HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1136
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 210/22, Beschluss v. 16.08.2022, HRRS 2022 Nr. 1136
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21. Februar 2022 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 29. der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten in zwei Fällen, des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 20 Fällen, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in sechs Fällen, des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen sowie des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 45 Fällen, davon in 41 Fällen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten, schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision und die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des vorgenannten Urteils werden verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seiner Rechtsmittel und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und Beischlaf zwischen Verwandten in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 16 Fällen, wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in sechs Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in vier Fällen, wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, wegen Verbreitung einer pornographischen Schrift, wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Beischlaf zwischen Verwandten in 41 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Ferner hat die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision und der sofortigen Kostenbeschwerde. Die Revision führt zu einer Teileinstellung und Schuldspruchänderung; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Auf Antrag des Generalbundesanwalts stellt der Senat das Verfahren aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte im Fall II. 29. der Urteilsgründe wegen Verbreitung einer pornographischen Schrift nach § 184 Abs. 1 Nr. 1 und 6 StGB aF verurteilt worden ist. Diese Tat ist verjährt. Zudem sind die Feststellungen zum Inhalt des der Nebenklägerin überlassenen Films defizitär (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2007 - 2 StR 279/07 Rn. 3), weshalb den Urteilsgründen auch die Voraussetzungen eines unverjährten Delikts nach § 176 Abs. 4 Nr. 4 StGB in der Fassung vom 21. Januar 2015 nicht zu entnehmen sind.
2. Der verbleibende Schuldspruch bedarf in den Fällen II. 17.-19. und 21. der Urteilsgründe der Änderung dahin, dass der Angeklagte insoweit unter Wegfall der jeweiligen tateinheitlichen Verurteilung wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, schuldig ist.
a) Der Verurteilung wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF steht mit Blick auf die womöglich bereits im Jahr 2013 begangenen Taten das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 StGB entgegen. Die Verjährungsfrist von fünf Jahren wurde vor ihrem Ablauf nicht gemäß § 78c Abs. 1 StGB unterbrochen. Sie ruhte nicht, was § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB in der ab dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung, die nunmehr § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB umfasst, nicht mehr zu ändern vermochte. Denn hinsichtlich der Taten des Angeklagten war die - für den jeweiligen Straftatbestand zu prüfende (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2003 - 3 StR 383/03 Rn. 2 mwN) - Verjährung bereits eingetreten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. Februar 2022 - 3 StR 482/21 Rn. 4; Beschluss vom 30. August 2017 - 4 StR 255/17 Rn. 4; Beschluss vom 24. Juni 2004 - 4 StR 165/04, BGHR StGB § 78b Abs. 1 Ruhen 12).
b) Die Urteilsgründe ergeben auch nicht, dass der Angeklagte die angefertigten kinderpornographischen Bilder in unverjährter Zeit gemäß § 184b Abs. 3 StGB besaß. Damit war für eine dahingehende Schuldspruchänderung (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 4. Februar 2020 - 5 StR 657/19) durch den Senat kein Raum. Eine Aufhebung und Zurückweisung kam ebenfalls nicht in Betracht. Es ist auszuschließen, dass einem neuen Tatgericht weitere Feststellungen möglich wären.
c) Der Senat ändert daher - über die infolge der Teileinstellung entfallende Tat hinaus - den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin ab, dass die jeweilige tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen einer Tat gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in den Fällen II. 17.-19. und 21. der Urteilsgründe entfällt.
3. Die Änderung des Schuldspruchs lässt den Strafausspruch unberührt. Der Senat schließt aus, dass der Wegfall der tateinheitlichen Delikte nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in diesen Fällen zu milderen Einzelstrafen geführt hätte. Denn auch verjährte Taten können bei der Strafbemessung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2022 - 4 StR 310/21 Rn. 4; Beschluss vom 12. August 2020 - 4 StR 588/19 Rn. 3; Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 600/11 Rn. 3). Ebenso hat der Gesamtstrafenausspruch mit Blick darauf Bestand, dass durch die Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO lediglich die in diesem Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten entfällt.
Schließlich wirkt sich die Schuldspruchänderung nicht auf die rechtsfehlerfrei begründete Maßregelanordnung aus. Den entfallenden Delikten kam nach den Urteilsgründen weder Einfluss auf die formellen und materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung noch auf die Ermessensausübung der Strafkammer im Rahmen von § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB zu.
Die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des Landgerichts ist unbegründet. Die Entscheidung entspricht dem Gesetz (§ 465 Abs. 1 Satz 1, § 472 Abs. 1 Satz 1 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1136
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede