HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 75
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 248/16, Urteil v. 13.10.2016, HRRS 2017 Nr. 75
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Münster bei dem Amtsgericht Bocholt vom 17. Dezember 2015, soweit es den Angeklagten M. B. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 17 bis 66 der Urteilsgründe bezogen auf den Zeitraum von März bis Juli 2013 in 15 Fällen freigesprochen worden ist,
b) in den Strafaussprüchen in den Fällen II. 4, 5, 8, 10 und 12 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
a) in den Fällen II. 4, 8, 10 und 12 der Urteilsgründe - im Fall II. 4 auch hinsichtlich der nicht revidierenden Angeklagten Bl., im Fall II. 12 auch hinsichtlich des nicht revidierenden Angeklagten D. B. - in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln entfällt, b) mit den Feststellungen aufgehoben in den Strafaussprüchen in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe und soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 24 Fällen, davon in 20 Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen.
Der Angeklagte rügt mit seinem unbeschränkten Rechtsmittel allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erhebt mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel ebenfalls die Sachrüge. Sie wendet sich gegen die Teilfreisprüche und, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, gegen die Strafzumessung, ausweislich ihrer Revisionsrechtfertigung - in wirksamer Beschränkung ihres Rechtsmittels - jedoch nicht gegen die unterbliebene Unterbringungsanordnung gemäß § 64 StGB. Ferner beanstandet sie das Verfahren. Beide Rechtsmittel haben den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Zur Revision der Staatsanwaltschaft I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils beschloss der Angeklagte spätestens im Jahr 2013, im Zusammenwirken mit den Mitangeklagten sowie weiteren, gesondert verfolgten Personen, u.a. der gesondert verfolgten Zeugin W., in einer Vielzahl von Fällen mit Betäubungsmitteln Handel zu treiben. Die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Betäubungsmittel wurden entsprechend dem zuvor gefassten gemeinsamen Plan größtenteils aus den Niederlanden nach Deutschland eingeführt, weil es dem Angeklagten und den anderen Beteiligten darauf ankam, Drogen guter Qualität zu günstigeren Preisen zu erwerben als dies in Deutschland möglich war. Seit Anfang 2015 wurden die Rauschgiftgeschäfte der Gruppe um den Angeklagten von der Polizei überwacht, am 3. März 2015 wurde der Angeklagte festgenommen.
Die von der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit den Teilfreisprüchen des Angeklagten erhobenen Rügen der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) genügen in Ermangelung konkreter Beweisbehauptungen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Im Übrigen werden die Angaben der Zeugen, auf die sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsrechtfertigung insoweit bezieht, nicht mitgeteilt. Dies gilt insbesondere für die Aussage der Zeugin W. im Ermittlungsverfahren.
Mit ihren gegen die Freisprüche gerichteten sachlichrechtlichen Angriffen hat die Staatsanwaltschaft nur in den Fällen II. 3 der Urteilsgründe (Fälle 17 - 66 der Anklage) - teilweise - Erfolg.
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Münster vom 15. Juni 2015 legte dem Angeklagten in den Fällen 17 - 66 der Anklage zur Last, im Zeitraum zwischen März 2013 und April 2014 wöchentlich, mithin in mindestens 50 Fällen, jeweils Kokain in Mengen zwischen 50 und 100 Gramm in den Niederlanden zum gewinnbringenden Weiterverkauf in Deutschland erworben, mit dem Pkw über die niederländisch-deutsche Grenze nach Bo. verbracht und dort mit Gewinn weiterverkauft zu haben. Diese Fälle sind in der Anklageschrift dahin konkretisiert, dass der Angeklagte und die gesondert verfolgte Zeugin W. das Kokain in den genannten 50 Fällen jeweils bei ihrem Lieferanten in G. /N. zum Einkaufspreis von 35 € pro Gramm erwarben und sodann mit dem Pkw Daimler-Benz der Zeugin W. nach Deutschland verbrachten, wo sie es an einen weitgehend unbekannten Kreis von Abnehmern mit Gewinn weiterverkauften. Das Landgericht hat den insoweit geständigen Angeklagten hinsichtlich der Fälle 17 - 66 der Anklage (Fälle II. 3 der Urteilsgründe) wegen 18 Taten verurteilt und festgestellt, er habe im Zeitraum zwischen dem 15. August 2013 und dem 31. März 2014, teilweise unter Mitwirkung der Zeugin W. in insgesamt 18 Fällen zu konkret festgestellten Zeitpunkten jeweils näher bezeichnete Mengen Kokain bei seinem Lieferanten in G. /N. erworben, nach Deutschland transportiert und dort gewinnbringend weiterverkauft. Wegen weiterer Taten aus dem Anklagekomplex Fälle 17 - 66 hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen, „soweit nicht das Verfahren insoweit teilweise nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt bzw. entsprechend den obigen Ausführungen eine Verurteilung erfolgt ist“ (UA 58). Das Landgericht hatte zuvor hinsichtlich der Fälle 17 - 66 der Anklageschrift, das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO insofern eingestellt, als für den Zeitraum März 2013 bis Juli 2013 mehr als 15 Fälle und für den Zeitraum 15. August 2013 bis 31. März 2014 mehr als 18 Fälle angeklagt sind.
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Anklagepunkten 17 - 66 vom Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen hat, genügen die Urteilsgründe den Darstellungsanforderungen nicht, die gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind. Die Darstellungsmängel erfassen jedoch nicht den gesamten, von der Anklage umfassten Tatzeitraum, sondern lediglich den Freispruch in 15 Fällen im Zeitraum zwischen März und Juli 2013.
Auch ein freisprechendes Urteil muss aus sich heraus verständlich sein. Dies setzt voraus, dass die einzelnen Anklagevorwürfe, von denen der Angeklagte freigesprochen worden ist, hinreichend konkret wiedergegeben werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2008 - 1 StR 552/08, NStZ-RR 2009, 116 f. mwN).
Gemessen daran bleibt in den Anklagepunkten 17 - 66 für den Zeitraum zwischen März und Juli 2013 mangels näherer individueller Kennzeichnung der einzelnen Taten unklar, welche Taten von dem für diesen Teilbereich des angeklagten Tatzeitraums erfolgten Freispruch erfasst sind. Die insoweit in den Urteilsgründen erfolgte Bezugnahme auf den Beschluss der Strafkammer vom 15. Dezember 2015 über die teilweise Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO, den der Senat im Rahmen der Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen zur Kenntnis zu nehmen hatte, kann die fehlende Darstellung der vom Teilfreispruch erfassten Anklagepunkte schon deshalb nicht ersetzen, weil dieser Beschluss gleichermaßen unbestimmt ist (vgl. Senatsurteil vom 25. September 2014 - 4 StR 69/14, NJW 2015, 181 f.).
Insoweit bedarf es neuer Verhandlung und Entscheidung, weshalb auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe nicht bestehen bleiben kann.
3. Die weiter gehenden Freisprüche (Fälle 4 - 15 und 117 - 121 der Anklage sowie zwei Fälle aus dem Anklagekomplex Fälle 17 - 66) halten rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Hinsichtlich dieser Tatvorwürfe genügt das Urteil den Anforderungen, die an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
Dies gilt auch für die in die zweiwöchige Zeitspanne vom 1. bis 14. August 2013 fallenden beiden Beschaffungsfahrten aus dem Anklagekomplex Fälle 17 - 66. Das Urteil ergibt insoweit mit hinreichender Deutlichkeit, dass sich der Teilfreispruch (auch) auf diese beiden Einzelfälle bezieht, die von der Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ausdrücklich nicht erfasst sind.
b) Auch die von der Staatsanwaltschaft ferner bezüglich aller freigesprochenen Vorwürfe gegen die Beweiswürdigung erhobenen sachlichrechtlichen Bedenken greifen eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. KK-StPO/Ott, 7. Aufl., § 261 Rn. 77 mN zur Rspr.) nicht durch. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Würdigung der Aussage der Zeugin W., auf die die Strafkammer eine Verurteilung des Angeklagten nicht zu stützen vermocht hat.
4. Bezüglich im Anklagekomplex Fälle 17 - 66 angeklagter Taten, die in den Tatzeitraum ab dem 15. August 2013 fallen, ist kein Teilfreispruch erfolgt. Vielmehr werden die insoweit angeklagten Fälle in vollem Umfang und mit hinreichender Bestimmtheit durch die unter II. 3 der Urteilsgründe erfolgte Verurteilung wegen 18 im Einzelnen konkretisierter Taten einerseits und der Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO wegen der verbleibenden Fälle andererseits erfasst. Der Einstellungsbeschluss ist, bezogen auf diesen Tatzeitraum, unter Heranziehung von Urteil und Anklage hinreichend bestimmt und damit insoweit wirksam (vgl. Senatsurteil vom 25. September 2014 - 4 StR 69/14, NJW 2015, 181 f.).
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten verurteilt hat, hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zu seinem Vorteil ergeben.
Einen solchen Rechtsfehler zeigen auch die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung im Zusammenhang mit den von der Strafkammer angenommenen Wirkstoffgehalten der vom Angeklagten umgesetzten Betäubungsmittel nicht auf. Sie erschöpfen sich vielmehr in einer im Revisionsverfahren unbeachtlichen eigenen Würdigung.
2. Der Strafausspruch begegnet lediglich in den Fällen II. 4, 5, 8, 10 und 12 der Urteilsgründe durchgreifenden Bedenken; im Übrigen hält er rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Das Landgericht hat in diesen Fällen nicht geprüft, ob der Angeklagte jeweils wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Anwendung des erhöhten Strafrahmens des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG zu bestrafen war. Vor dem Hintergrund der insoweit getroffenen Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf.
b) Im Übrigen hat die Nachprüfung des Strafausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben.
aa) Soweit die Staatsanwaltschaft die strafmildernde Berücksichtigung der vom Angeklagten erlittenen Untersuchungshaft beanstandet, übersieht sie, dass eine solche zwar nicht im Regelfall (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 - 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645), aber doch dann in Betracht kommt, wenn deren Vollzug für den Betroffenen mit besonderen Nachteilen verbunden ist (BGH aaO; vgl. auch BGH, Urteil vom 21. Dezember 1993 - 5 StR 683/93, juris Rn. 8; SSW-StGB/Eschelbach, 3. Aufl., § 46 Rn. 184). Insoweit ist es auch unter Berücksichtigung der durch § 51 StGB vorgeschriebenen Anrechnung auf die erkannte Strafe nicht von vornherein durchgreifend rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht im vorliegenden Fall in tatrichterlicher Bewertung der Umstände des Einzelfalles strafmildernd in Erwägung zieht, ein Täter, der, wie hier der nicht vorbestrafte Angeklagte, zuvor noch nie Untersuchungshaft erlitten hat, habe sich durch deren erstmaligen Vollzug in besonderer Weise beeindruckt gezeigt.
bb) Dass das Landgericht in den Fällen II. 6 und 9 (Fälle 124 und 128 der Anklage) bei der Strafrahmenwahl die (mögliche) Sperrwirkung von § 29a BtMG nicht erörtert hat, deckt einen durchgreifenden, den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler ebenfalls nicht auf. Denn abgesehen davon, dass die Strafkammer entgegen § 30 Abs. 2 BtMG von einer Strafrahmenuntergrenze von sechs statt von drei Monaten ausgegangen ist, lassen die konkret verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und zwei Monaten bzw. einem Jahr und vier Monaten nicht besorgen, dass die Festsetzung dieser Strafen von einer unzutreffenden Strafrahmenuntergrenze beeinflusst worden sein könnte.
Zur Revision des Angeklagten I.
Die Nachprüfung des Urteils auf die nicht näher ausgeführte Rüge der Verletzung materiellen Rechts hat zum Schuldspruch jedenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln auch in den Fällen II. 4, 8, 10 und 12 der Urteilsgründe verurteilt hat, in denen nach den Feststellungen die Grenze zur nicht geringen Menge nicht überschritten worden ist, kann die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln nicht bestehen bleiben; die Tathandlung der Einfuhr geht hier als unselbständiger Teilakt im Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auf (vgl. nur Senatsbeschluss vom 16. April 1996 - 4 StR 80/95, NStZ-RR 1996, 232, 233). Die insoweit gebotene Korrektur des Schuldspruchs, die gemäß § 357 Satz 1 StPO im Fall II. 4 der Urteilsgründe auf die nicht revidierende Angeklagte Bl. und im Fall II. 12 auf den ebenfalls nicht revidierenden Mitangeklagten D. B. zu erstrecken ist, kann der Senat selbst vornehmen. § 265 StPO steht nicht entgegen, da der Senat ausschließen kann, dass sich der Angeklagte anders als geschehen hätte verteidigen können.
Zum Strafausspruch ergibt die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Rechtsmittel des Angeklagten Folgendes:
1. Der Senat schließt einen Einfluss der geringfügigen Änderungen der Schuldsprüche in den Fällen II. 4, 8, 10 und 12 der Urteilsgründe auf die Bemessung der Rechtsfolgen angesichts der Strafzumessungserwägungen mit der erforderlichen Sicherheit aus.
2. Auch die für die Bemessung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe herangezogene Erwägung, das Gewinnstreben des Angeklagten müsse ganz erhebliche Berücksichtigung zu seinen Lasten finden, gefährdet den Bestand des - insgesamt maßvollen - Strafausspruchs letztlich nicht. Zwar lässt eine solche Erwägung regelmäßig besorgen, der Tatrichter habe entgegen § 46 Abs. 3 StGB einen zum Tatbestand des Handeltreibens gehörenden Umstand bei der Strafzumessung erneut straferschwerend berücksichtigt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 7. November 2000 - 4 StR 456/00, StV 2001, 461 mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein ganz besonders verwerfliches, den Rahmen des Tatbestandsmäßigen übersteigendes Gewinnstreben nicht festgestellt worden ist (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 28. März 2000 - 4 StR 69/00). Im Gesamtzusammenhang der Strafzumessungserwägungen dient die für sich genommen rechtlich bedenkliche Erwägung hier aber lediglich der ergänzenden Kennzeichnung des von der Strafkammer erkennbar in den Vordergrund gerückten planvollen, organisierten und konspirativen Vorgehens des Angeklagten in einer Vielzahl von Fällen über einen längeren Zeitraum hinweg, also der Art der Tatausführung (§ 46 Abs. 2 StGB).
3. Nicht bestehen bleiben können jedoch die im Komplex II. 1 der Urteilsgründe (Fälle 1 - 15 der Anklage) - allerdings nur, soweit der Angeklagte (im ersten Fall) wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (100 Gramm Marihuana) zu einer Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden ist - und im Fall II. 2 der Urteilsgründe (Fall 16 der Anklage) jeweils festgesetzten Einzelstrafen, weshalb der neue Tatrichter - auch auf die Revision des Angeklagten - die Gesamtstrafe neu zuzumessen hat.
a) Die Strafkammer hat bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung im engeren Sinne zu der ersten (von insgesamt drei) der unter II. 1 der Urteilsgründe dargestellten drei Taten zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Grenze zur nicht geringen Menge (THC) um ein Drittel überschritten worden sei. Dieser Umstand stellt, da sich die gehandelte Menge noch im Grenzbereich befand, keinen zulässigen Strafschärfungsgrund dar (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Februar 2016 - 2 StR 39/16, NStZ-RR 2016, 141; Beschluss vom 24. Juli 2012 - 2 StR 166/12, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 39).
b) Das Landgericht hat ferner bei der Strafzumessung im Fall II. 2 der Urteilsgründe (Fall 16 der Anklage) straferschwerend berücksichtigt, dass die Grenze zur nicht geringen Menge von Amphetaminbase um das mehr als 333-fache überschritten gewesen sei. Diese Wertung beruht auf der fehlerhaften Annahme, der Grenzwert der nicht geringen Menge Amphetaminbase im Sinne von § 29a Abs. 2 BtMG betrage nicht 10 Gramm, sondern 0,15 Gramm Base.
Auf die unbeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten kann das angefochtene Urteil auch insoweit keinen Bestand haben, als eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist.
1. Die Prüfung, ob diese Maßregel anzuordnen ist, drängte sich angesichts der Urteilsfeststellungen auf.
Danach hat der Angeklagte, der im Alter von 25 Jahren erstmals mit Betäubungsmitteln (Kokain, Amphetamin, Pilze, LSD und MDMA), über 20 Jahre hinweg zumeist Kokain und gelegentlich Amphetamin konsumiert, wobei die Häufigkeit seines Konsums je nach seiner wirtschaftlichen Lage schwankte. Ab 2008 steigerte sich sein Konsum auf nahezu täglich 1 Gramm Kokain, an Wochenenden auf 6 Gramm Kokain pro Tag. Hinzu kam die gelegentliche Einnahme von Amphetamin. Dass der Angeklagte die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Straftaten auch zur Deckung seines Eigenbedarfs begangen hat, hat das Landgericht hinsichtlich einiger Fälle festgestellt, im Übrigen drängt sich dieser (symptomatische) Zusammenhang auf. Den Urteilsgründen lässt sich ferner nicht entnehmen, dass bei dem Angeklagten keine konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht.
2. Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird daher mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO) prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gegeben sind.
HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 75
Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede