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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1021

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 303/17, Beschluss v. 23.08.2017, HRRS 2017 Nr. 1021


BGH 5 StR 303/17 - Beschluss vom 23. August 2017 (LG Görlitz)

Anforderungen an die Feststellungen bei der Rücktrittsprüfung (unbeendeter Versuch; beendeter Versuch; Rücktrittshorizont; Tätervorstellung; Korrektur des Rücktrittshorizonts; alsbaldiges Erkennen des Irrtums; Abstandnahme von weiteren Ausführungshandlungen).

§ 24 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein beendeter Tötungsversuch ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

2. Eine Korrektur des Rücktrittshorzionts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist danach nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldigem Erkennen seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfungen nicht stand

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 20. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, ausgenommen die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen; diese bleiben aufrechterhalten.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.

Das mit der Sachrüge geführte Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts verschaffte sich die in finanziellen Nöten befindliche Angeklagte unter der Vorspiegelung, vom Arbeiter-Samariter-Bund zu kommen, Zugang zu der Wohnung der 85-jährigen Nebenklägerin. Die Angeklagte hatte den Plan, das Opfer abzulenken und ihm in einem unbeobachteten Moment Geld zu entwenden. Als dies misslang, entschloss sich die Angeklagte, die Nebenklägerin mit einer im Flur ihrer Wohnung aufgefundenen etwa 50 cm langen Textilschnur so lange zu würgen, bis sie bewusstlos werden würde, um dann an das Geld zu gelangen. Die Angeklagte trat an die in ihrem Sessel sitzende arglose Nebenklägerin von hinten heran, warf die Schnur um den Hals, zog beide Enden über Kreuz zusammen und würgte die Nebenklägerin solange, bis sie bewusstlos wurde. Der als Altenpflegerin ausgebildeten Angeklagten war bewusst, dass die Drosselung lebensgefährlich war und die Nebenklägerin wegen des nicht mehr von der Angeklagten beherrschten Geschehensablaufs versterben könnte, was sie jedoch um ihres Ziels willen billigend in Kauf nahm. Nachdem die Angeklagte die Bewusstlosigkeit der Nebenklägerin bemerkt hatte, löste sie die Schnur vom Hals. Dabei sah sie, dass Blut aus dem Mund und einem Ohr trat. Infolge der Strangulation nässte die Nebenklägerin zudem ein. Nunmehr entwendete die Angeklagte ungefähr 140 Euro aus dem Wohnzimmerschrank. Als sie zufällig Streichhölzer entdeckte, kam ihr spontan der Gedanke, Feuer zu legen, um Spuren zu verwischen. „Dabei war ihr bewusst, dass die Geschädigte dabei versterben könnte“ (UA S. 9). Die Angeklagte entzündete einen Stapel Zeitungen. Als diese Feuer gefangen hatten, kamen ihr Bedenken, weil sie nicht wollte, dass der gesamte Wohnblock abbrennt. Auf das Leben der Nebenklägerin kam es ihr allerdings nicht an. Die Angeklagte löschte das Feuer, überprüfte den Pulsschlag der immer noch bewusstlosen Nebenklägerin und verließ die Wohnung. Nach wie vor erkannte die Angeklagte die Lebensgefahr der Nebenklägerin und nahm sie billigend in Kauf. Nach einiger Zeit erwachte diese und wurde in ärztliche Behandlung gebracht.

2. Das Landgericht hat die Tat der Angeklagten unter anderem auch als versuchten Mord gemäß §§ 211, 22, 23 StGB bewertet. Von diesem Versuch sei die Angeklagte nicht nach § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten, weil sie, „als sie die Geschädigte strangulierte, bis sie bewusstlos war, bereits alles getan hatte, was aus ihrer Sicht erforderlich war. Der Versuch war damit beendet“ (UA S. 38).

3. Diese Würdigung lässt besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.

Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist. Ein beendeter Tötungsversuch ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14; NStZ 2014, 507; Beschluss vom 23. November 2016 - 4 StR 471/16). Eine Korrektur des Rücktrittshorzionts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist danach nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldigem Erkennen seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfungen nicht stand (BGH, Urteil vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12 mwN, NStZ-RR 2013, 273).

Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht. Die Strafkammer stellt bei der Prüfung, ob ein beendeter Versuch vorliegt, auf die Vorstellungen der Angeklagten während des Strangulierens und damit den Zeitpunkt der Tötungshandlung ab. Ausdrückliche Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten nach deren Abschluss enthält das Urteil nicht. Diese kann der Senat trotz der von der Angeklagten erkannten schweren Folgen des Strangulierens auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen. Denn das Landgericht führt hinsichtlich der kurze Zeit später erfolgten Brandlegung aus, der Angeklagten sei bewusst gewesen, dass die Nebenklägerin durch den Brand („dabei“) versterben könne. Also ist jedenfalls für diesen Zeitpunkt zweifelhaft, ob sie davon ausging, allein mit dem Strangulieren alles für den Todeseintritt Erforderliche getan zu haben.

4. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs. Die Feststellungen zum objektiven Tathergang werden von ihm nicht berührt und können deshalb aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen - etwa betreffend ein Tötungsdelikt durch Unterlassen - sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird auch die Voraussetzungen eines versuchten Raubes mit Todesfolge zu prüfen haben.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1021

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 10

Bearbeiter: Christian Becker