HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1140
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 149/18, Beschluss v. 17.10.2018, HRRS 2018 Nr. 1140
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 7. November 2017, soweit es den Angeklagten betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz und mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sowie des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Versicherungsschutz schuldig ist; die Einzelstrafen für die Taten II.1., 2. und 5. der Urteilsgründe entfallen;
b) im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich der Gesamtstrafe und der Entscheidung über eine Kompensation überlanger Verfahrensdauer mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag und mit Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Haftpflichtversicherungsvertrag in zwei Fällen zu der Gesamtstrafe von einem Jahr verurteilt. Des Weiteren hat es die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf eines Jahres keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Annahme selbständiger, realkonkurrierender Taten in den Fällen II.1. bis 3. sowie II.4. und 5. der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte, ohne im Besitz der erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, am 17. November 2013 mit einem - wie er wusste - nicht haftpflichtversicherten Pkw Subaru öffentliche Straßen in N. und Umgebung. An dem Pkw hatte er zu einem früheren Zeitpunkt die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen angebracht, um eine amtliche Zulassung des Pkw vorzutäuschen. Am Ende einer Straße in N. wendete der Angeklagte das Auto, stieg aus und verrichtete seine Notdurft. Anschließend setzte er die Fahrt fort. Wenig später kam dem Angeklagten der spätere Geschädigte entgegen, der seinen Pkw Lada Niva auf der schmalen Straße so zum Stehen brachte, dass der Angeklagte zunächst nicht weiterfahren konnte. Als der Angeklagte, der sein Fahrzeug kurz zurückgesetzt hatte, sodann an dem Fahrzeug des Geschädigten auf der Beifahrerseite vorbeifuhr, kollidierte er - für ihn unvorhersehbar - mit dem zwischenzeitlich aus seinem Pkw ausgestiegenen Geschädigten, der dadurch in Richtung der Motorhaube seines Fahrzeugs fiel und eine Prellung am rechten Knie sowie Schmerzen am rechten Arm davontrug. Der Angeklagte, der die Kollision wahrgenommen hatte, setzte seine Fahrt fort, ohne Feststellungen zu seiner Person und zum Unfall zu ermöglichen (Taten II.1. bis 3. der Urteilsgründe). Am 20. Dezember 2013 war der Angeklagte erneut ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit einem anderen nicht haftpflichtversicherten Pkw in D. unterwegs. Als er sein Fahrzeug aus einer Parklücke auf die Fahrbahn steuerte, kollidierte er mit dem Fahrzeug einer anderen Verkehrsteilnehmerin. Nachdem die Unfallbeteiligten ihre Personalien ausgetauscht hatten, fuhr der Angeklagte mit dem von ihm geführten Auto davon (Taten II.4. und 5. der Urteilsgründe).
b) Bei den Taten II.1. bis 3. der Urteilsgründe hat das Landgericht unabhängig von der - vom Generalbundesanwalt zutreffend bejahten - Frage, ob sich die Taten II.1. und 2. der Urteilsgründe trotz der kurzzeitigen Fahrtunterbrechung als einheitliches Gebrauchmachen von einer unechten zusammengesetzten Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 3. Alternative StGB in Tateinheit mit § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG und § 6 Abs. 1 PflVG darstellen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2014 - 4 StR 528/13, NStZ 2014, 272), übersehen, dass auch der mehrfache selbständige Gebrauch einer unechten Urkunde mit dem Herstellen der unechten Urkunde eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit eine materiellrechtliche Tat bilden, wenn der mehrfache Gebrauch dem schon bei der Fälschung bestehenden konkreten Gesamtvorsatz des Täters entspricht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - 3 StR 156/08, BGHR StGB § 267 Abs. 1 Konkurrenzen 3; vom 26. Oktober 2016 - 4 StR 354/16, NStZ-RR 2017, 26; vom 15. Februar 2017 - 4 StR 629/16, StraFo 2017, 124). Bringt der Täter die für ein anderes Fahrzeug ausgegebenen amtlichen Kennzeichen - wie hier - an einem Fahrzeug an, um dieses als vermeintlich zugelassen im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, ist ein solcher Gesamtvorsatz naheliegend gegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 - 4 StR 354/16, aaO; vom 16. Juli 2015 - 4 StR 279/15 Rn. 5).
c) Hinsichtlich der Taten II.4. und 5. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen die Annahme selbständiger Taten ebenfalls nicht.
Die Dauerdelikte des § 21 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 6 Abs. 1 PflVG umfassen die gesamte von vornherein auch über eine längere Wegstrecke geplante Fahrt bis zu deren endgültigem Abschluss, ohne dass kurzzeitige Fahrtunterbrechungen zu einer Aufspaltung der einheitlichen Tat führen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 7. November 2003 - 4 StR 438/03, VRS 106, 214; vom 22. Juli 2009 - 5 StR 268/09, DAR 2010, 273; Urteil vom 30. September 2010 - 3 StR 294/10, NStZ 2011, 212; Beschluss vom 9. März 2016 - 4 StR 60/16, StraFo 2016, 262). Etwas anderes gilt nur, wenn die Fortsetzung der Fahrt auf einem neu gefassten Willensentschluss des Täters beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 5 StR 93/97, NStZ 1997, 508; OLG Hamm, VRS 115, 142; LG Potsdam, DAR 2009, 285; Weidig in MünchKomm zum Straßenverkehrsrecht, § 21 StVG Rn. 40 f.; zu § 316 StGB vgl. Ernemann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 316 Rn. 40). Dementsprechend beginnt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine neue Dauerstraftat, wenn der Täter nach einem Unfallgeschehen weiterfährt, weil er den Entschluss gefasst hat, sich der Feststellung seiner Unfallbeteiligung durch Flucht zu entziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Februar 1967 - 4 StR 461/66, BGHSt 21, 203; Beschluss vom 10. April 1973 - 4 StR 118/73, VRS 48, 354; Urteil vom 17. Februar 1983 - 4 StR 716/82, VRS 65, 131). Dass der Angeklagte nach dem Halt zum Austausch der Personalien mit der Unfallgegnerin nicht seine ursprünglich geplante Fahrt fortsetzte, sondern einen neuen Tatentschluss fasste, hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Annahme von zwei materiellrechtlich selbständigen Taten ist daher nicht belegt.
d) Der Senat schließt angesichts des Zeitablaufs seit Tatbegehung aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung noch tatsächliche Feststellungen getroffen werden können, die in den Fällen II.1. bis 3. sowie II. 4. und 5. der Urteilsgründe eine Verurteilung wegen selbständiger Taten tragen könnten. Er ändert den Schuldspruch daher entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen.
Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der in den Fällen II.1., 2. und 5. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen. In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO können die Freiheitsstrafen von acht Monaten (II.3. der Urteilsgründe) und sieben Monaten (II.4. der Urteilsgründe) als alleinige Einzelstrafen für die jeweils einheitlichen Taten vom 17. November und 20. Dezember 2013 bestehen bleiben. Die Gesamtstrafe bedarf einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung.
2. Schließlich begegnen die Erwägungen der Strafkammer zu dem für die Verfahrensdauer zu gewährenden Ausgleich durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Das Landgericht hat auf der Grundlage zum Verfahrensablauf getroffener Feststellungen, wonach das Verfahren von Tatbegehung bis zum Urteil knapp vier Jahre dauerte, eine nicht vom Angeklagten zu vertretende überlange Verfahrensdauer angenommen und hierfür bei der Bemessung der Gesamtstrafe einen Abschlag von einem Monat und zwei Wochen gewährt. Bei dieser Sachlage wäre die Strafkammer aus Gründen sachlichen Rechts aber gehalten gewesen, die eingetretene Verfahrensverzögerung konkret zu bestimmen und gegebenenfalls eine Kompensationsentscheidung nach Maßgabe der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Vollstreckungslösung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) zu treffen. Dies wird der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter nachzuholen haben.
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 1140
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2019, 29; StV 2019, 449
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner