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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 330

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 389/21, Beschluss v. 12.01.2022, HRRS 2022 Nr. 330


BGH 4 StR 389/21 - Beschluss vom 12. Januar 2022 (LG Münster)

Beleidigung (Strafantrag); Strafzumessung (strafschärfende Berücksichtigung: Verfahrenshindernis; Beleidigung mit sexuellem Bezug); Bedrohung (Konkurrenzen: versuchte Nötigung).

§ 185 StGB; § 241 StGB; § 240 StGB; § 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Auch Taten, deren Verfolgung ein Verfahrenshindernis entgegensteht, können strafschärfend berücksichtigt werden.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tritt der Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB) auch hinter einer nur versuchten Nötigung zurück.

Entscheidungstenor

1. Das Verfahren wird im Fall II.2. der Urteilsgründe eingestellt. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten hat insoweit die Staatskasse zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 1. Juli 2021 wie folgt geändert:

a) im Schuldspruch dahin, dass die Verurteilung wegen tateinheitlich begangener Beleidigung im Fall II.20. der Urteilsgründe und wegen tateinheitlich begangener Bedrohung im Fall II.28. der Urteilsgründe entfällt;

b) im Strafausspruch dahin, dass der Angeklagte in den Fällen II.13., II.17., II.19. und II.21. der Urteilsgründe jeweils zu einer Einzelstrafe von einem Monat Freiheitsstrafe verurteilt wird.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

4. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Bedrohung und mit versuchter Nötigung sowie wegen Sachbeschädigung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Außerdem hat es ihn wegen einer Vielzahl weiterer Straftaten, darunter mehrere Fälle der Beleidigung, unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

1. Im Fall II.2. der Urteilsgründe, in dem das Landgericht den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Einzelstrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hat, war das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen, weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag des Verletzten fehlt. Dessen Strafantrag vom 13. August 2019, auf den sich die insoweit zugrundeliegende Anklageschrift bezieht, betrifft nicht die im Fall II.2. abgeurteilte Tat vom 18. Mai 2019, sondern eine - hier nicht verfahrensgegenständliche - andere Tat vom 11. Juli 2019. Ein weiterer Strafantrag des Verletzten ist in den Verfahrensakten nicht enthalten.

2. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

a) Der Schuldspruch hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht vollständig stand.

aa) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Beleidigung im Fall II.20. der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Es fehlt auch in diesem Fall an einem Strafantrag der Verletzten. Der Senat berichtigt den Schuldspruch deshalb entsprechend § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die tateinheitliche Beleidigung entfällt und der Angeklagte in diesem Fall allein wegen Bedrohung verurteilt ist. Die verhängte Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht eine geringere Strafe verhängt hätte, wenn es das Fehlen des Strafantrags nicht verkannt hätte, denn auch Taten, deren Verfolgung ein Verfahrenshindernis entgegensteht, können strafschärfend berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 23. August 2016 - 2 StR 124/16 mwN). Die Strafzumessung des Landgerichts im Fall II.20. begegnet auch im Übrigen keinen rechtlichen Bedenken.

Soweit der Senat der vom Generalbundesanwalt beantragten Herabsetzung der Einzelstrafe nicht folgt, steht dies einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO nicht entgegen, da der Antrag nicht auf die Aufhebung des Strafausspruchs (Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten) gerichtet ist und die Revision insoweit auch nach der Auffassung des Generalbundesanwalts im Ergebnis keinen Erfolg hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2021 - 4 StR 163/21, juris Rn. 12; vom 23. Mai 2017 - 4 StR 617/16, NStZ-RR 2017, 246, 247; vom 23. Juli 2015 - 1 StR 279/15).

bb) Auch die Verurteilung wegen tateinheitlicher Bedrohung im Fall II.28. der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Bedrohung und mit versuchter Nötigung zu einer Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Dabei hat es übersehen, dass der Tatbestand der Bedrohung (§ 241 StGB) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch hinter einer nur versuchten Nötigung zurücktritt (BGH, Beschluss vom 8. April 2014 - 1 StR 126/14, NStZ-RR 2014, 208, 209 mwN). Der Senat berichtigt den Schuldspruch auch insoweit entsprechend § 354 Abs. 1 StPO.

Dass das Landgericht den Angeklagten nur wegen Versuchs verurteilt hat, obwohl sich aus den Feststellungen eine vollendete Nötigung (mittels Gewalt) ergibt, beschwert ihn nicht.

Die im Fall II.28. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe bleibt von der Berichtigung des Schuldspruchs unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender Bewertung des Konkurrenzverhältnisses, die den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht verändert (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 514/11, juris Rn. 5 mwN), auf eine geringere Einzelstrafe erkannt hätte.

b) Die in den Fällen II.13., II.17., II.19. und II.21. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht bei deren Bemessung gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen hat. Die Strafkammer hat den Angeklagten jeweils zu Recht wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB verurteilt, weil er die Ehre der Geschädigten durch grob sexualbezogene Äußerungen verletzt hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. März 1989 - 2 StR 662/88, BGHSt 36, 145, 150). Bei dieser Sachlage durfte sie ihm aber bei der Strafzumessung nicht mehr gesondert zur Last legen, dass die Beleidigungen einen „sexuellen Bezug“ hatten. Ein generell höherer Unwert von Ehrverletzungen mit sexuellem Bezug gegenüber sonstigen Beleidigungen kann nicht angenommen werden.

Der Senat vermag in den Fällen II.13., II.17., II.19. und II.21., anders als im Fall II.18. der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte außer wegen Beleidigung auch wegen einer tateinheitlich begangenen Bedrohung verurteilt ist, nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Um jede Beschwer des Angeklagten und eine weitere Verzögerung des Verfahrens zu vermeiden, setzt der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafen in den Fällen II.13., II.17., II.19. und II.21. der Urteilsgründe unter Beachtung des vom Landgericht herangezogenen § 47 StGB jeweils auf die gesetzliche Mindeststrafe von einem Monat fest.

Die vom Landgericht für die Fälle II.1. bis II.23. der Urteilsgründe gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe bleibt von dem Entfallen der Einzelstrafe im Fall II.2. und der Herabsetzung der Einzelfreiheitsstrafen in den Fällen II.13., II.17., II.19. und II.21. der Urteilsgründe unberührt. Der Senat schließt ausgehend von der rechtsfehlerfrei gebildeten Einsatzstrafe von zehn Monaten Freiheitsstrafe und den verbleibenden Einzelstrafen von einmal acht Monaten, einmal sechs Monaten, fünfmal vier Monaten, fünfmal drei Monaten, einmal zwei Monaten und achtmal einem Monat Freiheitsstrafe aus, dass das Landgericht ohne die Einzelstrafe im Fall II.2. der Urteilsgründe und bei Zugrundelegung der niedrigeren Einzelstrafen in den übrigen Fällen auf eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe als geschehen erkannt hätte.

3. Weitere durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

4. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der teilweisen Einstellung des Verfahrens aus § 467 Abs. 1 StPO. Im Übrigen ist es angesichts des nur geringfügigen Erfolgs der Revision nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 330

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß