HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 124
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 122/21, Beschluss v. 28.10.2021, HRRS 2022 Nr. 124
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 3. November 2020 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit die Angeklagten in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe verurteilt worden sind und
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Den Angeklagten O. hat es wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten Nötigung und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensbeanstandungen dringen nicht durch.
1. Die auf den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 7 StPO gestützte Rüge, das Urteil sei nicht innerhalb der Absetzungsfrist gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 2 StPO von allen Berufsrichtern unterschrieben worden, ist nicht in der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Weise begründet worden und daher bereits unzulässig. Der Beschwerdeführer versäumt es, den aus den Verfahrensakten zu entnehmenden Umstand vorzutragen, zu welchem Zeitpunkt das Urteil nach dem Eingangsstempel auf die Geschäftsstelle gelangt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 2 StR 413/18; Urteile vom 6. Februar 1980 - 2 StR 729/79 und vom 5. Juli 1979 - 4 StR 272/79).
2. Die übrigen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
1. Die Verurteilungen in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe können nicht bestehen bleiben, weil Erörterungen zu einem möglichen strafbefreienden Rücktritt der Angeklagten fehlen.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen sich die beiden Angeklagten mit dem Geschädigten B. und verlangten unter Drohungen die Zahlung von 2.000 Euro an den Angeklagten D., worauf dieser - wie beide Angeklagten wussten - keinen Anspruch hatte. Beide Angeklagten verließen anschließend den Tatort, ohne von der Forderung abzurücken. Ob es im Nachgang zu einer Zahlung des Betrages kam, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht (Fall II.2 der Urteilsgründe).
Vom Geschädigten T. verlangten die Angeklagten ebenfalls die Zahlung von 2.000 Euro an den Angeklagten D., der wusste, dass er auf diesen Betrag keinen Anspruch hatte; der Angeklagte O. ging nicht ausschließbar von einer berechtigten Provisionsforderung des Angeklagten D. aus. Beide Angeklagten verletzten den Geschädigten und ließen dann von ihm ab, ohne von der aufgestellten Forderung abzurücken. Zu einer Zahlung kam es in der Folge nicht (Fall II.3 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat diese Sachverhalte beim Angeklagten D. als versuchte räuberische Erpressung und als versuchte räuberische Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie beim Angeklagten O. als Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung und als Beihilfe zur versuchten Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung gewertet.
b) Die Schuldsprüche der Angeklagten wegen der Versuchsdelikte halten rechtlicher Prüfung nicht stand, weil es das Landgericht rechtsfehlerhaft unterlassen hat, die Frage eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch zu erörtern, obwohl der Sachverhalt hierzu drängte.
Zu dem Vorstellungsbild der Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung - dem sog. Rücktrittshorizont - hat sich das Landgericht nicht verhalten. Lässt sich jedoch den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, stellt dies einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2021 - 4 StR 514/20 mwN).
Welche Vorstellungen die Angeklagten in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe bewogen, von den jeweiligen Geschädigten abzulassen, erschließt sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht. So kann dem Urteil nicht entnommen werden, dass der Versuch jeweils fehlgeschlagen war, etwa weil der Geschädigte trotz des Einwirkens die Zahlungsaufforderung endgültig ablehnte und nach der Vorstellung der Angeklagten weitere Einschüchterungen zur Zielerreichung erfolglos waren. Auch hinreichende Anhaltspunkte, dass aus Sicht der beiden Angreifer die erfolgte Einschüchterung der Geschädigten bereits ausreichte, um sie zur Zahlung zu veranlassen, mithin ein beendeter Versuch vorlag, vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Vielmehr bleibt offen, ob nach der Vorstellung der Angeklagten ein weiteres Einwirken auf die Tatopfer nötig gewesen wäre, um ihren Forderungen zum Erfolg zu verhelfen, sie aber trotz bestehender Möglichkeiten von weiteren Einschüchterungen oder Gewalthandlungen Abstand nahmen. In diesem Fall läge ein strafbefreiender, weil freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 2 StGB vor (vgl. für den Rücktritt des Gehilfen BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 - 4 StR 621/11 mwN). Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht den Rücktrittshorizont der Angeklagten näher erörtern müssen.
c) Dieser Rechtsfehler führt im Fall II.2 der Urteilsgründe zur Aufhebung der Schuldsprüche wegen versuchter räuberischer Erpressung beim Angeklagten D. und wegen Beihilfe zur versuchten räuberischen Erpressung beim Angeklagten O. .
Im Fall II.3 der Urteilsgründe ist von der Aufhebung neben den Schuldsprüchen wegen versuchter räuberischer Erpressung beim Angeklagten D. und wegen Beihilfe zur versuchten Nötigung beim Angeklagten O. jeweils auch die an sich rechtsfehlerfreie tateinheitliche Verurteilung wegen Körperverletzung erfasst.
d) Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.2 und II.3 der Urteilsgründe entzieht den Einzelstrafaussprüchen für diese Fälle und den Gesamtstrafen für beide Angeklagte die Grundlage.
2. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung zum Schuld- und Strafausspruch sowie zum Ausspruch über die Einziehung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
In den Fällen II.1 und II.5 der Urteilsgründe vermag der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen, dass der Versuch der räuberischen Erpressung durch den Angeklagten D. (Fall II.1) bzw. der Versuch der Nötigung durch den Angeklagten O. (Fall II.5) jeweils fehlgeschlagen ist.
Im Fall II.1 der Urteilsgründe erkannte der Angeklagte D., dass er sein Ziel, durch Einschüchterungen und Schläge den Geschädigten A. zur Zahlung von 10.000 Euro zu veranlassen, mit den vorhandenen Mitteln nicht mehr erreichen konnte, daran, dass der Geschädigte bereits die Polizei rief, als der Angeklagte noch gegen das Fahrzeug des Geschädigten schlug und drohte „alle abzuknallen“.
Im Fall II.5 der Urteilsgründe war der Versuch der Nötigung für den Angeklagten O. ersichtlich fehlgeschlagen, als er noch am Tatort von den herbeigerufenen Polizeibeamten festgenommen wurde.
HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 124
Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß