HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 346
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 279/20, Beschluss v. 18.02.2021, HRRS 2021 Nr. 346
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 29. November 2019, soweit es ihn betrifft,
a) dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 4 und 5 unter II.B.3 der Urteilsgründe wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu der Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt ist; die für den Fall 4 verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten entfällt;
b) in der Urteilsformel dahin berichtigt, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt ist;
c) aufgehoben, soweit ein Vorwegvollzug von elf Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist; im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls mit Waffen in fünf Fällen, des versuchten Diebstahls mit Waffen in zwei Fällen, des Diebstahls, der Urkundenfälschung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und mit Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie in einem Fall zusätzlich tateinheitlich mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort schuldig gesprochen und ihn zu einer „Freiheitsstrafe“ von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug der „Freiheitsstrafe“ von elf Monaten angeordnet. Außerdem hat es die Fahrerlaubnisbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Die Verfahrensrügen dringen aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts nicht durch.
1. In den Fällen 4 und 5 unter II.B.3 der Urteilsgründe hält die konkurrenzrechtliche Bewertung als rechtlich selbständige Taten der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen rammte der Angeklagte, der nicht über eine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen verfügte und an seinem Kraftfahrzeug ein Kennzeichen angebracht hatte, das er von einem anderen Fahrzeug abmontiert und mit amtlichen Siegeln versehen hatte, im Zuge einer Fahrt mindestens fünf Straßenpoller und verursachte hierdurch einen Sachschaden in Höhe von mindestens 1.250 Euro (Fall 4 unter II.B.3 der Urteilsgründe).
Obwohl der Angeklagte sein Fahrzeug verlassen und die Beschädigungen an den Pollern bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt fort, ohne abzuwarten, ob sich ihm die Möglichkeit bot, gegenüber feststellungsbereiten Personen Angaben zu machen (Fall 5 unter II.B.3 der Urteilsgründe).
Das Landgericht hat dieses Geschehen als Urkundenfälschung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie im Fall 5 zusätzlich tateinheitlich mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort gewertet.
b) Die konkurrenzrechtliche Wertung dieser Taten ist rechtsfehlerhaft. Das Geschehen ist als eine Tat der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu werten.
Der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde bildet mit dem Herstellen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiellrechtliche Tat, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht. Bringt der Täter die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen an einem Fahrzeug an, um dieses als vermeintlich zugelassen im öffentlichen Straßenverkehr mehrfach zu nutzen, ist ein solcher Gesamtvorsatz in der Regel gegeben. Gleiches gilt, wenn ? wie hier ? ein einheitliches Gebrauchmachen der zusammengesetzten Urkunde vorliegt. Das jeweils tateinheitliche Zusammentreffen weiterer Delikte mit der einheitlichen Urkundenfälschung hat zur Folge, dass sämtliche Gesetzesverstöße, die nicht schwerer wiegen, zu einer Tat im materiellrechtlichen Sinne verklammert werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Februar 2017 - 4 StR 629/16 und vom 17. Oktober 2018 - 4 StR 149/18, jeweils mwN).
So liegt der Fall hier. Der auf einem Gesamtvorsatz des Angeklagten beruhende, das gesamte Geschehen erfassende Gebrauch des mit dem falschen Kennzeichen versehenen Fahrzeugs bewirkt die Verklammerung der übrigen während der Fahrt begangenen Delikte zu einem tateinheitlichen Geschehen.
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab, wobei er aus Gründen der Übersichtlichkeit davon absieht, die wegen der Unterbrechung durch das Unfallereignis erfolgte zweifache Verwirklichung der Delikte des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und des § 6 Abs. 1 Pflichtversicherungsgesetz im Tenor zum Ausdruck zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1996 - 4 StR 3/96; Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16). § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der insoweit geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
d) Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der für den Fall 4 verhängten Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die Gesamtstrafe von vier Jahren und zehn Monaten kann bestehen bleiben. Der Senat schließt angesichts der weiteren neun Einzelfreiheitsstrafen zwischen zehn Monaten und zwei Jahren aus, dass das Landgericht ohne die entfallene Einzelstrafe auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte. Auch die Anordnung der isolierten Sperre gemäß § 69 Abs. 1, § 69a Abs. 1 StGB kann bestehen bleiben, da sie unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Bewertung der Fahrzeugnutzung tragfähig begründet ist.
2. Die Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor der gemäß § 64 StGB angeordneten Maßregel hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, von welcher Therapiedauer das Landgericht ausgegangen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 ? 4 StR 448/10; vom 17. März 2011 - 4 StR 29/11). Das Landgericht hat zur Begründung der Dauer des gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB angeordneten Vorwegvollzugs eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe lediglich ausgeführt, dass dieser mit Blick auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe gemäß § 67 Abs. 2 und 5 StGB mit elf Monaten anzuordnen gewesen sei. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich indes nicht, ob die Strafkammer eine - nur rechnerisch ermittelbare - Therapiedauer von 18 Monaten für erforderlich erachtet hat.
Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es insoweit nicht. Bei der voraussichtlichen Therapiedauer handelt es sich um eine ergänzende Feststellung; die weiteren für § 67 Abs. 2, 5 StGB relevanten Feststellungen wurden rechtsfehlerfrei getroffen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2011 - 4 StR 29/11). Der diesbezügliche Teilaufhebungsantrag des Generalbundesanwalts steht einer Entscheidung des Senats im Beschlusswege nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008 - 4 StR 204/08 [zur Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge]).
3. Mit Ausnahme eines Fassungsversehens im Tenor - das Landgericht hat den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe (nicht: zu einer „Freiheitsstrafe“) verurteilt -, das der Senat berichtigt, weist das Urteil im Übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 346
Externe Fundstellen: NStZ 2022, 227; StV 2021, 363
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner