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HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 47

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 214/18, Beschluss v. 13.09.2018, HRRS 2019 Nr. 47


BGH 4 StR 214/18 - Beschluss vom 13. September 2018 (LG Landau)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen der Anordnung; Anforderungen an Darstellung der Anordnungsvoraussetzungen in den Urteilsgründen).

§ 63 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und wenn die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden.

2. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Es bedarf insbesondere der Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen ausgewirkt haben soll.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 28. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Beschuldigten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts veranlasste der Geschädigte den Beschuldigten auf der gemeinsamen Rückfahrt von einem Discothekenbesuch in einem vom Zeugen P. gesteuerten Pkw in den frühen Morgenstunden des 26. Februar 2017, ihm seine (des Beschuldigten) Baseballkappe zur Anprobe auszuhändigen. Während der Beschuldigte eine kurzfristige Rückgabe erwartete, verbarg der Geschädigte die Kappe von diesem unbemerkt im Handschuhfach, nicht ausschließbar, um sie für sich zu behalten oder jedenfalls den Beschuldigten zu ärgern. Als der Beschuldigte den Geschädigten zur Rückgabe der Kappe aufforderte, kam es zum Streit, bei dem der Geschädigte dem Beschuldigten unter anderem Schläge androhte und ihn beleidigte. Nachdem der Zeuge P. sein Fahrzeug am Fahrtziel des Beschuldigten angehalten hatte und der Geschädigte zuerst ausgestiegen war, befürchtete der mit einer Blutalkoholkonzentration von maximal 1,79 Promille alkoholisierte und unter Medikamenteneinfluss stehende Beschuldigte, dieser werde seine Ankündigung, ihn zu schlagen, nunmehr wahrmachen. Um in der erwarteten Auseinandersetzung nicht zu unterliegen, holte er das von ihm zum Eigenschutz mitgeführte Einhand-Klappmesser aus seiner Hosentasche und öffnete es, bevor er seinerseits das Fahrzeug verließ. Unmittelbar darauf setzte der seinerseits alkoholisierte Geschädigte (Blutalkoholkonzentration: 2,2 Promille), der von dem Messer des Beschuldigten nichts wusste, mit seiner rechten Hand zu einem Faustschlag an, den dieser jedoch verhindern konnte. Sofort danach stach der Beschuldigte, der die Alkoholisierung des Geschädigten erkannt hatte, mit dem Klappmesser gezielt in dessen Hals, um diesen, der sich keines Angriffs versah, kampfunfähig zu machen. Anschließend flüchtete er. Der Geschädigte verstarb noch am Tatort infolge Verblutens.

b) Das Landgericht hat eine Notwehrlage im Sinne von § 32 Abs. 2 StGB verneint; im Übrigen, so die Strafkammer, sei der Messerstich weder erforderlich noch geboten gewesen. Zu den Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat sie u.a. ausgeführt, der Angeklagte habe wegen sicher aufgehobener Steuerungsfähigkeit im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt. Seine Erkrankung - eine nicht remittierte paranoide Schizophrenie - sei vor allem durch ein chronifiziertes Beeinträchtigungs- und Bedrohungserleben gekennzeichnet, begleitet von schwerwiegenden psychotischen Angstzuständen und wahnhafter Verkennung der Realität. Im Tatzeitpunkt habe er sich in einer massiv destabilisierten psychotischen Verfassung befunden. Die Anlasstat habe Symptomcharakter, da der Messereinsatz durch das chronische Beeinträchtigungs- und Bedrohungsgefühl motiviert gewesen sei. Weder der Alkoholisierung noch der Wirkung psychotroper Substanzen komme - auch nicht im Zusammenwirken - eine handlungsleitende Bedeutung zu.

2. Mit dieser Begründung sind die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) nicht rechtsfehlerfrei belegt.

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und wenn die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 5 StR 336/18 mwN). Es bedarf insbesondere der Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der Taten auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen ausgewirkt haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2018 - 5 StR 336/18; Beschluss vom 17. Mai 2018 - 1 StR 33/18).

b) Gemessen daran ist der Symptomcharakter der Anlasstat hier nicht belegt. Die Urteilsgründe vermögen nicht zu vermitteln, wie sich gerade eine wahnhafte Verkennung der realen Situation als Folge der psychischen Erkrankung des Beschuldigten auf sein Handeln angesichts der vom Landgericht festgestellten Konfliktsituation mit dem Getöteten ausgewirkt haben soll. Die Annahme der Strafkammer, die Anlasstat beruhe auf einer wahnhaften Verkennung der realen Situation, sei also Ausfluss seiner psychischen Erkrankung, widerspricht den getroffenen Feststellungen, wonach sich der Beschuldigte einer tatsächlichen Bedrohung ausgesetzt sah. Danach weigerte sich das Tatopfer kurz vor der Tat, dem Beschuldigten dessen Baseballkappe zurückzugeben. Infolgedessen kam es zu einer Konfrontation zwischen dem Beschuldigten und dem Geschädigten; letzterer beleidigte den Beschuldigten, der auf der Rückgabe seiner Kopfbedeckung beharrte, und drohte ihm Schläge an. Unmittelbar vor dem Messerstich erhob der dem Beschuldigten frontal gegenüber stehende Geschädigte seine rechte Hand, um diesem einen Faustschlag zu versetzen. Vor dem Hintergrund dieses Tatablaufs hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Reaktion des Beschuldigten auch normalpsychologisch erklärbar sein könnte.

3. Sollte der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wiederum zu Feststellungen zum Tathergang gelangen, die denen im angefochtenen Urteil entsprechen, wird er auch bei der gemäß § 63 StGB erforderlichen Gefährlichkeitsprognose in den Blick zu nehmen haben, dass die Ausnahmesituation, in der sich der Beschuldigte bei der Tat befand, diesen - möglicherweise - krankheitsbedingt zu einer Überreaktion in Gestalt eines tödlichen Messerstichs veranlasste.

HRRS-Nummer: HRRS 2019 Nr. 47

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner