HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 630
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 142/20, Beschluss v. 24.03.2021, HRRS 2021 Nr. 630
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. Juni 2019 wird verworfen.
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels, die im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Neben- und Adhäsionsklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls sowie wegen Mordes in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen, in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in vier rechtlich zusammentreffenden Fällen, verbotenem Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Außerdem hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen, und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Nach den Feststellungen brachen der Angeklagte und zwei mit ihm entfernt verwandte Mittäter am Abend des 6. Juni 2018 im Stadtgebiet von Berlin einen Transporter auf und entwendeten daraus diverse Koffer mit Werkzeug. Ihre Beute, die ein Gewicht von etwa 400 kg hatte, verstauten sie in dem von ihnen genutzten Pkw. Dabei wurden sie von zivilen Einsatzkräften der Polizei beobachtet. Danach verließen der Angeklagte und seine Mittäter mit ihrem von dem Angeklagten geführten Fahrzeug den Tatort. Einen Anschnallgurt legten sie nicht an. Die auf sechs zivile Einsatzfahrzeuge verteilten Polizeibeamten folgten ihnen, um an geeigneter Stelle eine vorläufige Festnahme herbeizuführen.
Als der Angeklagte an einer Kreuzung auf der linken Fahrspur hinter einem der Polizeifahrzeuge wegen einer roten Ampel anhalten musste, positionierten sich weitere Polizeifahrzeuge um sein Fahrzeug herum. Links neben dem Fahrzeug des Angeklagten befand sich eine Mittelinsel mit in den Boden eingelassenen Metallbügeln. Mindestens fünf zivile Polizeibeamte verließen ihre Fahrzeuge und riefen laut „Polizei“. Ein Beamter öffnete die Beifahrertür des Fahrzeugs des Angeklagten und trat zwischen die geöffnete Tür und die Fahrgastzelle; ein anderer Polizeibeamter schlug die Seitenscheibe der Fahrertür ein, um den Angeklagten zu greifen.
Der Angeklagte erkannte, dass er und seine Mittäter auf frischer Tat entdeckt und sie von zivilen Polizeibeamten mit ihren Fahrzeugen eingekesselt waren. Er wusste, dass ihm wegen des vorangegangenen Diebstahls seine Identifizierung drohte und wollte sich seiner Festnahme entziehen. Er legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit Vollgas rückwärts, um sich gegen das hinter ihm stehende Polizeifahrzeug „freizurammen“ und sich nach links über die Mittelinsel abzusetzen. Dabei wusste er, dass die in der Beifahrertür und an der Fahrertür stehenden Polizeibeamten mitgerissen werden würden und jedenfalls verletzt werden könnten. Beides nahm er in Kauf, um unerkannt flüchten zu können. Wie von dem Angeklagten vorausgesehen und wahrgenommen, wurde der in der Beifahrertür stehende Polizeibeamte mitgerissen. Der Angeklagte fuhr mit Wucht mit seinem Fahrzeug auf das dahinterstehende Polizeifahrzeug auf und schob es gegen ein weiteres Polizeifahrzeug. Der von einer Einquetschung bedrohte Polizeibeamte konnte sich durch einen Sprung auf das rechts neben dem Fahrzeug des Angeklagten befindliche Polizeifahrzeug retten. Der in der Fahrertür des Fahrzeugs des Angeklagten befindliche Polizeibeamte rettete sich durch einen Sprung zur Seite. Sodann fuhr der Angeklagte mit Vollgas nach links über die Mittelinsel, wobei sich alle vier Räder seines Fahrzeugs kurzzeitig in der Luft befanden.
Der Angeklagte fuhr in der Folge mit Vollgas auf der Gegenfahrbahn in der bisherigen Fahrtrichtung weiter und bog nach links in eine Straße ab, die in diesem Bereich als verkehrsberuhigte Tempo-30-Zone ausgewiesen war. Um den ihm folgenden Polizeibeamten entkommen zu können, fuhr er weiter, wobei er eine nach den Straßenbegebenheiten höchstmögliche Geschwindigkeit erreichen wollte. Nach etwa 200 Metern bog er an einer Kreuzung bei Rotlicht nach rechts ab, wobei er mit Kurvengrenzgeschwindigkeit (etwa 35 km/h) driftete und auf die nicht befahrene Gegenfahrbahn geriet. Für den Angeklagten zeigte sich am Ende der Straße eine mit insgesamt sechs Ampeln ausgestattete Kreuzung mit einer stark befahrenen Hauptverkehrsstraße. Kurz nach dem Durchfahren der Kurve erkannte er, dass auf der mindestens 150 Meter vor ihm beginnenden Kreuzung zwar noch keine Fahrzeuge querten, die Ampelanlage für ihn aber bereits Rotlicht anzeigte. Dennoch fuhr er mit hoher Beschleunigung, die Geschwindigkeit stetig steigernd, auf die Kreuzung in der Absicht zu, diese auch bei Rotlicht zu überqueren. Die kreuzende Straße links und rechts konnte er nicht einsehen und erkannte daher nicht, dass zu diesem Zeitpunkt jeweils etwa 17 Meter von der Kreuzungsmitte entfernt an ihren Haltelinien bereits diverse Autos und andere Verkehrsteilnehmer zu beiden Seiten standen, die - ebenso wie Fußgänger - auf Grün warteten. Er erkannte, dass die Wahrscheinlichkeit des Querverkehrs angesichts des länger für ihn bestehenden Rotlichts hoch war und dass im Fall einer Kollision querende Verkehrsteilnehmer - Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger - angesichts seiner dann hohen Geschwindigkeit verletzt werden oder auch zu Tode kommen könnten. Diese Gefahr erkannte er auch für sich und seine beiden Mitfahrer. Sein Wille zur Flucht war jedoch so stark, dass er deshalb die Tötung anderer Verkehrsteilnehmer und auch seiner Mitfahrer billigend in Kauf nahm und sich damit abfand, selbst zu sterben. Mit diesem Vorsatz gab er nach dem Umfahren einer Mittelinsel etwa 100 Meter vor der Kreuzung Vollgas, um diese zu überqueren. Ihm kam es darauf an, als Täter des vorangegangenen Einbruchdiebstahls in den Transporter und des Ausbrechens aus der Polizeisperre unentdeckt zu bleiben. Ihm war auch bewusst, dass er andere Verkehrsteilnehmer ohne die Möglichkeit der Abwehr überraschen würde und bei einer Kollision eine unbestimmte Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden würde. Etwa 20 bis 30 Meter vor der Kreuzung öffnete sich für den Angeklagten die Sicht in die querende Straße. Obwohl er den anfahrenden Querverkehr nun erkannte, gab er weiterhin Vollgas.
Beim Einfahren in die Kreuzung betrug die Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Angeklagten mindestens 80 km/h. Im Kreuzungsbereich prallte ein von links kommendes Fahrzeug, das mit zwei Personen besetzt war, mit einer Geschwindigkeit von 15 km/h auf die linke Seite des Fahrzeugs des Angeklagten. Dieses geriet dadurch leicht ins Driften. Dennoch fuhr der Angeklagte mit Vollgas geradeaus und prallte mit 79 km/h mit seinem ausgebrochenen Heck auf die Frontseite eines von rechts kommenden Pkw, dessen Fahrerin ebenfalls bei Grün angefahren war. Mit noch 75 km/h erfasste das Fahrzeug des Angeklagten sodann mit dem driftenden Heck eine Fußgängerin, die bei Grünlicht zeigender Fußgängerampel die Straße überqueren wollte und die Fahrbahn betreten hatte. Durch den Aufprall erlitt sie tödliche Verletzungen. Zwei Insassen der querenden Fahrzeuge wurden leicht verletzt.
Schließlich prallte das Fahrzeug des Angeklagten auf Höhe der Beifahrertür mit einer Geschwindigkeit von weiterhin mindestens 75 km/h auf ein parkendes Fahrzeug. Hierbei erlitt der Beifahrer des Angeklagten tödliche Verletzungen. Anschließend versuchte der verletzte Angeklagte noch zu Fuß zu flüchten und widersetzte sich seiner Festnahme.
Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
1. Die der Verurteilung wegen Mordes in zwei Fällen und wegen versuchten Mordes in drei Fällen zugrundeliegende Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente in jedem Einzelfall umfassend zu prüfen und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Die Prüfung, ob Vorsatz oder bewusste Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich das Tatgericht mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivlage und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände ? insbesondere die konkrete Angriffsweise ? mit in Betracht zieht. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wenngleich nicht den alleinigen, so doch einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 - 4 StR 266/20 Rn. 10; Urteil vom 18. Juni 2020 ? 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ? 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88, 93 mwN).
b) Daran gemessen hält die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes in Bezug auf die getötete Fußgängerin, den getöteten Mitfahrer und die Insassen in den kollidierten Fahrzeugen revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei aus der von dem Angeklagten wahrgenommenen langen Dauer der für ihn geltenden Rotphase, der fehlenden Erwartung, dass die Ampel für ihn noch auf Grün springen konnte, der langen Nichteinsehbarkeit der querenden Straße und deren erkannter Verkehrsbedeutung darauf geschlossen, dass dem Angeklagten die hohe Gefährlichkeit seines Handelns bewusst war. Auch die Annahme, dass der Angeklagte darum wusste, dass für andere Verkehrsteilnehmer im Querverkehr im Fall einer Kollision wegen der von ihm gefahrenen hohen Geschwindigkeit und des Gewichtes seines schwer beladenen Fahrzeugs ein hohes Risiko für tödliche Verletzungen bestand, ist hinreichend belegt. Dabei hat die Strafkammer auch einen Bezug zu seinen Mitinsassen hergestellt.
Es begegnet unter den hier gegebenen besonderen Umständen auch keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Landgericht neben dem in seiner Gefährlichkeit kaum zu übertreffenden Fahrverhalten des Angeklagten auch in dessen starken Fluchtwillen ein ausschlaggebendes Indiz für die Annahme gesehen hat, er habe auch den Tod anderer als mögliche Folge seines Handelns in Kauf genommen. Das Landgericht hat insoweit rechtlich beanstandungsfrei auf das Vorgehen des Angeklagten bei dem Versuch seiner Festnahme (Freirammen, lebensgefährliches Fahrmanöver für einen der eingesetzten Polizeibeamten) wie auch seine anschließende Flucht auf der Gegenfahrbahn ohne Rücksicht auf möglichen Gegenverkehr und seinen Fluchtversuch nach den Kollisionen abgestellt und hieraus auf ein außerordentliches Maß an Gleichgültigkeit gegenüber den Interessen anderer geschlossen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 ? 6 StR 43/20, NStZ 2020, 618 Rn. 18; Urteil vom 25. April 2019 ? 4 StR 442/18, NStZ 2019, 608 Rn. 17 f. mwN). Dabei hat sich die Strafkammer auch ausreichend mit den maßgeblichen vorsatzkritischen Gesichtspunkten auseinandergesetzt und insbesondere die von dem Angeklagten erkannte Eigengefährdung und die Gefährdung seiner Mitfahrer (vgl. dazu BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 ? 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 32 ff. mwN) in seine Erwägungen einbezogen.
2. Auch die Verurteilung wegen verbotenen Kraftfahrzeugrennens mit Todesfolge gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 und 5 StGB ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
a) Nach der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Begehungsalternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich strafbar, wer sich im Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
aa) Objektive Tathandlung ist das Sich-Fortbewegen als Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit. Das Merkmal der unangepassten Geschwindigkeit ist dabei durch Auslegung des Regelungsgehalts der Strafnorm zu bestimmen. Es meint jede der konkreten Verkehrssituation nach den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften nicht mehr entsprechende Geschwindigkeit und erfasst daher nicht nur Verstöße gegen die Gebote des § 3 Abs. 1 StVO, sondern auch Überschreitungen der in § 3 Abs. 3 StVO geregelten allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 Rn. 13; König in LKStGB, 13. Aufl., § 315d Rn. 24; Zieschang NZV 2020, 489, 490 jew. mwN).
bb) Für das inhaltliche Verständnis der einschränkenden Tatbestandsmerkmale grob verkehrswidrig und rücksichtslos kann auf die zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB ergangene Judikatur zurückgegriffen werden. Dabei beziehen sich die Merkmale grob verkehrswidrig und rücksichtslos - wie auch bei der Strafnorm des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB - auf die objektive Tathandlung, mithin auf das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit. Für die Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist daher, dass sich gerade die Fortbewegung des Täters mit nicht angepasster Geschwindigkeit als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt. Dabei kann sich die grobe Verkehrswidrigkeit allein aus der besonderen Massivität des Geschwindigkeitsverstoßes oder aus begleitenden anderweitigen Verkehrsverstößen ergeben, die in einem inneren Zusammenhang mit der nicht angepassten Geschwindigkeit stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 Rn. 14, König in LK-StGB, 13. Aufl., § 315d Rn. 25; Preuß NZV 2018, 537, 539; Kusche NZV 2017, 414, 417 jew. mwN).
cc) Das grob verkehrswidrige und rücksichtslose Sich-Fortbewegen mit nicht angepasster Geschwindigkeit muss im Sinne einer überschießenden Innentendenz von der Absicht getragen sein, eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Diese muss darauf gerichtet sein, die nach den Vorstellungen des Täters unter den konkreten situativen Gegebenheiten - wie Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse etc. - maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Hierzu ist weiterhin zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 Rn. 15 mwN).
dd) Die Absicht des Täters, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die nach den situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns sein. Es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. Dieses Verständnis des Absichtsmerkmals in § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB hat zur Folge, dass beim Vorliegen der weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen auch sogenannte Polizeifluchtfälle - wie hier - von der Strafvorschrift erfasst werden, sofern festgestellt werden kann, dass es dem Täter darauf ankam, als notwendiges Zwischenziel für eine erfolgreiche Flucht über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dabei ist zu beachten, dass aus einer Fluchtmotivation nicht ohne Weiteres auf die Absicht geschlossen werden kann, die gefahrene Geschwindigkeit bis zur Grenze der situativ möglichen Höchstgeschwindigkeit zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2021 - 4 StR 225/20 Rn. 17 mwN).
b) Daran gemessen hat der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB verwirklicht.
aa) Der Angeklagte hat nach der Umfahrung der etwa 100 Meter vor der Kreuzung befindlichen Mittelinsel sein Fahrzeug maximal beschleunigt, sodass es beim Einfahren in die Kreuzung eine Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h aufgenommen hatte. Damit hatte der Angeklagte die nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit deutlich überschritten.
bb) Hierauf bezogen handelte er auch grob verkehrswidrig und rücksichtslos. Denn diese deutliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit war von einem weiteren gewichtigen Verkehrsverstoß begleitet, indem der Angeklagte die für ihn Rotlicht zeigende Ampel überfuhr. Dabei setzte er sich über die von ihm erkannten Belange der anderen Verkehrsteilnehmer hinweg, allein um seinen Fluchtwillen zu realisieren. Er beschleunigte auch noch weiter, als er Einblick in die querende Hauptstraße bekam und den anfahrenden Querverkehr wahrnehmen konnte. Selbst nach der ersten Streifkollision gab er weiterhin Vollgas, obwohl sein Fahrzeug außer Kontrolle geriet.
cc) Der Angeklagte handelte auch in der Absicht, die nach seinen Vorstellungen unter den konkreten situativen Gegebenheiten (Motorisierung, Verkehrslage, Streckenverlauf, Witterungs- und Sichtverhältnisse) maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er nach dem Umfahren der Mittelinsel kontinuierlich Vollgas gab und damit die nach den technischen Möglichkeiten seines Fahrzeugs maximale Geschwindigkeit anstrebte.
Diese Absicht war auch auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezogen. Die von dem Angeklagten bis zu den Kollisionen mit maximaler Beschleunigung zurückgelegte Wegstrecke betrug zwar lediglich etwa 100 Meter. Seine Fahrt war aber nach den Feststellungen von der Absicht getragen, sich der Festnahme durch die ihn verfolgenden Polizeibeamten zu entziehen und seine Flucht über die Kreuzung hinaus fortzusetzen. Die von dem Angeklagten bewirkte maximale Beschleunigung war damit nicht darauf gerichtet, ein bestimmtes nur wenig entferntes Verkehrsziel zu erreichen (etwa: Passieren einer nahen Ampel vor dem Ende der Gelbphase) oder einen konkreten räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgang durchführen zu können (etwa: kurze Maximalbeschleunigung bei einem Überholvorgang), um die Fahrt danach mit angepasster Geschwindigkeit fortzusetzen. Vielmehr war sie auf eine noch nicht bestimmbare Distanz bezogen, deren Länge maßgeblich durch das angestrebte Fluchtziel definiert wurde. Dabei war weiter zu berücksichtigen, dass die Fahrt mit maximaler Beschleunigung im innerstädtischen Verkehr stattfand und daher auch unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten bedeutsam war.
dd) Schließlich belegen die Feststellungen auch, dass es dem Angeklagten im Sinne eines notwendigen Zwischenziels darauf ankam, über eine nicht ganz unerhebliche Wegstrecke die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, um zu seinem Endziel (Flucht) gelangen zu können.
c) Der Angeklagte hat zudem den Qualifikationstatbestand des § 315d Abs. 2 StGB und die daran anknüpfende Erfolgsqualifikation des § 315d Abs. 5 StGB erfüllt. Denn er hat mit seiner Tathandlung nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB eine nach den Feststellungen der Strafkammer von seinem Vorsatz umfasste konkrete Gefahrenlage für die Tatopfer geschaffen, die sich in zwei Fällen - wie vom Angeklagten in Kauf genommen - auch verwirklichte.
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 630
Externe Fundstellen: StV 2021, 502
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner