HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 892
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 87/18, Urteil v. 06.09.2018, HRRS 2018 Nr. 892
Die Revisionen der Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 4. August 2017 werden verworfen.
Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die der Angeklagten dadurch und durch die Revisionen der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Es wird davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten und Auslagen ihres Rechtsmittels aufzuerlegen (§§ 74, 109 Abs. 2 JGG); sie hat jedoch die insoweit im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die den Neben- und Adhäsionsklägern im Rechtsmittelverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Nebenkläger tragen jeweils die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Vom Vorwurf des tatmehrheitlich begangenen Mordes hat es die Angeklagte freigesprochen.
Gegen dieses Urteil haben die Angeklagte, zu deren Ungunsten die Staatsanwaltschaft sowie die Nebenkläger Revision eingelegt. Die Angeklagte wendet sich gegen ihre Verurteilung mit der Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, und die Nebenkläger greifen das Urteil jeweils ebenfalls mit der Sachrüge an, soweit die Angeklagte vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden ist.
Sämtliche Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren in Bezug auf die Beschwerdeführerin von Interesse - folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Mitangeklagte F. forderte die Angeklagte, seine damalige Lebensgefährtin, aus Unzufriedenheit über ihr Sexualleben auf, eine beliebige fremde Frau anzusprechen und sie unter einem Vorwand in das Haus zu locken, in dem beide im zweiten Obergeschoss eine Wohnung bewohnten, um dort gemeinsam, erforderlichenfalls gewaltsam, sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Die Angeklagte, die vor dem Hintergrund entsprechender Äußerungen des Mitangeklagten befürchtete, dieser werde im Fall ihrer Weigerung Gewalt gegen sie anwenden und sich von ihr trennen, kam der Aufforderung nach. Am 11. Mai 2016 gegen 21.30 Uhr spiegelte sie der chinesischen Studentin L., die sich auf dem Rückweg vom Joggen zu ihrer in Tatortnähe liegenden Wohnung befand, wahrheitswidrig vor, sie benötige Hilfe beim Transport von Kartons im Haus. L. gab zu verstehen, helfen zu wollen, und folgte der Angeklagten zur Hauseingangstür. Noch im Hauseingang bemächtigte sich der Mitangeklagte der Geschädigten, schlug sie und versuchte, von der Angeklagten auf entsprechende Aufforderung unterstützt, sie mit einem Seil zu fesseln, was wegen der Gegenwehr des Opfers jedoch ebenso scheiterte wie sein Vorhaben, schon im Treppenhaus den Vaginal- bzw. Analverkehr auszuführen. Daraufhin zerrte der Mitangeklagte das Tatopfer in eine leer stehende Wohnung im ersten Obergeschoss des Hauses; die Angeklagte folgte ihm entsprechend seinen Anweisungen unter Mitnahme von Kleidungsstücken des Opfers. Dort führte der Mitangeklagte unter Schlägen mit dem Tatopfer den Oral- und Vaginalverkehr aus. Die Angeklagte beobachtete das Geschehen und leuchtete es auf Geheiß des Mitangeklagten u.a. mit der Taschenlampenfunktion ihres Mobiltelefons aus. Um die Angeklagte wie beabsichtigt an den sexuellen Handlungen zu beteiligen, wurde sie sodann vom Mitangeklagten entkleidet; dieser ergriff eine Hand des Tatopfers und führte die Finger in die Vagina der Angeklagten ein.
Nachdem sich die Angeklagte kurzzeitig in die gemeinsame Wohnung im zweiten Obergeschoss entfernt hatte, um zu duschen und sich um eines ihrer Kinder zu kümmern, kehrte sie zu dem Mitangeklagten zurück, der in diesem Zeitpunkt vollständig bekleidet im Treppenhaus saß. Sie befragte sodann nach den Vorgaben des Mitangeklagten das noch in der Tatwohnung befindliche Opfer, das zu diesem Zeitpunkt keine sichtbaren schweren Verletzungen aufwies, nach seinen persönlichen Verhältnissen, u.a. danach, ob „Freunde die Polizei rufen würden“. Diese Fragen, die die Angeklagte mit Hilfe der Übersetzungsfunktion ihres Mobiltelefons übersetzte, beantwortete das Tatopfer mit Nicken oder Schütteln des Kopfes. Anschließend erklärte der Mitangeklagte, er werde seine Zigarette aufrauchen und das Tatopfer danach gehen lassen. Tatsächlich entschloss er sich zu diesem Zeitpunkt zur Tötung der Geschädigten, um eine Entdeckung der Sexualstraftat zu verhindern. In Unkenntnis dieses Entschlusses begab sich die Angeklagte in ihre Wohnung im zweiten Obergeschoss. Sie ging davon aus, dass der Mitangeklagte das Opfer seiner Erklärung entsprechend ohne Weiteres gehen lassen würde.
Daraufhin brachte der Mitangeklagte das Tatopfer in der Tatwohnung im ersten Obergeschoss in Abwesenheit der Angeklagten durch massive Gewalteinwirkung zu Tode und verbarg die Leiche in einer Mülltonne im Keller. Danach rief er die Angeklagte in die Wohnung im ersten Obergeschoss. Da sich L. dort nicht mehr befand, nahm sie zunächst an, der Mitangeklagte habe das Tatopfer wie angekündigt gehen lassen. Gegen 2.00 Uhr am 12. Mai 2016 setzte dieser die Angeklagte von der Tat in Kenntnis. Im Anschluss unterstützte die Angeklagte den Mitangeklagten entsprechend seiner Aufforderung beim Transport der Leiche zum Ablageort neben dem Hinterhaus.
2. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen sexueller Nötigung verurteilt, jedoch vom Vorwurf des gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten begangenen Mordes zur Verdeckung einer Straftat aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Einen Tötungsvorsatz hat es bei ihr nicht festzustellen vermocht. Nach ihrer nicht zu widerlegenden Einlassung sei die Angeklagte bei der vom Mitangeklagten vorgenommenen Tötung der L. nicht anwesend gewesen; sie habe davon erst Kenntnis erlangt, als der Mitangeklagte ihr später von der Tat berichtet habe.
Zur Revision der Angeklagten Die Revision der Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat, soweit die Angeklagte wegen sexueller Nötigung verurteilt worden ist, weder zum Schuld- noch zum Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben.
Die von der Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgetragenen Angriffe gegen den Strafausspruch zeigen keinen Rechtsfehler auf.
1. Das Landgericht hat die Verhängung einer Jugendstrafe gegen die Angeklagte nach § 17 Abs. 2 JGG auf die Schwere der Schuld gestützt und dabei sowohl den objektiv hohen Unrechtsgehalt der von ihr begangenen Tat als auch - unter Berücksichtigung der in ihrem Lebenslauf und ihrer Persönlichkeit liegenden Besonderheiten - das erhebliche Maß der subjektiven Vorwerfbarkeit in den Blick genommen. Die insoweit vorgenommene Wertung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
2. Entsprechendes gilt für die Darlegungen, mit denen die Jugendkammer die Höhe der Strafe als solche begründet hat. Das Landgericht hat insbesondere nicht verkannt, dass auch bei einer allein mit der Schwere der Schuld begründeten Verhängung von Jugendstrafe erzieherische Gesichtspunkte bei der Strafbemessung maßgebend, wenngleich nicht allein ausschlaggebend sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 23. April 1998 - 4 StR 12/98, NStZ-RR 1998, 285 [Ls]; vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04, StraFo 2005, 42). Beide Gesichtspunkte stehen dabei in der Regel miteinander im Einklang, da die charakterliche Haltung und das in der Tat zum Ausdruck kommende Persönlichkeitsbild nicht nur für das Erziehungsbedürfnis, sondern auch für die Bewertung der Schuld von Bedeutung sind (BGH, Urteile vom 23. Oktober 1997 - 5 StR 486/97; vom 4. August 2016 - 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648, 649 mwN). Es ist nicht zu besorgen, dass die Strafkammer dies verkannt und - vor dem Hintergrund des festgestellten Tatbildes sowie der von der Angeklagten geleisteten Tatbeiträge zu dem Sexualdelikt - dem Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs ein zu großes Gewicht beigemessen hat.
Zu den Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Auch die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger bleiben erfolglos. Der Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Tötungsdelikt ist rechtsfehlerfrei begründet. Auch einen Fahrlässigkeitsvorwurf hat das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 183, 184 mwN). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 aaO mwN).
2. Gemessen daran ist die Beweiswürdigung des Landgerichts, soweit es eine Beteiligung der Angeklagten an dem Tötungsdelikt nicht festzustellen vermocht hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) In Ermangelung von Tatzeugen und angesichts des Schweigens des Mitangeklagten in der Hauptverhandlung - im Ermittlungsverfahren hatte er die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe bestritten - hat das Landgericht zu Recht die Bewertung der Behauptung der Angeklagten, der Mitangeklagte habe ihr nach der Vergewaltigung und der Befragung des Tatopfers mitgeteilt, er werde noch seine Zigarette aufrauchen und das Tatopfer dann gehen lassen, sie habe dies geglaubt und sei daraufhin in ihre Wohnung im zweiten Obergeschoss gegangen, sei also weder bei den Tötungshandlungen anwesend gewesen noch habe sie hiervon Kenntnis gehabt, in den Mittelpunkt seiner beweiswürdigenden Erwägungen gestellt. Mit Blick auf den gegen die Angeklagte erhobenen Vorwurf der Beteiligung an dem Tötungsverbrechen hatte das Landgericht zu erörtern, ob ihr diese Einlassung zu widerlegen war, also letztlich, ob das Beweisergebnis eine tragfähige, über bloße Vermutungen hinausgehende Grundlage für die Annahme bot, die Angeklagte habe sich (vorsätzlich) als Mittäterin bzw. Gehilfin an der Tötung zur Verdeckung der vorhergehenden Sexualstraftat beteiligt oder sich in vorwerfbarer Weise der Erkenntnis verschlossen, der Mitangeklagte werde das Tatopfer töten. Dies hat die Strafkammer mit folgenden Erwägungen verneint:
aa) Objektive Anhaltspunkte für eine Anwesenheit der Angeklagten bei dem Tötungsdelikt hätten sich aus der Spurenlage nicht ergeben.
bb) Ein gemeinsamer, von vornherein gefasster Tatentschluss der beiden Angeklagten zur Tötung der Nebenklägerin sei nicht festzustellen. Ein solcher ergebe sich nicht schon aus dem gemeinsamen Vorhaben, das Tatopfer notfalls gewaltsam zu sexuellen Handlungen zu veranlassen. Dies gelte insbesondere unter Berücksichtigung der eigenen Vorerfahrungen der Angeklagten mit sexuellen Übergriffen seitens des Mitangeklagten und ihres Stiefvaters, denen sich in keinem Fall eine weiter gehende Gewaltanwendung angeschlossen habe.
cc) Aus den vom Mitangeklagten veranlassten Fragestellungen an das Tatopfer ergäben sich keine tragfähigen Anhaltspunkte für einen später gefassten gemeinsamen Tatentschluss. Die Angeklagte habe während dieser Befragung bei dem Opfer unwiderlegbar keine Verletzungen bemerkt, die auf einen beabsichtigten tödlichen Ausgang des Geschehens hätten schließen lassen; das Opfer habe auf die Fragen adäquat reagieren können. Selbst die Art der Fragestellung sei für die Angeklagte kein ausreichender Grund gewesen, der Ankündigung des Mitangeklagten, er werde das Tatopfer in Kürze gehen lassen, zu misstrauen und dessen Tötung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Auch insoweit seien die Gewalterfahrungen der Angeklagten im Zusammenhang mit selbst erlittenem sexuellen Missbrauch durch ihren Stiefvater, aber auch durch den Mitangeklagten zu berücksichtigen. Gegen sie gerichtete direkte Lebensbedrohungen, in einem Fall in Gestalt des Vorhaltens einer Pistole, habe der Mitangeklagte zuvor nie in die Tat umzusetzen versucht.
dd) Nicht zuletzt wegen ihrer selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstruktur, unter deren Einfluss sie die Augen vor Problemen verschließe und unangenehme Dinge vollständig ausblende, habe sich ihr eine Gewaltanwendung, die über die bei der Sexualstraftat angewandte Gewalt hinausgehen werde, weder aufgedrängt noch sei eine solche für sie vorhersehbar gewesen.
ee) Dass das Tatopfer während der Tatausführung geschrien und die Angeklagte dadurch Kenntnis von dem Tötungsgeschehen erlangt habe, habe sich nicht feststellen lassen.
ff) Darüber hinaus komme auch eine Unterlassungstäterschaft der Angeklagten nicht in Betracht, weil sie trotz ihrer Beteiligung an den nicht lebensgefährlichen Misshandlungen des Tatopfers im Zusammenhang mit der Sexualstraftat keine Pflicht zur Abwendung der anschließenden Tötung getroffen habe. Die bloße Teilnahme an der vorausgehenden sexuellen Misshandlung stelle keine Bestärkung des Mitangeklagten in Bezug auf eine Tötung des Opfers und damit auch keine Gefahrerhöhung dar.
gg) Auch eine Beihilfe der Angeklagten zur Tat des Mitangeklagten F. sei zu verneinen. Sie habe von der Tötung von L. erst nach der Tat erfahren und daher nach bereits eingetretenem Taterfolg durch Hilfe bei der Beseitigung der Leiche keinen diese Tat fördernden Beitrag mehr leisten können.
b) Diese Erwägungen beruhen auf einer tragfähigen Grundlage.
aa) Zu Unrecht sieht die Revision der Staatsanwaltschaft einen Erörterungsmangel darin, dass das Landgericht sich nicht näher mit dem Charakter der von der Angeklagten durch ihren Stiefvater und den Mitangeklagten erlittenen Misshandlungen befasst hat. Die Strafkammer hat die - über zehn Jahre zurückliegenden - Missbrauchshandlungen durch den Stiefvater bei den Feststellungen zur Person der Angeklagten erörtert und sich auch mit der von hoher Dominanz, Drohungen und körperlichen Übergriffen des Mitangeklagten geprägten Partnerschaftsbeziehung beschäftigt. Dass die Angeklagte vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen mit der Gewaltbereitschaft des Mitangeklagten in der Vergangenheit gleichwohl keinen Anlass hatte anzunehmen, dieser werde in der konkreten Situation „zum Äußersten“ gehen und das Opfer im Anschluss an die Sexualstraftat töten, stellt eine mögliche Schlussfolgerung des Landgerichts dar. Sie lässt einen Rechtsfehler umso weniger erkennen, als die Angeklagte nach den Feststellungen auf Grund ihrer Persönlichkeitsstörung die Augen vor Problemen verschloss und unangenehme Dinge vollständig ausblendete. Besondere Umstände, die insoweit eine eingehendere Erörterung erforderlich gemacht hätten, ergeben sich aus dem angegriffenen Urteil nicht. Eine Aufklärungsrüge ist nicht erhoben.
bb) Eine Lücke in der Beweiswürdigung liegt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang auch nicht darin, dass das Landgericht mit Blick auf einen möglichen, vor Ausführung der Sexualstraftat gemeinsam mit dem Mitangeklagten gefassten Plan zur anschließenden Tötung nicht ausdrücklich erörtert hat, dass sich, wie festgestellt, sexuelle Gewalt bislang immer nur innerfamiliär gegen die Angeklagte gerichtet hatte, das Tatopfer im vorliegenden Fall hingegen eine fremde Person war, weshalb die Angeklagte schon wegen des erhöhten Entdeckungsrisikos eine Tötung zur Verdeckung des Sexualdelikts für möglich hielt oder zumindest hätte für möglich halten müssen. Dieser Einwand verkennt zunächst, dass das Landgericht einen gemeinsamen Tatplan nur in Bezug auf das Sexualdelikt festgestellt und dies - vor allem wegen der erst im Anschluss an diese Tat erfolgten, vom Mitangeklagten zur Einschätzung des Entdeckungsrisikos initiierten Befragung des Tatopfers nach seinen Lebensumständen - tragfähig begründet hat. Was den nachfolgenden Tatzeitraum angeht, kommt hinzu, dass das Tatopfer, nachdem die Angeklagte zum Zweck der Unterstützung des Mitangeklagten bei der Befragung in das erste Obergeschoss zurückgekehrt war, unwiderlegt zu adäquaten Reaktionen in der Lage war, keine sichtbaren Spuren von Gewaltanwendung aufwies und die Angeklagte auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur ein Problembewusstsein mit Blick auf den möglichen Fortgang des Geschehens nicht entwickelte.
cc) Soweit sich die Beschwerdeführer dagegen wenden, dass das Landgericht aus der Befragung des Tatopfers in Bezug auf die subjektive Tatseite unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen hat, zeigen sie ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Dass das Landgericht den Inhalt der Fragen einerseits als Beleg für den zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss des Mitangeklagten herangezogen hat, das Opfer zur Verdeckung des vorausgegangenen Sexualdelikts zu töten, ist für sich genommen eine naheliegende, jedenfalls mögliche und daher vom Revisionsgericht hinzunehmende Erwägung. Als ebenso tragfähig erweist sich andererseits aber auch die Erwägung der Strafkammer, die unter dem dominanten Einfluss des Mitangeklagten stehende Angeklagte habe wegen ihrer dependenten Persönlichkeitsstruktur dessen Äußerung, er werde das Tatopfer gehen lassen, kritiklos geglaubt, weshalb sie keine Kenntnis von der Tatbegehung hatte. Die Einwände der Beschwerdeführer erschöpfen sich insoweit letztlich darin, ihre eigenen Schlussfolgerungen an die Stelle der möglichen Schlüsse der Strafkammer zu setzen. Sie lassen ferner unberücksichtigt, dass die Einlassung der Angeklagten durch die übrige Beweisaufnahme in einigen Punkten eine Bestätigung gefunden hat. Dies gilt beispielsweise für das Ergebnis der Auswertung ihres Chat-Verkehrs mit der Zeugin P., den Wunsch des Mitangeklagten nach einer weiteren Sexualpartnerin betreffend, die Aussage der Zeugin H., die in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Auswertung von Videoaufnahmen das Hereinlocken des Tatopfers in das Haus bekundet hat, sowie die Auswertung des Mobiltelefons der Angeklagten zur Nutzung der Übersetzungsfunktion für die chinesische Sprache bei der Befragung des Tatopfers.
dd) Angesichts des Fehlens jeglicher objektiver Beweisanzeichen für eine unmittelbare Tatbeteiligung der Angeklagten hat das Landgericht auch ferner liegende Indizien mit Aussagekraft für die subjektive Tatseite nicht unerörtert gelassen. So wird in den Urteilsgründen etwa ausdrücklich erwogen, dass nach dem Ergebnis der Schallpegelmessung lautes Rufen aus der ersten Etage im zweiten Obergeschoss des Hauses, in dem sich die Angeklagte nach ihrer Einlassung während des Tötungsgeschehens aufhielt, hörbar gewesen wäre. Die Strafkammer hat aber zu möglichen Schreien des Tatopfers während des Tötungsgeschehens keine Feststellungen zu treffen vermocht.
ee) Schließlich entnimmt der Senat dem Zusammenhang der Urteilsgründe auch die erforderliche Gesamtwürdigung aller Indizien unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.
ff) Da das Landgericht die Kenntnis der Angeklagten von einer Tötung des Opfers rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, kommt es auf die bei der Prüfung eines unechten Unterlassungsdelikts angestellten, für sich genommen bedenklichen Erwägungen der Strafkammer zu einer möglichen Garantenstellung der Angeklagten aus Ingerenz (§ 13 Abs. 1 StGB) im Ergebnis nicht an.
gg) Entgegen der Auffassung der Revision der Nebenkläger hat das Landgericht auch eine mögliche Strafbarkeit der Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung im Blick gehabt. Der zusammenfassenden Erwägung, für die Angeklagte sei die Anwendung eines Maßes an Gewalt, das über dasjenige zur Begehung der Sexualstraftat hinausging, nicht vorhersehbar gewesen, entnimmt der Senat unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe, dass sich das Landgericht jedenfalls mit Blick auf deren Persönlichkeitsstruktur von der subjektiven Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts nicht zu überzeugen vermocht hat. Entsprechendes gilt für die subjektive Tatseite einer Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 3 StGB (vgl. dazu SSW-StGB/Momsen, 3. Aufl., § 221 Rn. 14) bzw. sexueller Nötigung mit Todesfolge im Sinne von § 178 StGB (vgl. SSW-StGB/Wolters, aaO, § 178 Rn. 3, 4).
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch die Rechtsmittel der Nebenkläger erfolglos geblieben sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen der Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (BGH, Urteile vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10; vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05, NStZ-RR 2006, 128 [Ls]).
HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 892
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner