HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 134
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 345/21, Beschluss v. 24.11.2021, HRRS 2022 Nr. 134
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 26. Mai 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Am 9. Februar 2020 fasste der Angeklagte den Entschluss, zur Finanzierung seines Drogenkonsums den in der Nachbarschaft wohnenden Geschädigten zu überfallen, wobei er ein Messer mitführte, welches er ausschließlich als Drohmittel einsetzen wollte. Er klingelte maskiert an der Haustür des Geschädigten. Als dieser öffnete, hielt ihm der Angeklagte das Messer entgegen. Noch bevor der Angeklagte etwas sagen konnte, griff der Geschädigte nach dem Messer, wobei er sich verletzte. Zugleich griff der Geschädigte nach der Maskierung des Angeklagten, so dass diese verrutschte, und drängte den Angeklagten von dem Hauseingang weg. Dabei rief er: „Ich kenne dich! Hier gibt es nichts zu holen!“ Der Angeklagte flüchtete.
b) Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des besonders schweren Raubes verneint. Der Versuch sei fehlgeschlagen. Die überraschende Gegenwehr des Geschädigten habe eine Zäsur bewirkt. Zwar habe der Angeklagte angesichts seiner körperlichen Überlegenheit sein Ziel danach gegebenenfalls durch die Anwendung von Gewalt noch erreichen können. Dies sei für ihn aber nicht in Betracht gekommen, wie sich indiziell aus seinem Tatplan ergebe. Der Einsatz von Nötigungsmitteln über die ursprünglich geplante Drohung hinaus sei für ihn keine gleichwertige Handlungsalternative gewesen. Dies habe eine hohe innere Hürde dargestellt, „die zu nehmen er weder willens noch in der Lage gewesen sei, womöglich zusätzlich auch, da er davon ausgehen musste, erkannt worden zu sein, und der Geschädigte ihm gegenüber geäußert hatte, dass es nichts zu holen gäbe“.
2. Die Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen versuchten besonders schweren Raubes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB mit der nicht tragfähigen Begründung verneint hat, der Versuch sei fehlgeschlagen.
Ein Fehlschlag ist gegeben, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist nicht der ursprüngliche Tatplan, dem je nach Fallgestaltung allerdings Indizwirkung für den Erkenntnishorizont des Täters zukommen kann, sondern dessen Vorstellung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse von seinem Tatplan abweichen, um den Erfolg herbeizuführen. Hält er die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, so ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 22. September 2015 - 4 StR 359/15, NStZ 2016, 332 mwN).
Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht entgegen diesen Vorgaben dem Tatplan des Angeklagten nicht nur indizielle Bedeutung für dessen Vorstellungsbild zum sog. Rücktrittshorizont beigemessen, sondern den angenommenen Fehlschlag maßgeblich auf die vom Angeklagten erkannte Notwendigkeit gestützt hat, zur Erreichung seines Ziels andere als die ursprünglich geplanten Mittel anzuwenden. Für die weitere Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte sei nach seiner erfolglos gebliebenen Drohung nicht nur nicht willens, sondern auch nicht „in der Lage“ gewesen, die „innere Hürde“ zur Anwendung von Gewalt als Nötigungsmittel zu überwinden, fehlt es an einem tragfähigen Beleg.
Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch erweist sich auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen auch nicht aus anderen Gründen als tragfähig. Dass der Angeklagte nach Ausführung seiner erfolglos gebliebenen Drohung annahm, es gebe bei dem Geschädigten „nichts zu holen“, er sein Vorhaben also aus tatsächlichen Gründen für gescheitert hielt und deshalb von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nahm, hat das Landgericht zwar erwogen, aber nicht sicher festgestellt. Ebenfalls offengelassen hat die Strafkammer, ob der Angeklagte, der für möglich hielt, von dem Geschädigten erkannt worden zu sein, das Entdeckungsrisiko für unvertretbar gestiegen hielt und deshalb nicht freiwillig von der weiteren Tatausführung Abstand nahm (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2019 - 1 StR 646/18, NStZ 2020, 81, 82, Rn. 9).
Die Verurteilung wegen versuchten besonders schweren Raubes hat daher keinen Bestand. Wegen des tateinheitlichen Zusammentreffens erstreckt sich die Aufhebung des Urteils auch auf den Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung, der für sich genommen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweist.
3. a) Es kommt deshalb nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, dass auch die Schuldfähigkeitsbeurteilung des Landgerichts rechtlichen Bedenken begegnet. Die Strafkammer hat ihren Feststellungen die Angaben des Angeklagten zu seinem Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum vor der Tat zugrunde gelegt und - sachverständig beraten - aus dem vom Angeklagten gezeigten Leistungsverhalten geschlossen, dass eine erhebliche Verminderung seiner Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB nicht bestanden habe. Diese Beweiswürdigung ist lückenhaft, denn sie lässt sowohl eine Berechnung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit als auch eine Gesamtwürdigung der Konsummenge einerseits und der psychodiagnostischen Kriterien andererseits vermissen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 2 StR 229/20, juris Rn. 17 ff. mwN).
b) Auch die Maßregelanordnung hätte für sich gesehen revisionsrechtlicher Prüfung nicht standgehalten. Soweit die Strafkammer der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt ist, die mehrfach gescheiterten Therapieversuche - darunter eine mehrjährige Unterbringung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB - stünden dem Erfolg der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht entgegen, fehlt es - zumal vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte nach den Feststellungen bis zuletzt selbst während seiner Substitutionsbehandlung weiter Beikonsum betrieb - an einer nachvollziehbaren Begründung. Auch die Bedeutung der bei dem Angeklagten bestehenden dissozialen Persönlichkeitsstörung für die Erfolgsprognose hat die Strafkammer unzureichend erörtert. Sie hat die Störung, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, als Ausdruck einer Reifeverzögerung bewertet und eine Nachreife für „denkbar und möglich“ gehalten, soweit der Angeklagte dies zulasse, ohne dies nachvollziehbar zu begründen. Erörterungsbedarf bestand insbesondere mit Blick darauf, dass die Annahme einer behebbaren Reifeverzögerung nicht ohne weiteres mit der Feststellung zu vereinbaren ist, dass der Angeklagte bereits von 2010 bis 2014 in einer Entziehungsanstalt untergebracht war, danach mehrjährig abstinent lebte und einer Berufstätigkeit nachging, gleichwohl aber wieder rückfällig wurde.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 134
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2022, 39
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß