HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 860
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 141/21, Beschluss v. 07.07.2021, HRRS 2021 Nr. 860
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 5. November 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen und gegen den Angeklagten I. A. die Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und gegen den Angeklagten F. A. die Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten, die jeweils mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet sind. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
Nach den Feststellungen bestanden zwischen dem Angeklagten I. A. und dem späteren Tatopfer R. Ab. Unstimmigkeiten über eine von I. A. behauptete und vom Tatopfer bestrittene Geldforderung. Am Tag vor der Tat kam es vor der Haustür des Tatopfers zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen beiden, in deren Verlauf R. Ab. dem Angeklagten I. A., der das Tatopfer zuvor geschlagen hatte, mit einem unter Verwendung eines Sandhandschuhs geführten Schlag das Nasenbein brach. Aufgrund dieses Vorfalls meldete sich der Angeklagte I. A. am Abend des Tattags telefonisch bei dem Bruder des Tatopfers und forderte für die erlittene Verletzung die Zahlung eines „Blutgeldes“ in Höhe von 5.000 €, andernfalls werde es das Tatopfer bereuen.
Zwischen 22.35 Uhr und 22.42 Uhr suchte der Angeklagte I. A., der in der Zwischenzeit aus Verärgerung und Kränkung beschlossen hatte, die Auseinandersetzung vom Vortag nicht auf sich beruhen zu lassen, alleine oder in Begleitung einer oder mehrerer Personen seinen Bruder, den Angeklagten F. A., auf. I. A. wandte sich an den Angeklagten F. A. und gewann zumindest diesen, möglicherweise aber auch weitere Personen für das Vorhaben, R. Ab. aufzusuchen, von ihm in Überzahl das begehrte „Blutgeld“ zu fordern und ihn gegebenenfalls - abhängig von seiner Reaktion - für sein vorheriges Tun handgreiflich zu bestrafen. Im Bewusstsein der zuvor erlittenen Schmach des I. A., bei der R. Ab. einen Sandhandschuh verwendet hatte, entschlossen sich die Beteiligten, dieses Mal vorbereitet zu sein und ein rundlich konfiguriertes Schlagwerkzeug zu dem Treffen mit dem Tatopfer mitzunehmen. Ohne Kenntnis der übrigen führte einer der Beteiligten darüber hinaus ein Messer mit sich.
Vor dem Hintergrund dieser Übereinkunft rief der Angeklagte F. A. oder eine dritte Person unter Verwendung des nur kurz zuvor von F. A. genutzten Mobiltelefons bei dem Tatopfer an und vereinbarte ein Treffen zur Aussprache über den Vorfall am Vortag, worauf R. Ab. seine Wohnung verließ. Wenig später traf das Tatopfer auf die Angeklagten, die nicht ausschließbar von einer oder mehreren unbekannt gebliebenen Personen begleitet wurden. Die Gruppe griff das Tatopfer an, wobei die Angreifer gemäß dem zuvor gemeinsam gefassten Tatentschluss zunächst mit dem Schlagwerkzeug auf Kopf und Arme von R. Ab. einwirkten, der seine Arme schützend vor seinen Kopf hielt. Durch die Schläge erlitt er eine Riss-Quetsch-Wunde im rechten vorderen Scheitelbereich des Kopfes und eine Vielzahl von Hämatomen an den Innen- und Außenseiten beider Arme. Sodann fügte einer der Angreifer - in Abweichung von dem gefassten Tatplan und für jeden der Angeklagten im Zweifel überraschend - dem Tatopfer mit einem Messer gezielt insgesamt 20 Stich-/Schnittverletzungen zu. Vier der Stiche trafen R. Ab. an der rechten und linken Rumpfseite und führten bei einer Stichkanaltiefe von bis zu 23 cm zu massiven inneren Verletzungen. Zehn Stiche in den Rücken und fünf Stiche in das zuvor teilweise entblößte Gesäß wurden dem Opfer beigebracht, als es bereits bewegungslos in Bauchlage auf dem Boden lag. Nähere Einzelheiten zu dem Angriff auf das Tatopfer, insbesondere zu dem Geschehen um die Beibringung der Messerstiche hat das Landgericht nicht treffen können. Die Stichverletzungen führten binnen Kurzem zum Tod des Opfers durch Verbluten.
Die Verurteilungen der Angeklagten jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB haben keinen Bestand. Die Annahme des Landgerichts, der durch die Messerstiche eingetretene Tod des Opfers sei den Angeklagten als fahrlässig herbeigeführte Folge der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung im Sinne der Erfolgsqualifikation des § 227 Abs. 1 StGB zuzurechnen, wird von den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht getragen.
1. Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 nicht voraus, dass er selbst eine unmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - 1 StR 109/20, StV 2021, 120; vom 21. August 2019 - 1 StR 191/19, NStZ-RR 2019, 378, 379; vom 5. September 2012 - 2 StR 242/12, NStZ 2013, 280, 281; Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 55; Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631; Urteil vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 39).
Ist der Todeserfolg durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Dies ist von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in objektiver Hinsicht etwa in Fällen bejaht worden, in welchen das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage geriet, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2020 - 1 StR 109/20, aaO; vom 30. August 2006 - 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 76; Urteil vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261) oder in denen dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 StR 424/15, NStZ 2016, 400; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309; vgl. auch Urteil vom 19. August 2004 - 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich).
2. Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze wird die Zurechnung des tödlichen Erfolgs nach § 227 Abs. 1 StGB bei beiden Angeklagten von den Urteilsgründen nicht getragen.
Das Landgericht hat festgestellt, dass der überraschend erfolgte Einsatz des Messers von dem zuvor gemeinsam gefassten Tatentschluss, das Tatopfer körperlich zu bestrafen, nicht umfasst war und damit über das gemeinsame Wollen der übrigen Angreifer, die von dem Mitführen des Messers keine Kenntnis hatten, hinausging. Dass dem vor dem Einsatz des Messers gemeinschaftlich unter Verwendung eines Schlagwerkzeugs verübten Angriff auf das Tatopfer bereits die spezifische Gefahr einer tödlichen Eskalation anhaftete, ist der Sachverhaltsdarstellung des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen. Nicht jedem von mehreren mit einem Schlagwerkzeug geführten tätlichen Angriff auf einen anderen wohnt per se die tatbestandsspezifische Gefahr eines in seiner Gefährlichkeit für das Leben des Opfers gesteigerten Messereinsatzes inne. Ein spezifischer Gefahrenzusammenhang, der den tatbestandlichen Anforderungen des § 227 Abs. 1 StGB genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 - 1 StR 109/20, aaO; Urteil vom 9. Oktober 2002 - 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 37 mwN), kann insoweit in objektiver Hinsicht nur angenommen werden, wenn sich aus Art und Weise des tätlichen Angriffs einzelfallbezogen konkrete tatsächliche Umstände ergeben, welche die Möglichkeit einer tödlichen Eskalation nahelegen. Solche Umstände hat das Landgericht, das den Verlauf des tätlichen Angriffs auf das Tatopfer nicht hat näher aufklären können, nicht festgestellt.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 860
Externe Fundstellen: NStZ 2021, 735; StV 2022, 100
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß