HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 506
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 187/20, Beschluss v. 16.02.2021, HRRS 2021 Nr. 506
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 6. Januar 2020
a) in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe geändert aa) im Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte der Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz in 47 Fällen, davon in elf Fällen in Tateinheit mit Beleidigung, schuldig ist; bb) im Strafausspruch dahin, dass eine Einzelstrafe von 10 Tagessätzen zu jeweils 30 € entfällt;
b) im Maßregelausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, Bedrohung und „wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz in 48 Fällen, davon in elf Fällen in Tateinheit mit Beleidigung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat; ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete und mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Überprüfung des Urteils hat zu den Schuldsprüchen keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Jedoch ist dem Landgericht ein Zählfehler unterlaufen, soweit es in den Fällen 4 und 5 („Taten 5 bis 51“) der Urteilsgründe von 48 Taten ausgegangen ist; festgestellt sind 47 und nicht - wie tenoriert - 48 tatmehrheitliche Zuwiderhandlungen gegen das Gewaltschutzgesetz. Der Senat hat den Urteilstenor entsprechend geändert. Dies führt zum Wegfall einer Einzelgeldstrafe von 10 Tagessätzen zu jeweils 30 Euro. Der Wegfall der Einzelstrafe lässt die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unberührt. Der Senat schließt im Hinblick auf Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen aus, dass das Landgericht bei Wegfall der Einzelgeldstrafe eine mildere Gesamtstrafe verhängt hätte.
2. Die Maßregelanordnung hat keinen Bestand. Das Landgericht hat nicht rechtsfehlerfrei begründet, dass von dem an einer wahnhaften psychotischen Störung leidenden Angeklagten in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
a) Das sachverständig beratene Landgericht hat zur Begründung der Gefährlichkeitsprognose ausgeführt, dass vom Angeklagten künftig erhebliche, das Gewicht der Anlassdelikte übersteigende Straftaten wie Bedrohungen mit erheblichen psychischen Folgen für die Opfer, Körperverletzungen und mit gefährlichen Werkzeugen begangene gefährliche Körperverletzungen drohen. Zur Begründung hat es unter anderem darauf abgestellt, dass der Angeklagte zur Begehung der Tat II.4 der Urteilsgründe ein Küchenmesser mit sich führte. Für diese Feststellung fehlt in den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs ein tragfähiger Beleg. Zwar ist im Rahmen der Beweiswürdigung die Zeugenaussage eines Nachbarn angeführt, der den „randalierenden“ Angeklagten bis zum Eintreffen der Polizei festhielt; ob auf seinen Angaben die Feststellungen zur Bewaffnung des Angeklagten beruhen, lässt sich den Urteilsgründen jedoch nicht entnehmen.
b) Das Landgericht hat seine Gefährlichkeitsprognose auch auf eine im Jahr 2015 erfolgte Verurteilung des Angeklagten wegen einer im Rahmen einer Auseinandersetzung mit Polizeibeamten begangenen Körperverletzung gestützt; insoweit fehlt es an den erforderlichen Feststellungen, dass auch diese Tat auf der Erkrankung des Täters beruhte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2019 - 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9 und vom 10. Mai 2016 - 4 StR 185/16, StV 2016, 719, 720) und nicht etwa normalpsychologisch erklärbar ist.
c) Soweit das Landgericht dem unauffälligen Verhalten des Angeklagten seit April 2018 letztlich keine prognostisch günstige Bedeutung beigemessen hat, weil es angesichts der fortbestehenden wahnhaften Störung lediglich eines „scheinbar auch nur geringen äußeren Einflusses“ bedürfe, damit der Angeklagte wieder in alte Verhaltensmuster zurückfalle, erschließt sich ohne nähere Erläuterung, an der es hier fehlt, nicht, inwiefern diese Erwägung mit der Annahme zu vereinbaren ist, dass diese „jüngste Entwicklung“ eine Aussetzung der Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung rechtfertigt.
3. Die Sache bedarf daher im Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 506
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede