HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1163
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 69/21, Beschluss v. 29.07.2021, HRRS 2021 Nr. 1163
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. November 2020 wird
a) die Strafverfolgung in den Fällen II.3 und 10 der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften beschränkt;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin neu gefasst bzw. abgeändert, dass der Angeklagte schuldig ist
aa) in den Fällen II.3 und 10 der Urteilsgründe jeweils des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften;
bb) in den Fällen II.11 und 12 der Urteilsgründe einer Tat der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen; die im Fall II.12 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe entfällt;
a) das vorbezeichnete Urteil mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
aa) im Einzelstrafausspruch im Fall II.11 der Urteilsgründe, sowie
bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten bei Freisprechung im Übrigen wegen „Besitzes kinderpornographischer Schriften in 2 Fällen, dabei in beiden Fällen in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Schriften, wegen Unternehmens, einer anderen Person den Besitz an einer kinderpornographischen Schrift in 9 Fällen verschafft zu haben, in 2 Fällen in Tateinheit mit dem Bezug einer kinderpornographischen Schrift sowie wegen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in 2 Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
1. Der Senat hat die Strafverfolgung in den Fällen II.3 und 10 der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO aus Gründen der Prozessökonomie auf den Vorwurf des Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften beschränkt, weil die für die Tatvariante des Bezugs kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 4 StGB erforderliche Verwendungsabsicht nicht festgestellt ist. Die Verfahrenseinstellung führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Schuldspruchänderung. Die Aussprüche über die Einzelstrafen können bestehen bleiben, weil das Landgericht die tateinheitliche Verwirklichung einer weiteren Begehungsvariante nicht strafschärfend berücksichtigt hat und angesichts der maßvoll bemessenen Einzelfreiheitsstrafen von sieben Monaten ausgeschlossen werden kann, dass es auf mildere Einzelfreiheitsstrafen erkannt hätte, wenn es allein wegen Drittbesitzverschaffens kinderpornographischer Schriften verurteilt hätte.
2. Der Schuldspruch hält in den Fällen II.11 und 12 der Urteilsgründe einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand. Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten als tatmehrheitliche Vergehen der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen gemäß § 201a Abs. 1 Nr. 1, § 53 Abs. 1 StGB wird von den Feststellungen nicht getragen. Danach liegt nur eine Tat vor, weil die tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich (teilweise) überschneiden und dies die beiden Taten zur Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft.
a) Nach den Feststellungen installierte der Angeklagte im Badezimmer seiner Wohnung eine Videokamera. In der Folgezeit wurden die beiden Geschädigten jeweils einzeln im Badezimmer gefilmt. Eine der aufgenommenen Videodateien zeigte den Geschädigten A. beim Masturbieren (Tat II.11), eine andere Videodatei zeigte den Geschädigten P. beim Duschen (II.12). Wann die Aufnahmen der beiden Geschädigten angefertigt wurden und ob der Angeklagte über die beide Taten gleichermaßen fördernde Installation der Videokamera hinaus eine weitere, jeweils nur die Tat zum Nachteil eines der beiden Geschädigten fördernde Handlung vornahm, lässt sich den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnehmen. Bei dieser Sachlage liegt nicht Tatmehrheit, sondern Tateinheit vor. Der Senat schließt aus, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, welche die Annahme von Tatmehrheit tragen.
b) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der - geständige - Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
c) Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der Einzelstrafe von sieben Monaten im Fall II.12 der Urteilsgründe. Der Senat hebt auch die Einzelstrafe im Fall II.11 der Urteilsgründe auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatgericht Gelegenheit zu einer dem Schuldgehalt der verbleibenden Tat entsprechenden Bemessung der Einzelstrafen zu geben.
3. Die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe, die auch für sich genommen sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
Das Landgericht hat zur Begründung der Erhöhung der Einsatzstrafe um das mehr als Vierfache im Wesentlichen ausgeführt, es habe sich nicht - was rechtsfehlerhaft gewesen wäre - von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen, sondern den engen zeitlichen, sachlichen und situativen Zusammenhang der Taten berücksichtigt und daher einen straffen Zusammenzug der Einzelstrafen für erforderlich erachtet. Diese Erwägung vermag die Vervierfachung der Einsatzstrafe nicht zu begründen.
4. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Bei der Neufestsetzung der Einzelstrafe im Fall II.11 der Urteilsgründe steht das von Amts wegen zu beachtende Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) der Erhöhung der im ersten Durchgang verhängten Einzelstrafe nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen und der verbleibenden Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 - 4 StR 342/14 Rn. 13).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1163
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß