HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 990
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 115/20, Beschluss v. 07.05.2020, HRRS 2020 Nr. 990
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. November 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts litt der 46 Jahre alte, arbeits- und zuletzt auch obdachlose Beschuldigte seit Jahrzehnten unter einer Alkoholabhängigkeit und erkrankte im Jahr 2011 an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis.
Zwischen Mitternacht und dem Morgen des Tattages griff der erheblich alkoholisierte Beschuldigte aus ungeklärtem Anlass das Tatopfer W., mit dem er im Jahr 2017 eine intime Beziehung geführt und der ihn am Vortag in seiner Wohnung aufgenommen hatte, körperlich an. Dabei schlug und trat der Beschuldigte massiv auf das ebenfalls alkoholisierte Tatopfer ein, das infolge dieser Einwirkungen unter anderem Rippenserienbrüche sowie eine Leberverletzung erlitt, die schließlich zu seinem Tod führte. Dabei fehlte dem Beschuldigten aufgrund eines krankheitsbedingten aggressiven Impulsdurchbruchs die Fähigkeit, das Unrecht seines Tuns einzusehen.
Die Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte hierfür in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2020 - 2 StR 436/19, juris Rn. 5; vom 1. August 2018 - 5 StR 336/18, juris Rn. 7 mwN; vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75 und vom 15. Januar 2015 - 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395).
2. Diesen Darlegungsanforderungen wird das angefochtene Urteil bereits im Hinblick auf die Schuldfähigkeitsprüfung nicht gerecht.
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 - 4 StR 446/17, StV 2019, 232, 233; vom 14. Juli 2016 - 1 StR 285/16, juris Rn. 7; und Urteil vom 12. März 2013 - 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen Unrechtseinsichtsfähigkeit oder der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146; vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135).
b) Gemessen hieran ist die Feststellung, dass dem Beschuldigten infolge eines krankheitsbedingten aggressiven Impulsdurchbruchs die Einsicht in das Unrecht seines Tuns fehlte, nicht tragfähig belegt.
Das Landgericht hat sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. R. angeschlossen, wonach der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoiden Ideen litt, aufgrund derer „er sich auch massiven Bedrohungen gegen seine Person ausgesetzt gesehen“ habe. Dessen Ausführungen sind in den Urteilsgründen dahin wiedergegeben, dass der Beschuldigte anlässlich der Exploration zwei Tage nach der Tat noch massiv unter dem Einfluss paranoider Ideen mit ausgedehnten Wahnvorstellungen, erheblichem Beeinflussungsempfinden, Gedankenflüchtigkeit und Realitätsverkennung gestanden habe. Auf der Grundlage dieser knappen und allgemein gehaltenen Wendungen vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, auf welcher Tatsachengrundlage das Landgericht die sichere Überzeugung von einem zur Tatzeit bestehenden krankheitsbedingten aggressiven Bedrohungserleben als Tatanlass gewonnen hat. Näherer beweiswürdigender Erwägungen hierzu hätte es auch deshalb bedurft, weil diese Annahme nicht ohne Weiteres mit der landgerichtlichen Feststellung vereinbar ist, dass der Beschuldigte das Tatopfer „aus einem nicht näher aufklärbaren Anlass“ körperlich angriff.
3. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Anlasstat und psychischer Störung nicht tragfähig belegt ist. Insoweit hätte sich das Landgericht angesichts der Feststellungen zur Tatvorgeschichte, insbesondere der spezifischen Beziehung zwischen Täter und Opfer, sowie der erheblichen Alkoholisierung des Beschuldigten und des Tatopfers zu einer Erörterung veranlasst sehen müssen, ob die Tat auch normalpsychologisch motiviert gewesen sein könnte. Das lediglich zeitgleiche Vorliegen einer Erkrankung bei Begehung der Tat, reicht für die Begründung eines Symptomatischen Zusammenhangs nicht aus.
4. Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Das Landgericht wird angesichts der schwierigen Beweislage und naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen mögliche - normalpsychologische - Tatmotive in den Blick zu nehmen haben. Darüber hinaus bedarf die im Rahmen der Maßregelanordnung anzustellende Gefährlichkeitsprognose einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit dem Vorleben des Beschuldigten, an der es in dem angegriffenen Urteil ebenfalls fehlt.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 990
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner