HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 975
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 85/19, Beschluss v. 17.07.2019, HRRS 2019 Nr. 975
Es wird festgestellt, dass der Angeklagte die gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. September 2018 eingelegte Revision wirksam zurückgenommen hat.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und wegen Vergewaltigung unter Auflösung der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 16. April 2013 (59 Ls 304 Js 27/12-63/12) und unter Einbeziehung der darin verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt; darüber hinaus hat es ihn wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie wegen versuchter Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte durch seine Verteidiger rechtzeitig Revision eingelegt und das Rechtsmittel form- und fristgerecht begründet. Der Generalbundesanwalt hat am 18. Februar 2019 beantragt, das angegriffene Urteil im Fall II.1. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin abzuändern, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entfällt; insoweit sei Verfolgungsverjährung eingetreten; diese Änderung lasse den Strafausspruch jedoch unberührt, so dass die Revision im Übrigen zu verwerfen sei.
Mit an die Vorsitzende der Strafkammer adressiertem, an die Staatsanwaltschaft Bochum gerichtetem Schreiben vom 17. Mai 2019 erklärte der Angeklagte, dass er „sehr tief und intensiv über meine Tat nach gedacht“ habe und zu dem Schluss gekommen sei, dass er die Revision „zurückziehen“ und „mit ihnen Persönlichen sprechen und die ganze wahrheit von meiner seits ins Licht bringen“ wolle; auch sei er bereit, eine Therapie zu absolvieren und an sich zu arbeiten. Mit Verfügung vom 24. Mai 2019 leitete die Vorsitzende eine Ablichtung dieses Schreibens den Verteidigern des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu, wies darauf hin, dass sie das Schreiben des Angeklagten nicht als Rechtsmittelrücknahme, sondern lediglich als Ankündigung einer Rücknahme auslege, und bat um Mitteilung, ob die in dem Schreiben enthaltene Bitte des Angeklagten um ein persönliches Gespräch als Antrag auf mündliche Haftprüfung auszulegen sei. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt S., teilte daraufhin mit, dass der Angeklagte „von seiner Überlegung, die Revision zurückzuziehen abgerückt“ sei und fügte ein auf den 12. Juni 2019 datiertes Schreiben des Angeklagten bei, in dem dieser erklärte, dass sein Verteidiger mit ihm den Antrag des Generalbundesanwalts vom 18. Februar 2019 erörtert und ihm erklärt habe, dass nach dessen Ausführungen „eine Chance, aber andererseits keine Garantie“ bestehe, weniger Strafe zu bekommen, und er aus diesem Grund die Revision nicht zurücknehmen wolle.
Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Da die Frage, ob eine wirksame Revisionsrücknahme vorliegt, von den Verfahrensbeteiligten unterschiedlich beurteilt wird, ist die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 3 StR 6/19; Beschluss vom 2. Juli 2019 - 2 StR 570/18).
1. Dass das Rechtsmittel von den Verteidigern des Angeklagten eingelegt und begründet worden war, ist für die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme ohne Belang; der erklärte Wille des Angeklagten hat stets Vorrang (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 1988 - 4 StR 316/88, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7; BGH, Beschluss vom 3. November 2011 - 2 StR 353/11, juris).
2. Die Rücknahmeerklärung des Angeklagten wahrt die hierfür vorgesehene Form (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 302 Rn. 7 mwN) und ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf die Beendigung des Revisionsverfahrens gerichtet. Dies belegt die gebotene Würdigung des Schreibens nach seinem Wortlaut und dem Gesamtsinn der Erklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 1996 - 1 StR 487/96, NStZ 1997, 378). Der Angeklagte hat unter Hinweis auf seine aktuelle Situation zweifelsfrei seinen Willen zum Ausdruck gebracht, die Revision zurücknehmen und die Rechtskraft des Urteils herbeiführen zu wollen. Der Bedeutungsinhalt dieser Erklärung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass er mit der Rücknahmeerklärung den Wunsch nach einem persönlichen Gespräch verbunden hat. Dieser Wunsch ist nach dem Gesamtzusammenhang des Schreibens ersichtlich auf den darin enthaltenen Hinweis bezogen, zur Durchführung einer Therapie bereit zu sein. Damit ist der Wille des Angeklagten, das gegen ihn geführte Strafverfahren nunmehr endgültig zu einem Abschluss zu bringen und die Untersuchungshaft zu beenden, zusätzlich belegt.
An der mit Eingang seines Schreibens beim Landgericht am 20. Mai 2019 eintretenden Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Angeklagte nach Erörterung des Antrags des Generalbundesanwalts mit seinem Verteidiger in der Hoffnung auf eine mildere Strafe erklärt hat, die Revision nunmehr doch nicht zurücknehmen zu wollen. Ein Widerruf der - wirksamen - Rücknahmeerklärung war zu diesem Zeitpunkt rechtlich nicht mehr möglich. Eine möglicherweise nachträglich eingetretene Willensänderung ist bedeutungslos (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2017 - 2 StR 410/17, NStZ 2018, 615, 616).
3. Mit Eingang der Rücknahmeerklärung ist das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. September 2018 rechtskräftig geworden. Die wirksam erklärte Rücknahme ist als Prozesshandlung weder widerruflich noch wegen Irrtums anfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 1988 - 4 StR 316/88, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7).
Nach wirksamer Rücknahme der Revision hat der Angeklagte die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Revision des Angeklagten aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift genannten Gründen - von der Schuldspruchkorrektur im Fall II.1. der Urteilsgründe abgesehen - im Übrigen auch unbegründet gewesen wäre.
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 975
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner