hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 186

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 344/21, Beschluss v. 23.11.2021, HRRS 2022 Nr. 186


BGH 4 StR 344/21 - Beschluss vom 23. November 2021 (LG Essen)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Tatbestandsmäßigkeit: nachfolgende Zahlungsvorgänge, Tätigkeiten zur Erfüllung von Zahlungsverbindlichkeiten); Konkurrenzen (Tateinheit: bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, versuchte besonders schwere räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung).

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln umfasst nicht nur Handlungen, die unmittelbar der Beschaffung und der Überlassung von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge wie die Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer zum Lieferanten oder das Beitreiben des Kaufpreises. Auch Tätigkeiten, die der Erfüllung von Zahlungsverbindlichkeiten dienen, z.B. das Bemühen um das Eintreiben des Kaufpreises, gehören noch zu demselben Betäubungsmittelgeschäft.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 9. April 2021 dahin geändert, dass

a) die Angeklagten des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung schuldig sind;

b) die Angeklagte B. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten und die Angeklagte H. zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sind.

2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.

3. Jede Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen „gemeinschaftlichen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ in drei Fällen, hiervon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung, zu Gesamtfreiheitsstrafen von sieben Jahren und neun Monaten (Angeklagte B.) und von sieben Jahren und sechs Monaten (Angeklagte H.) verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrügen führt zu einer Änderung der Schuldsprüche.

Die konkurrenzrechtliche Einordnung der abgeurteilten Taten als drei tatmehrheitlich begangene Fälle des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Vielmehr stehen alle Delikte aufgrund einer Teilidentität von tatbestandlichen Ausführungshandlungen in Tateinheit.

a) Der Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln umfasst nicht nur Handlungen, die unmittelbar der Beschaffung und der Überlassung von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge wie die Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer zum Lieferanten (BGH, Beschluss vom 5. August 2014 - 3 StR 340/14 Rn. 5) oder das Beitreiben des Kaufpreises (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158, 162). Auch Tätigkeiten, die der Erfüllung von Zahlungsverbindlichkeiten dienen, z.B. das Bemühen um das Eintreiben des Kaufpreises (BGH, Beschlüsse vom 22. April 2020 - 1 StR 641/19 Rn. 10; vom 17. Mai 1996 - 5 StR 119/96 Rn. 6 und vom 21. Mai 1999 - 2 StR 154/99 Rn. 6), gehören noch zu demselben Betäubungsmittelgeschäft.

b) Hiervon ausgehend überschneiden sich die objektiven Ausführungshandlungen der Angeklagten in allen Fällen. Nach den Feststellungen schuldete der Nebenkläger den gemeinschaftlich handelnden Angeklagten aus zwei Betäubungsmittelverkäufen (Fälle II. B 1 und 2 der Urteilsgründe) insgesamt etwa 900 Euro. Die Angeklagten wirkten unter Verwendung einer geladenen Schusswaffe und eines gefährlichen Werkzeugs auf den Nebenkläger ein, um ihn zur Begleichung dieser Schulden zu zwingen (Fall II. B 3 der Urteilsgründe). Das darin liegende Bemühen, die Restkaufpreise aus den Fällen II. B 1 und 2 einzutreiben, ist über die hierbei verwirklichte versuchte Erpressungstat und die gefährliche Körperverletzung hinaus zugleich auch eine tatbestandliche Ausführungshandlung in beiden Fällen des (bewaffneten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 2020 - 1 StR 641/19 Rn. 14). Damit liegt Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) vor. Die vor den zusammentreffenden Tathandlungen eingetretene Vollendung der Betäubungsmitteldelikte steht dem nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13 Rn. 6 mwN).

c) Im Fall II. B 3 der Urteilsgründe hat das Landgericht darüber hinaus rechtsfehlerfrei angenommen, dass die weitere Tat des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ihrerseits mit der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung und der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit steht. Denn auch hier ist eine (weitere) Teilidentität der objektiven Ausführungshandlungen beider Angeklagten gegeben, die sich nicht in der Körperverletzung als zur räuberischen Erpressung eingesetztes Nötigungsmittel erschöpft. Vielmehr haben die Angeklagten darüber hinaus die bei der Erpressungstat ebenfalls verwendete geladene Schusswaffe zugleich bei dem gemeinschaftlichen bewaffneten Handeltreiben mit - nur wenige Schritte entfernt gelagerten - Betäubungsmitteln mit sich geführt. Damit liegt auch insoweit nur eine Tat im Rechtssinne vor.

d) Der Senat stellt deshalb den Schuldspruch hinsichtlich beider Angeklagten entsprechend um (vgl. zur Tenorierung bei § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG BGH, Beschluss vom 8. April 2020 - 3 StR 535/19 Rn. 3). Gemäß § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO sieht er davon ab, die gleichartige Tateinheit unter den Betäubungsmitteldelikten im Tenor zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2021 - 5 StR 41/20). § 265 StPO steht der Schuldspruchkorrektur nicht entgegen. Die Angeklagten hätten sich nicht anders als geschehen gegen den geänderten Schuldspruch verteidigen können.

2. Die Korrektur des Schuldspruchs führt zum Wegfall der festgesetzten Einzelstrafen. Der Senat kann jedoch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die im Übrigen ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten gebildeten Gesamtfreiheitsstrafen als Einzelstrafen bestehen lassen. Die geänderte konkurrenzrechtliche Bewertung lässt hier den Unrechtsund Schuldgehalt der Taten unberührt. Es ist deshalb auszuschließen, dass das Tatgericht bei Annahme von Tateinheit statt Tatmehrheit auf niedrigere Strafen erkannt hätte.

3. Der geringfügige Erfolg der Rechtsmittel gibt keinen Anlass, die Angeklagten von den Kosten des Verfahrens und ihren Auslagen gemäß § 473 Abs. 4 StPO teilweise zu entlasten.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 186

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß