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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 980

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 336/18, Beschluss v. 01.08.2018, HRRS 2018 Nr. 980


BGH 5 StR 336/18 - Beschluss vom 1. August 2018 (LG Berlin)

Rechtsfehlerhafte Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Darstellung der wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen; fehlende Darlegung zu den Auswirkungen einer festgestellten Krankheit auf die Tatbegehung; krankheitsbedingte Persönlichkeitseinschränkungen).

§ 63 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Auch bei der Diagnose einer schweren psychischen Erkrankung (hier: einer paranoid-halluzinatorischen Psychose) bedarf es für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) einer konkretisierenden Darlegung in den Urteilsgründen, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen ausgewirkt haben soll.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. März 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und wegen versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts versuchte der Ende 2016 aus Strafhaft entlassene Angeklagte im Mai 2017 vergeblich, ein gekipptes Küchenfenster aufzudrücken, um aus der Wohnung stehlenswerte Gegenstände zu entwenden. Ende Juli 2017 stieg er auf einen im Hochparterre gelegenen Balkon, schlug mit einem Blumentopf die Türscheibe ein und stahl aus der Wohnung Gegenstände im Gesamtwert von 5.000 Euro. Der Angeklagte litt bei diesen Taten jeweils an Geldmangel; er lebte zu dieser Zeit von „Hartz IV“. Die Art und Weise der Tatbegehung ähnelt früheren Taten.

b) Der Angeklagte ist massiv einschlägig vorbestraft. Verurteilungen wegen Diebstahlstaten (auch Wohnungseinbruchdiebstahl) erfolgten unter anderem 2002, 2003, 2008, 2009, 2010, 2011, 2014 und 2015. Seit spätestens 2013 leidet der unter gesetzlicher Betreuung stehende Angeklagte an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose, zudem liegt ein Cannabismissbrauch vor. Bei den Verurteilungen in den Jahren 2014 und 2015 wurden aufgrund dieser Erkrankung, teils in Verbindung mit Cannabiskonsum, die Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Tatbegehung angenommen.

c) Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung erheblich vermindert gewesen sei. Zwar hätten sich keine Anhaltspunkte für ein psychotisches Erleben mit inhaltlicher Verkennung der realen Gegebenheiten ergeben, weshalb auch nicht von einer Exacerbation der psychotischen Krankheit auszugehen sei. Es habe sich vielmehr jeweils um ein folgerichtiges Vorgehen gehandelt, bei dem der Angeklagte auch um die Strafbarkeit der Taten gewusst habe. „Das Verhalten verstehe sich eher als eine eingeschliffene Lebensweise.“ Könne deshalb eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit sicher ausgeschlossen werden, dürfe doch nicht verkannt werden, dass die psychotische Störung mit einer erheblichen Ambivalenz und Ambitendenz einhergehe, was dazu führe, dass die von der Erkrankung betroffene Person nicht über die gleiche Handlungsfreiheit, Selbstsicherheit und auch Frustrationstoleranz verfüge wie ein gesunder Mensch. Damit gehe eine wesentlich eingeschränkte Steuerungsfähigkeit einher, die konkret auch beim Angeklagten angenommen werden müsse und hier die Taten wesentlich mitbedingt habe. Zukünftig seien krankheitsbedingt ähnliche erhebliche Taten zu erwarten, weshalb der Angeklagte nach § 63 StGB unterzubringen sei.

2. Die Unterbringungsentscheidung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Dezember 2017 - 5 StR 388/17 mwN). Auch bei der Diagnose einer schweren psychischen Erkrankung wie etwa einer paranoid-halluzinatorischen Psychose bedarf es einer konkretisierenden Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen ausgewirkt haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2018 - 1 StR 33/18).

b) Der Senat kann anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, in welcher Weise sich die nicht exacerbierte Erkrankung - etwa auch in Form einer krankheitsbedingten Persönlichkeitsveränderung (vgl. BGH aaO) - bei der jeweiligen Tatbegehung konkret auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt haben soll. Der Angeklagte begeht seit über 15 Jahren - und damit auch schon vor Krankheitsausbruch - immer wieder gleichartige Diebstahlstaten, darunter auch Wohnungseinbruchdiebstahl, um seine finanziellen Verhältnisse aufzubessern. Die Sachverständige und mit ihr das Landgericht sehen hierin zutreffend eine „eingeschliffene Lebensweise“.

Die eher allgemein gehaltenen Ausführungen des Landgerichts zu krankheitsbedingten Persönlichkeitseinschränkungen belegen vor dem Hintergrund der Vorgeschichte des Angeklagten nicht, dass die neuerlichen Taten nunmehr ihren Grund in der Erkrankung des Angeklagten finden (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 27. April 2016 - 2 StR 80/16, und vom 19. September 2017 - 5 StR 385/17). Jedenfalls hätte die Strafkammer in diese Prüfung die einschlägigen Vorstrafen einbeziehen und erörtern müssen, inwieweit trotz der seit vielen Jahren „eingeschliffenen Lebensweise“ die Krankheit des Angeklagten auf einmal ein solches Gewicht für die (nicht etwa irrational motivierte) Tatbegehung erhält, dass sie zur sicheren Annahme des § 21 StGB führen könnte.

3. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Schuldund Strafausspruch sind vom Rechtsfehler unberührt. Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen wird und sich die Anordnung der Maßregel bei der Strafzumessung oder der Bewährungsentscheidung zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 980

Bearbeiter: Christian Becker