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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 516

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 514/20, Beschluss v. 03.03.2021, HRRS 2021 Nr. 516


BGH 4 StR 514/20 - Beschluss vom 3. März 2021 (LG Dortmund)

Rücktritt (Unerlässlichkeit von tatgerichtlichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten).

§ 24 Abs. 2 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Lässt sich den Urteilsfeststellungen das Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, stellt dies einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel dar.

Entscheidungstenor

1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 7. Juli 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Der Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 16. September 2020, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, ist damit gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in dem Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und mit Freiheitsberaubung sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Ferner beantragt er Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist. Das Rechtsmittel erzielt nach Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Revision den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 16. Dezember 2020 dargelegten Gründen zu entsprechen.

2. Die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und mit Freiheitsberaubung kann nicht bestehen bleiben, weil Erörterungen zu einem möglichen Rücktritt des Angeklagten vom Versuch der Nötigung fehlen.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts suchten der Angeklagte und sein Mittäter im Auftrag eines Hintermannes den Zeugen H. in dessen Wohnung auf, um ihn einzuschüchtern, damit er Schulden in Höhe von 3.000 € beim Hintermann begleiche. Sie überrumpelten ihn unter Vorhalt eines Elektroschockers, verbrachten ihn in die Küche und fesselten ihm mit Gewebeklebeband die Hände auf dem Rücken. Die Zeugin Z., die sich im Wohnzimmer befand, hinderten sie dadurch am Verlassen der Wohnung, dass der Angeklagte den Finger auf seinen Mund legte und der Mittäter ihr den Elektroschocker entgegenhielt.

Der Angeklagte und sein Mittäter teilten sodann dem Zeugen H. mit, „dass er seine Schulden zu bezahlen habe, wenn er keinen Stress haben wolle, dass dies eine Lektion sei und dass sie ihm ‚Schöne Grüße aus Dortmund´ bestellen würden“. Sie gingen davon aus, dass der Zeuge hierdurch erkannte, um welche Forderung es sich handelte. Als der Angeklagte für kurze Zeit die Küche verließ, konnte der Zeuge die Fesseln lösen. Es kam zwischen dem Zeugen und dem Mittäter zu einem Kampf, dem sich nach seiner Rückkehr in die Küche auch der Angeklagte anschloss, und zu gegenseitigen Schlägen. Der Zeuge erlitt hierdurch eine blutende Wunde am Hinterkopf. „Als die Auseinandersetzung etwas zur Ruhe kam, ergriffen der Angeklagte und der Mittäter die Flucht.“ Das Landgericht hat diesen Sachverhalt als gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zum Nachteil des Zeugen H. und mit Freiheitsberaubung zum Nachteil der Zeugin Z. gewürdigt.

b) Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Nötigung hält der rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, die Frage eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch zu erörtern, obwohl der Sachverhalt hierzu drängte. Zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ? dem sogenannten Rücktrittshorizont ? hat sich das Landgericht nicht verhalten. Lässt sich jedoch den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, stellt dies einen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2020 - 4 StR 596/19; vom 7. März 2018 ? 1 StR 83/18, NStZ-RR 2018, 169; vom 23. August 2017 ? 5 StR 303/17; vom 23. November 2016 ? 4 StR 471/16, JuS 2017, 696; vom 11. März 2014 ? 1 StR 735/13, NStZ 2014, 396; vom 29. September 2011 ? 3 StR 298/11, NStZ 2012, 263 und vom 11. Februar 2003 ? 4 StR 8/03, StraFo 2003, 206; Urteil vom 19. März 2013 ? 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273).

Welche Vorstellungen den Angeklagten und seinen Mittäter bewogen, vom Tatopfer abzulassen und zu fliehen, erschließt sich auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe nicht. So kann dem Urteil nicht entnommen werden, dass der Versuch der Nötigung fehlgeschlagen war, etwa weil der Zeuge trotz des Einwirkens die Zahlungsaufforderung endgültig ablehnte und nach der Vorstellung des Angeklagten und seines Mittäters weitere Einschüchterungen zur Zielerreichung erfolglos waren. Auch hinreichende Anhaltspunkte, dass aus Sicht der beiden Angreifer die erfolgte Einschüchterung des Zeugen bereits ausreichte, um ihn zur Zahlung zu veranlassen, mithin ein beendeter Versuch vorlag, vermag der Senat den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

Vielmehr bleibt offen, ob nach der Vorstellung des Angeklagten und seines Mittäters ein weiteres Einwirken auf das Tatopfer nötig gewesen wäre, um ihrer Forderung zum Erfolg zu verhelfen, sie aber trotz bestehender Möglichkeiten von weiteren Gewalthandlungen oder Einschüchterungen Abstand nahmen. In diesem Falle läge ein strafbefreiender, weil freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 2 StGB vor. Vor diesem Hintergrund hätte das Landgericht den Rücktrittshorizont des Angeklagten näher erörtern müssen.

c) Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter Nötigung. Erfasst wird auch die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Dies entzieht zugleich dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Freiheitsberaubung genauer als bisher darzulegen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 516

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 134

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede