HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 84
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 112/22, Beschluss v. 22.11.2022, HRRS 2023 Nr. 84
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 5. Juli 2021,
a) soweit es den Angeklagten A. V. betrifft, wie folgt geändert:
aa) im Schuldspruch dahin, dass die Verurteilung wegen tateinheitlicher „Gefährdung des Straßenverkehrs“ in zwei Fällen (Fälle II.3 und 10 der Urteilsgründe) entfällt,
bb) im Strafausspruch dahin, dass die Freiheitsstrafe im Fall II.3 der Urteilsgründe auf einen Monat herabgesetzt wird,
cc) im Maßregelausspruch dahin, dass die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis auf ein Jahr herabgesetzt wird;
b) soweit es die Angeklagte D. V. betrifft, im Strafausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.4-6, 8, 9, 11-14 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben;
c) soweit es den Angeklagten K. betrifft, im Strafausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.9, und 14 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben;
d) soweit es den Mitangeklagten S. betrifft, im Strafausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II.8 und 14 der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
4. Der Beschwerdeführer A. V. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat die Angeklagten - jeweils unter Freisprechung im Übrigen - wie folgt verurteilt: Den Angeklagten A. V. hat es wegen bewaffneten Bandenhandels mit Betäubungsmitteln „in nicht geringer Menge“ in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz zweier halbautomatischer Kurzwaffen zum Verschießen von Patronenmunition, wegen bandenmäßigen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen sowie wegen „Gefährdung des Straßenverkehrs“ in Tateinheit mit verbotenem Kraftfahrzeugrennen und mit „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von fünf Jahren verhängt. Die Angeklagte D. V. hat das Landgericht wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten K. hat es wegen Beihilfe zum bandenmäßigen „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz zweier halbautomatischer Kurzwaffen zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen den nichtrevidierenden Mitangeklagten S. hat es wegen Beihilfe zum bandenmäßigen „unerlaubten“ Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten erkannt. Ferner hat das Landgericht Einziehungsentscheidungen getroffen.
Die auf Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten A. V. und die Revisionen der Angeklagten D. V. und K., die jeweils auf Sachrügen gestützt sind, erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Revision des Angeklagten A. V.
a) Die Verfahrensrügen dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.
b) Der Schuldspruch in den Fällen II.3 und 10 der Urteilsgründe hält der auf die Sachrüge gebotenen Nachprüfung teilweise nicht Stand. Die Verurteilung wegen tateinheitlicher (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) und b) StGB kann in beiden Fällen nicht bestehen bleiben.
aa) Nach den Feststellungen zu Fall II.3 der Urteilsgründe - soweit hier von Bedeutung - fuhr der Angeklagte auf der Flucht vor der Polizei mit seinem Pkw mit überhöhter Geschwindigkeit, überholte dabei, unter anderem in einem Kreisverkehr, vor einer „uneinsehbaren Kurve“ sowie auf einer Bundesstraße, auf der er „zwischenzeitlich“ auf eine Geschwindigkeit von 140 km/h beschleunigte, mehrfach andere Fahrzeuge und überquerte trotz roten Ampelsignals eine Kreuzung. Die Fahrer der überholten Fahrzeuge und des Gegenverkehrs mussten teils „erheblich“ abbremsen und der querende Kreuzungsverkehr konnte „gerade noch rechtzeitig ausweichen“, um Kollisionen zu vermeiden.
Diese Feststellungen tragen die Annahme des objektiven Tatbestandes der Gefährdung des Straßenverkehrs nicht. § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen nur BGH, Beschluss vom 6. Juli 2021 - 4 StR 155/21, juris Rn. 5 mwN).
Eine derartige kritische Verkehrssituation kann den Urteilsgründen zu Fall II.3 auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Zu einer etwaigen Gefährdung überholter Fahrzeuge und deren Insassen ist schon der Grund, aus dem die Fahrer dieser Fahrzeuge abbremsen mussten, nicht nachvollziehbar dargetan; ein etwa riskantes Wiedereinscheren des Angeklagten während der Überholvorgänge ist weder festgestellt noch gar näher beschrieben. Auch hinsichtlich des Gegen- und Querverkehrs lässt das Urteil die erforderlichen konkreten Feststellungen insbesondere zu den jeweils gefahrenen Geschwindigkeiten und Abständen der Fahrzeuge bei den Tathandlungen, also den Überholvorgängen und dem Vorfahrtsverstoß an der Ampelkreuzung, vermissen.
Mangels eines Gefährdungserfolges im Sinne des § 315c Abs. 1 StGB ist auch die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB nicht festgestellt (vgl. zu den gleichlautenden Anforderungen an den tatbestandsmäßigen Erfolg bei § 315c Abs. 1 und § 315d Abs. 2 StGB BGH, Urteil vom 18. August 2022 - 4 StR 377/21, NZV 2022, 569 Rn. 9), der allerdings in der Urteilsformel ohnehin keinen Niederschlag gefunden hat.
bb) Auch die Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 StGB im Fall II.10 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben.
(1) Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte auch in diesem Fall, um einer Polizeikontrolle zu entgehen, mit überhöhter Geschwindigkeit und missachtete das Rotlicht mehrerer Lichtzeichenanlagen. Nachdem eines der eingesetzten Polizeifahrzeuge seinem Pkw entgegengekommen war und beide Fahrzeuge einander gegenüberstehend zum Halten gekommen waren, setzte der Angeklagte seine Fahrt fort, indem er an der Fahrerseite des Polizeiwagens vorbeifuhr, wo der Platz zum Passieren nur knapp ausreichte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Fahrer des Polizeiwagens bereits seinen Fuß durch die geöffnete Fahrertür auf der Straße aufgesetzt, um auszusteigen. Als der Angeklagte sein Fahrzeug auf die geöffnete Tür zusteuerte, konnte der Polizeibeamte eine Kollision des Pkw des Angeklagten mit der Fahrertür des Polizeiwagens (und einen Anstoß derselben an sein Bein) nur dadurch abwenden, dass er „im letzten Augenblick“ seinen Fuß in das Wageninnere zurückzog und die Tür schloss. Auf seiner weiteren Fluchtfahrt kam dem Angeklagten erneut ein Polizeifahrzeug entgegen. Da die Straße so eng war, dass nicht zwei Fahrzeuge aneinander vorbeifahren konnten, und der Angeklagte seine Geschwindigkeit nicht reduzierte, wich der Fahrer des Polizeiwagens in eine Parklücke aus, um einen anderenfalls unmittelbar bevorstehenden Frontalzusammenstoß zu vermeiden.
(2) Danach ist zwar die Annahme des tatbestandsmäßigen Gefährdungserfolgs im Sinne des § 315c Abs. 1 StGB noch hinreichend belegt. Den Urteilsfeststellungen können noch ausreichend deutlich zwei Situationen entnommen werden, in denen sich das Risiko einer Verletzung anderer Personen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert so verdichtet hatte, dass das Ausbleiben des Erfolges nur dem Zufall überlassen war, es also nach dem Urteil eines unbeteiligten Dritten soeben „noch einmal gutgegangen ist“ (Beinahe-Unfälle), nämlich das Zufahren auf die Fahrertür des einen Polizeiwagens und der unmittelbar bevorstehende, nur durch das Ausweichen in eine Parklücke abgewendete Frontalzusammenstoß mit dem weiteren Polizeifahrzeug.
Nicht festgestellt ist aber, dass diese konkreten Gefahren gerade durch eine der Tathandlungen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB bewirkt wurden und dabei - wie erforderlich - in einem inneren Zusammenhang mit den Risiken standen, die von diesen Tathandlungen typischerweise ausgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2006 - 4 StR 459/06, NStZ 2007, 222, 223). Die Gefährdung der Polizeifahrzeuge und deren Insassen beruhte jeweils nicht auf einem Verkehrsverstoß im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB. Insbesondere liegt in der zweiten Situation, dem Beinahe-Unfall mit dem entgegenkommenden Polizeiwagen, eine Missachtung der Vorfahrt gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 a) StGB auch nach dem erweiterten Vorfahrtsbegriff der Norm (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 - 4 StR 324/19, juris Rn. 25 mwN) nicht vor, denn nach den Urteilsfeststellungen befanden sich die die Fahrbahn verengend parkenden Fahrzeuge auf der Fahrbahnseite des Polizeifahrzeugs, so dass der Angeklagte nicht gemäß § 6 Satz 1 StVO wartepflichtig war.
cc) Da weitere Feststellungen hierzu nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in beiden Fällen entsprechend § 354 Abs. 1 StPO.
c) Der im Fall II.3 der Urteilsgründe verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten ist damit die Grundlage entzogen. Um jegliche Benachteiligung des Angeklagten auszuschließen, setzt der Senat für die Tat die Mindeststrafe von einem Monat Freiheitsstrafe fest (§ 38 Abs. 2 StGB, § 354 Abs. 1 StPO). Angesichts der Vorstrafen, des Tatbildes sowie der Vielzahl und Schwere der weiteren Straftaten des Angeklagten kann ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung eine Geldstrafe verhängt hätte.
d) Hingegen kann die Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe im Fall II.10 der Urteilsgründe bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, dass diese Strafe auf dem rechtsfehlerhaften Schuldspruch beruht. Denn die Annahme des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB, dessen Strafrahmen das Landgericht seiner Strafzumessung neben dem gleichlautenden Strafrahmen des § 315c Abs. 1 StGB ausdrücklich zugrunde gelegt hat, wird von den Feststellungen getragen. Der Angeklagte fuhr hiernach durchgehend, mithin auch in den beiden konkret gefährlichen Verkehrssituationen, mit der Absicht, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 StGB sind erfüllt. Die Annahme, dass der Angeklagte tateinheitlich mit § 315d Abs. 2 StGB auch § 315c Abs. 1 StGB verwirklicht habe, hat das Landgericht nicht strafschärfend berücksichtigt.
e) Ebenso bleibt die Gesamtstrafe von der Herabsetzung der Einzelstrafe im Fall II.3 der Urteilsgründe unberührt. Der Senat schließt angesichts der Einsatzstrafe von sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe und der weiteren verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen von fünf Jahren und sechs Monaten, fünf Jahren und drei Monaten, siebenmal zwei Jahren und sechs Monaten, einem Jahr und zehn Monaten, dreimal einem Jahr und acht Monaten sowie von einem Jahr und sechs Monaten aus, dass das Landgericht bei einer Einzelstrafe von einem Monat Freiheitsstrafe im Fall II.3 der Urteilsgründe auf eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
f) Schließlich hat auch die gegen den Angeklagten A. V. angeordnete Maßregel nach § 69, 69a StGB Bestand. Das Landgericht hat die angeordnete isolierte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis außer auf § 315c StGB auch auf die weitere Katalogtat des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d) gestützt, die der Angeklagte sowohl in Fall II.3 der Urteilsgründe (§ 315d Abs. 1 StGB) als auch in Fall II.10 der Urteilsgründe (§ 315d Abs. 1 und 2 StGB) verwirklicht hat. Zur Vermeidung jeden Nachteils für den Angeklagten setzt der Senat allerdings die Dauer der Sperrfrist im Hinblick auf das Entfallen des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie des Qualifikationstatbestandes des § 315d Abs. 2 StGB in einem der Fälle entsprechend § 354 Abs. 1 StGB auf die Mindestfrist von einem Jahr (§ 69a Abs. 3 StGB) fest.
g) Das weiter gehende Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung im Übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.
2. Revision der Angeklagten D. V.
Während der Schuldspruch sowie die Einziehungsentscheidung keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten aufweisen, kann der Strafausspruch nur zu einem geringen Teil Bestand haben und unterliegt im Übrigen der Aufhebung.
a) Das Landgericht hat seiner Strafzumessung in den Fällen II.4-6, 8, 9 und 11-14 der Urteilsgründe jeweils einen unzutreffenden Strafrahmen zugrunde gelegt. Es hat in diesen Fällen jeweils einen minder schweren Fall des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 3 BtMG angenommen, den es jeweils nach § 49 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 31 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BtMG weiter gemildert hat. Eine Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenzen der im Wege der Gesetzeskonkurrenz jeweils verdrängten Straftatbestände (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) hat es verneint. Hierdurch ist der Angeklagte zwar nicht beschwert. Das Landgericht hat jedoch zur Begründung, weshalb eine Sperrwirkung in den genannten Fällen nicht in Betracht komme, ausgeführt, dass auch hinsichtlich der Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG „jedenfalls der vertypte Milderungsgrund des § 31 S. 1 Nr. 1, S. 2 BtMG zu berücksichtigen“ gewesen wäre, der zu einer Herabsenkung der Strafrahmen der verdrängten Straftatbestände auf sechs bzw. „sogar drei“ Monate führe. Diese Begründung lässt erkennen, dass das Landgericht bei seiner Strafzumessung in den vorgenannten Fällen zum Nachteil der Angeklagten von einer unzutreffenden Strafrahmenuntergrenze ausgegangen ist. Der Verweis darauf, dass die Strafrahmen der verdrängten Tatbestände hier im Mindestmaß sechs oder „sogar drei“ Monate betrügen, wäre nämlich nur dann ein geeignetes Argument gegen eine Sperrwirkung, wenn der ohne sie heranzuziehende Strafrahmen mindestens dieselbe Untergrenze aufwiese, die Beachtung der Mindeststrafe nach den verdrängten Tatbeständen also faktisch gar keine Schärfung bewirken würde. So liegt es hier aber nicht. Der nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des minder schweren Falles des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 3 BtMG) weist vielmehr eine Untergrenze von einem Monat Freiheitsstrafe auf.
b) Der Senat vermag in Anbetracht des Umstandes, dass das Landgericht in den genannten Fällen teilweise auf den unteren Rand des rechtsirrig zugrunde gelegten Strafrahmens (sechs Monate Freiheitsstrafe) nur geringfügig übersteigende Einzelstrafen von zehn Monaten Freiheitsstrafe erkannt hat, nicht auszuschließen, dass der Strafausspruch auf dem Rechtsfehler beruht. Er hebt auch die weiteren, höher bemessenen Einzelstrafen in den Fällen II.8, 9 sowie 11-14 der Urteilsgründe auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine insgesamt stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
c) Der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II.4-6, 8, 9 und 11-14 der Urteilsgründe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
d) Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie zu den bereits getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.
3. Revision des Angeklagten K.
Das Rechtsmittel des Angeklagten K. erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das Landgericht hat bei der Zumessung der Strafen in den Fällen II.9, 11 und 14 der Urteilsgründe auch zugunsten des Angeklagten K. jeweils einen minder schweren Fall des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen und den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Den Eintritt einer Sperrwirkung der konkurrenzrechtlich verdrängten Tatbestände (§ 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) hat es mit einer den Ausführungen zur Angeklagten D. V. entsprechenden und somit denselben rechtlichen Bedenken unterliegenden Vergleichsbetrachtung der konkreten Strafrahmenuntergrenze dieser Tatbestände verneint.
4. Die dargestellten Fehler bei der Strafzumessung betreffen auch die gegen den nicht revidierenden Mitangeklagten S. in den Fällen II.8 und 14 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen, da die Strafkammer insoweit dieselben Erwägungen zum anwendbaren Strafrahmen angestellt hat wie bei den Beschwerdeführern D. V. (Fälle II.8 und 14 der Urteilsgründe) und K. (Fall II.14 der Urteilsgründe). Dies führt gemäß § 357 Satz 1 StPO zur Aufhebung der entsprechenden Einzelstrafen sowie der gegen den Angeklagten S. verhängten Gesamtstrafe.
5. Angesichts des nur geringfügigen Erfolgs seiner Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten A. V. mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 84
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede