HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 687
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 556/19, Beschluss v. 11.03.2020, HRRS 2020 Nr. 687
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 8. Mai 2019 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.
Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte nach seiner Entlassung am 26. September 2018 aus einer Unterbringung nach dem PsychKG, die im Zusammenhang mit einer Brandlegung in seiner Wohnung erfolgte, die ihm empfohlenen Medikamente nicht ein. Am Abend des 2. Oktober 2018 entzündete er zunächst mit den Worten „Ich zünd‘ meine Bude an“ im Hausflur des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte, Zigarettenhülsen, welche die steinernen Treppenstufen nicht in Brand setzten. In seiner Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses entschied sich der Angeklagte sodann, sein Vorhaben umzusetzen und seine Wohnung in Brand zu stecken. Zu diesem Zweck entzündete er an drei Stellen im Wohnzimmer Toilettenpapierrollen und verließ die Wohnung. Zwar geriet ein Vorhang in Brand, ferner wurden der Plastikrahmen der Balkontür angesengt und deren Scharniere aus den Angeln gehoben. Wegen des schnellen Einsatzes der von Nachbarn alarmierten Feuerwehr gerieten aber wesentliche Gebäudeteile nicht in Brand.
Zum Zeitpunkt der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer hebephrenen Schizophrenie sicher erheblich vermindert und nicht ausschließbar gänzlich aufgehoben.
1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht näher ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 ? 2 StR 239/15; vom 7. Juni 2016 ? 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 ? 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN). Bei der insofern vorzunehmenden Gesamtwürdigung des Täters und der Symptomtat sind etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 - 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306, 307; BGH, Urteil vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16 Rn. 12). Dabei darf das Gericht im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose Schlüsse aus anhängig gewesenen Verfahren nur dann ziehen, wenn es die diesen Verfahren zugrundeliegenden Taten für erwiesen hält; dies muss nachprüfbar dargelegt werden (BGH, Beschluss vom 27. Mai 1987 - 4 StR 263/87 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - 4 StR 632/19 Rn. 13).
Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Seine Prognose, dass der Angeklagte aufgrund seiner krankheitsbedingten Defizite für die Allgemeinheit gefährlich ist, hat das Landgericht nicht allein mit der Anlasstat begründet, sondern es hat sich dafür insbesondere auf in der Vergangenheit gegen den Angeklagten geführte Strafverfahren gestützt, die durchweg von der Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit eingestellt wurden. Es hat zudem auf die hohe Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten abgestellt und insoweit auf das am 14. September 2018 von der Staatsanwaltschaft ebenfalls wegen Schuldunfähigkeit eingestellte Verfahren verwiesen, wonach der Angeklagte „dringend verdächtig“ gewesen sei, am 21. August 2018 den Teppichboden und einen Wäscheberg im Schlafzimmer seiner Wohnung angezündet zu haben.
Mit Ausnahme der Mitteilung dieses Geschehens fehlt es bereits an der Darlegung der den eingestellten Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalten, so dass sich deren Relevanz für die Gefährlichkeitsprognose nicht erschließt. Hinsichtlich des früheren Brandgeschehens mangelt es an jeglichen Belegen für die Überzeugung des Landgerichts, dass der Angeklagte Täter auch dieser Brandlegung war, womit der Annahme einer Rückfallgeschwindigkeit die Grundlage entzogen ist. Allein die Mitteilung des von der Staatsanwaltschaft insoweit angenommenen dringenden Tatverdachts vermag die Überzeugungsbildung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten nicht zu ersetzen.
3. Die bislang unzureichend begründete Gefahrprognose nötigt zur Aufhebung des Urteils. Jedoch sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 - 4 StR 78/16 Rn. 12).
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 687
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 207
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner