HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 741
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 541/18, Beschluss v. 27.03.2019, HRRS 2019 Nr. 741
Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Dezember 2017, soweit sie den Angeklagten La. L. betreffen, werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die vom Nebenkläger Dr. H. M. erhobene Verfahrensrüge, mit der eine Verletzung von § 55 Abs. 1, § 245 Abs. 1 Satz 1 und § 244 Abs. 2 StPO im Zusammenhang mit der Vernehmung des wegen der verfahrensgegenständlichen Tat bereits rechtskräftig verurteilten Zeugen S. beanstandet wird, dringt nicht durch. Denn die Entscheidung der Strafkammer, dem Zeugen mit Blick auf das gegen ihn wegen des Verdachts einer Diebstahlstat in Litauen geführte Ermittlungsverfahren ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zuzubilligen, ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. November 2018 zutreffend dargelegt hat - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (vgl. zum revisionsgerichtlichen Prüfungsumfang BGH, Urteile vom 27. Oktober 2005 - 4 StR 235/05, NStZ 2006, 178; vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 326; vom 15. Januar 1957 - 5 StR 390/56, BGHSt 10, 104, 105).
Die Regelung des § 55 Abs. 1 StPO findet auch Anwendung, wenn ein Zeuge bei der Beantwortung von Fragen in die Gefahr gerät, wegen einer vor der Vernehmung begangenen Tat im Ausland strafrechtlich verfolgt zu werden (vgl. LG Freiburg, NJW 1986, 3036; Eschelbach in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl., § 55 Rn. 6; Maier in MüKo-StPO, § 55 Rn. 25; Ignor/Bertheau in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 55 Rn. 15; Rogall in SK-StPO, 5. Aufl., § 55 Rn. 39; Otte in Radtke/ Hohmann, StPO, § 55 Rn. 4; Odenthal, NStZ 1985, 117; Ahlbrecht/Börgers, ZIS 2008, 218). § 55 StPO ist Ausfluss der durch die Garantie der Menschenwürde und das Rechtsstaatsgebot verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BVerfG, wistra 2010, 299 mwN; vgl. Maier in MüKo-StPO aaO Rn. 1). Die Vorschrift, deren Wortlaut keine Beschränkung auf eine inländische Verfolgung zu entnehmen ist, soll den Zeugen durch die Gewährung eines Auskunftsverweigerungsrechts davor schützen, Angaben machen zu müssen, die geeignet sind, ihn zu belasten (vgl. BVerfG, NJW 2003, 3045; NStZ 2002, 378; BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 216). Die für die Zuerkennung des Auskunftsverweigerungsrechts maßgebliche Zwangslage besteht aber in gleicher Weise unabhängig davon, ob die Strafverfolgung für den Zeugen im In- oder Ausland droht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten, etwa wegen eines bereits eingeleiteten Strafverfahrens, mit einer Strafverfolgung im Ausland konkret zu rechnen ist (vgl. Rogall aaO; Odenthal aaO; Albrecht/Börgers aaO S. 219 f.).
HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 741
Externe Fundstellen: NStZ 2019, 539; StV 2020, 435
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner