HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 563
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 349/22, Beschluss v. 01.03.2023, HRRS 2023 Nr. 563
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 28. März 2022 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit „Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag“ sowie wegen Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, „unerlaubten“ Veräußerns von Betäubungsmitteln und wegen „unerlaubten“ Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und die Vollstreckung von Gesamtfreiheitsstrafe und Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Zudem hat es eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von einem Jahr und zehn Monaten angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Das Landgericht hat - soweit hier von Relevanz - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der zum Urteilszeitpunkt 40-jährige Angeklagte konsumierte seit seiner Jugendzeit Alkohol, Cannabis und Crystal. Ein stationärer Therapieversuch Ende 2019 wurde nach wenigen Tagen abgebrochen und der Angeklagte setzte den Cannabis- und Crystalkonsum fort. Seit April 2021 „hat der Angeklagte nach seinen Angaben nicht mehr konsumiert, weil er dies seiner Lebensgefährtin versprochen habe“. Zum Zeitpunkt der Taten (Tatzeitraum November 2017 bis November 2019) ist das Landgericht - der psychiatrischen Sachverständigen folgend - von einem „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol, Methamphetamin und Cannabis“ ausgegangen. Die Maßregelanordnung hat es u.a. damit begründet, dass bei dem Angeklagten eine „Suchtmittelabhängigkeit“ und damit ein Hang i.S.d. § 64 StGB vorliege. Zur Begründung der Erfolgsaussicht der Maßregel hat es (lediglich) ausgeführt, dass die konkrete Aussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB bestehe, den Angeklagten zumindest über einen erheblichen Zeitraum vor suchtbedingtem Alkoholkonsum zu bewahren und damit das Ausmaß der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit deutlich herabzusetzen.
Darüber hinaus hat die Kammer den Angeklagten unter Heranziehung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen. Zur Begründung der Bemessung der verhängten Sperrfrist von einem Jahr und zehn Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hat das Landgericht u.a. einschlägige Vorstrafen und die - neben der Verwirklichung von § 316 StGB festgestellte - tateinheitliche Begehung weiterer Verkehrsdelikte herangezogen. Außerdem hat es ausgeführt, dass „unter weiterer Berücksichtigung der Mindestsperrfrist von einem Jahr gem. § 69a Abs. 3 StGB“ die festgesetzte Frist auch erforderlich sei, damit es dem Angeklagten gelinge, seine charakterliche Reife zurückzugewinnen.
Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann nicht bestehen bleiben. Die Voraussetzungen des Hanges und der Erfolgsaussicht sind nicht hinreichend belegt.
1. Zum Vorliegen eines Hanges i.S.d. § 64 StGB hat die Strafkammer lediglich ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine „Suchtmittelabhängigkeit“ und damit eine ihn treibende Neigung, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, vorliege. Diese Begründung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Während sich die Frage der Schuldfähigkeit auf den Tatzeitpunkt bezieht, muss der Hang i.S.d. § 64 StGB zum Urteilszeitpunkt bestehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Februar 2019 - 2 StR 599/18, juris Rn. 15 und vom 1. März 2001 - 4 StR 36/01, juris Rn. 8). Sein Vorliegen zu diesem Zeitpunkt muss sicher festgestellt sein. Zweifel wirken sich zugunsten des Angeklagten aus und stehen einer Maßregelanordnung entgegen (Cirener in LK-StGB, 13. Aufl., § 64 Rn. 53).
Zwar ist dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen, dass das Landgericht - der psychiatrischen Sachverständigen folgend - zum Zeitpunkt der Taten (Tatzeitraum November 2017 bis November 2019) von einem „Abhängigkeitssyndrom von Alkohol, Methamphetamin und Cannabis“ ausgegangen ist. Dagegen ist eine die Voraussetzungen eines Hanges zum Urteilszeitpunkt am 28. März 2022 tragende Überzeugungsbildung der Strafkammer nicht dargetan. Vielmehr hat sich das Landgericht nach den getroffenen Feststellungen auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten davon überzeugt, dass dieser seit April 2021 keinen Cannabis- und Crystalkonsum mehr betrieben hat. Zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen eines Hanges im Bezug auf etwaigen Alkoholkonsum zum Urteilszeitpunkt verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
2. Die lediglich Teile des Gesetzeswortlauts wiedergebenden Ausführungen zur Erfolgsaussicht der Maßregel sind unzureichend. Denn sie lassen eine Benennung der durch das Tatgericht als prognostisch bedeutsam bewerteten Umstände ebenso wie deren eigenverantwortliche Würdigung vollständig vermissen. Dies ist rechtsfehlerhaft.
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt darf nach § 64 Satz 2 StGB nur angeordnet werden, wenn die hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Verurteilten durch die Behandlung innerhalb der Frist des § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen. Notwendig, aber auch ausreichend für die vom Tatgericht zu treffende Prognose ist eine auf Tatsachen gegründete Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolgs. Einer sicheren und unbedingten Gewähr bedarf es hierfür zwar nicht. Erforderlich ist aber, dass in der Persönlichkeit und den Lebensumständen des Verurteilten konkrete Anhaltspunkte für einen erfolgreichen Verlauf der Therapie vorliegen. Die bloße Möglichkeit einer therapeutischen Veränderung genügt hierfür nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2022 - 5 StR 130/22, juris Rn. 10). Damit das Revisionsgericht prüfen kann, ob eine Erfolgsaussicht in dem vom Gesetzgeber geforderten Ausmaß besteht, bedarf es der hinreichenden Darlegung konkreter, durch den Tatrichter als prognostisch bedeutsam für einen die Behandlung im Maßregelvollzug überdauernden Therapieerfolg bewerteter Umstände (BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2015 - 5 StR 422/15, juris Rn. 3 und vom 4. November 2014 - 4 StR 467/14, juris Rn. 7 mwN) in den Urteilsgründen. Dieser Anforderung wird das angefochtene Urteil auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht gerecht. Angesichts dessen fehlt es folglich auch vollständig an einer eigenen Würdigung der für prognostisch relevant bewerteten Umstände durch das Landgericht.
Der Senat hebt das Urteil im Maßregelauspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf, um der zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufenen Strafkammer widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
1. Der Maßregelausspruch über die Verhängung einer Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis war ebenfalls aufzuheben. Bei der Bemessung der Sperrfrist ist die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem Mindestmaß von einem Jahr gemäß § 69a Abs. 3 StGB ausgegangen.
Die Strafkammer hat den Angeklagten unter Heranziehung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB - insoweit rechtsfehlerfrei - als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen. Jedoch ergeben sich die von der Strafkammer angenommenen Voraussetzungen des § 69a Abs. 3 StGB nicht aus den Urteilsgründen, da die Anordnung einer Sperre in den letzten drei Jahren vor der Tat nicht ersichtlich ist. Angesichts der ausdrücklichen Bezugnahme auf das rechtsfehlerhaft angenommene erhöhte Mindestmaß der Sperre kann der Senat nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, und hebt deshalb auch insoweit das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen auf.
2. Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung im Übrigen keine Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.
3. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs seiner Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 563
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede