiche Gemeinsamkeiten aufweisen. Hintergrund aller Taten waren finanzielle Schwierigkeiten, die der Angeklagte im Sinne der von ihm entwickelten, gefestigten „Problemlösungsstrategie“ nunmehr durch die Begehung von Banküberfallen lösen wollte. In sämtlichen Fällen handelte er gemeinsam mit einem Mittäter und bereitete die Taten sorgfältig vor. In zwei Fällen brach der Angeklagte jeweils gemeinsam mit seinem Mittäter in die Räumlichkeiten der Bank ein und wartete dort maskiert, mit einer unechten Pistole als Drohmittel sowie mit Fesselungswerkzeug auf das Eintreffen der Angestellten, um diese zu überraschen und schließlich zur Herausgabe oder Duldung der Wegnahme von Bargeld zu nötigen. Im letzten Fall versuchte er dies und die Tat schlug bei dem Versuch, in die Filiale einzudringen, fehl. Zwar wich die zweite Tat nach den Feststellungen von diesem komplexen Tatmuster ab; dies beruhte nach den rechtskräftigen Feststellungen aber maßgeblich auf dem Wunsch des Mittäters des Angeklagten, der den Überfall nicht auf die bereits praktizierte Weise begehen wollte. Bei dieser Sachlage hätte berücksichtigt werden müssen, dass auch die konkreten Tatbilder der Anlasstaten auf einen Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB hindeuten könnten.
(3) Der Erörterung hätte auch bedurft, dass der Angeklagte die dritte und vierte Tat trotz der kurz zuvor erfolgten Festnahme seines (früheren) Mittäters begangen hat. Auch dieser Umstand kann auf eine verfestigte Neigung des Angeklagten hindeuten, Raubdelikte zu begehen.
(4) Schließlich hat das Landgericht nicht erkennbar in seine Gesamtwürdigung eingestellt, dass der Angeklagte mit dem inzwischen verstorbenen Mittäter nicht nur zwei Taten begangen hat, von denen eine fehlschlug. Nach den Feststellungen hatten beide nach der erfolgreichen Durchführung der ersten gemeinsamen Tat verabredet, in Zukunft weitere Überfälle zu begehen; in Ausführung dieser Abrede hatten sie gemeinsam mehrere mögliche weitere Tatobjekte ausgekundschaftet. Auch wenn es infolge der Festnahme des Angeklagten und seines Mittäters nicht zu weiteren Überfällen gekommen ist, hätte die Verabredung einer Mehrzahl weiterer Taten als möglicherweise für einen Hang sprechendes Anzeichen in die Gesamtwürdigung eingestellt werden müssen.
cc) Zwar hat sich das Landgericht ergänzend auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Sc. gestützt. Dieser hat insbesondere darauf abgestellt, dass die Steigerung der Deliktsschwere von den früher verübten Diebstahlstaten zu den Anlasstaten eher als eine Varianz im Rahmen der „polytypen“ Kriminalität des Angeklagten denn als eine Progredienz anzusehen sei. Eine solche Bewertung stünde der Annahme eines Hanges jedoch nicht entgegen, wenn die Taten jeweils ? wie naheliegend hier ? ihre Wurzel in der dissozialen Persönlichkeit des Angeklagten fänden. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs kein Beleg dafür entnommen werden, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Anlasstaten um Taten handelt, die in einer singulären Ausnahmesituation wurzeln und nicht in einem symptomatischen Zusammenhang mit der für den festgestellten Hang maßgeblichen Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten stehen könnten. Dass es sich insoweit ? ungeachtet der vergleichbaren Motivlage (finanzielle Schwierigkeiten) ? um einmalige Tatbegehungen handeln sollte, liegt fern und hätte daher ins Einzelne gehender, nachvollziehbarer Begründung bedurft.
dd) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen Rechtsfehlern beruht (§ 337 StPO).
2. Das Absehen von der Maßregelanordnung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als rechtsfehlerfrei.
a) Die hilfsweise angestellten Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose sind schon deshalb nicht tragfähig, weil das Landgericht insoweit maßgeblich auf das Fehlen eines Hanges abgestellt hat.
b) Auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht ? Hang und Gefährlichkeit unterstellt ? im Rahmen des ihm nach § 66 Abs. 2 StGB, § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB eingeräumten Ermessens ein Absehen von der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung begründet hat, sind nicht tragfähig.
aa) Bei der Ausübung des Ermessens ist das Tatgericht „strikt an die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes“ gebunden (BGH, Urteil vom 5. Februar 1985 - 1 StR 833/84 zu § 66 Abs. 2 StGB aF). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll der Tatrichter die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann der Tatrichter dem Ausnahmecharakter der Vorschriften des § 66 Abs. 2 StGB und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB Rechnung tragen, der sich daraus ergibt, dass eine frühere Verurteilung und eine frühere Strafverbüßung des Täters nicht vorausgesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11). Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 16. April 2020 - 4 StR 8/20; Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09; Urteil vom 20. November 2007 - 1 StR 442/07).
bb) An einer an diesen Kriterien ausgerichteten Ermessensentscheidung fehlt es. Das Landgericht hat eine umfangreiche Abwägung von Umständen vorgenommen, von denen zahlreiche bereits für die Feststellung des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten Bedeutung haben. Diese umfassende Abwägung und die abschließende Bezugnahme auf den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“ lassen besorgen, das Landgericht habe die Ausübung des Ermessens nach den genannten Vorschriften als allgemeine Billigkeits- und Verhältnismäßigkeitskontrolle missverstanden.
3. Der Rechtsfehler erfasst auch das Absehen vom Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB). Die Sache bedarf daher im Maßregelausspruch insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Münster. Dieses wird erneut ? naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen ? über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung zu entscheiden haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 151
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede