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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 180

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 552/08, Urteil v. 17.12.2008, HRRS 2009 Nr. 180


BGH 1 StR 552/08 - Urteil vom 17. Dezember 2008 (LG Passau)

Darlegungsanforderungen an einen Freispruch (Darlegung der Anklagevorwürfe; Feststellungen zur Persönlichkeit).

§ 261 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Passau vom 1. Juli 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, seine im Jahre 1987 geborene Stieftochter O. - die Nebenklägerin - im Jahre 1992, im Mai/Juni 1996 sowie zwischen Ende 1996 und Mai 1997 sexuell missbraucht zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die hiergegen von der Nebenklägerin eingelegte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

Der Senat muss offen lassen, ob der Freispruch in der Sache rechtsfehlerfrei erfolgt ist, da ihm insoweit eine Nachprüfung nicht möglich ist. Das angefochtene Urteil wird nämlich schon den Anforderungen an die Begründungspflicht bei einem freisprechenden Urteil nicht gerecht. Spricht das Tatgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, so muss es in den Urteilsgründen den Anklagevorwurf, die hierzu getroffenen Feststellungen, die wesentlichen Beweisgründe und seine rechtlichen Erwägungen mitteilen (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 267 Rdn. 33 m.w.N.). Diese Mindestvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Das Urteil leidet an mehreren Darstellungs- und Erörterungsmängeln, die dem Senat eine Prüfung auf Rechtsfehler verwehren.

1. Die Urteilsgründe geben bereits nicht die einzelnen Anklagevorwürfe in den wesentlichen Einzelheiten der vorgeworfenen Tathandlungen wieder, sondern setzen sie als bekannt voraus. Eine Bezugnahme auf die Anklagepunkte ist jedoch insoweit nicht zulässig. Das Urteil muss aus sich heraus verständlich sein (vgl. BGHSt 37, 21, 22).

2. Die Urteilsgründe enthalten keine Feststellungen zum Werdegang und zur Persönlichkeit des Angeklagten. Zu solchen Feststellungen ist das Tatgericht verpflichtet, wenn diese - z.B. bei einschlägigen Vorverurteilungen - für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können (vgl. BGH, Urt. vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08). Einschlägige Vorverurteilungen stehen hier im Raum.

3. Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen waren der Strafkammer zwar nicht möglich, weil sie zu der Auffassung gelangte, dass nach der Beweisaufnahme nichts blieb, was zu den Tatvorwürfen zu ihrer Überzeugung als erwiesen hätte festgestellt werden können. In diesem Falle hätte sie jedoch die hierfür maßgeblichen Gründe so darlegen müssen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt ist (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Hieran fehlt es in mehrfacher Hinsicht:

Die Kammer teilt schon im Ausgangspunkt nicht die Aussage der Belastungszeugin in ihrer Entstehung und nach ihrem wesentlichen Inhalt mit. Dies war hier erforderlich, weil Aussage gegen Aussage stand und die Entscheidung allein davon abhing, welcher Person die Kammer Glauben schenkt. Ihrer Pflicht konnte die Kammer sich nicht dadurch entziehen, dass sie einige Argumente gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage angeführt hat. Denn diese stellen nur einen Ausschnitt aus der gebotenen Gesamtwürdigung dar. Eine umfassende Nachprüfung der Überzeugungsbildung ist so nicht möglich.

Tagebuchaufzeichnungen der Belastungszeugin, die für die Beweiswürdigung von zentraler Bedeutung waren, werden im Urteil nicht wiedergegeben, sondern nur unter Bezugnahme auf den Akteninhalt bewertet. Eine Verweisung auf Schriften ist in den Urteilsgründen nicht statthaft (vgl. BGH bei Becker NStZ-RR 2003, 99).

Ein weiterer durchgreifender Mangel liegt darin, dass die Strafkammer den Inhalt des erstatteten Glaubwürdigkeitsgutachtens nicht mitteilt, obwohl dieses im Gegensatz zur Kammer zu dem Ergebnis kommt, dass "mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Erlebnisfundiertheit der Bekundungen von O. L. auszugehen" sei. Zwar ist das Gericht nicht gehindert, eine von dem Sachverständigengutachten abweichende eigene Beurteilung der Aussagekonstanz und der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Belastungszeugen vorzunehmen; denn das Tatgericht ist im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung stets zu einer eigenen Beurteilung verpflichtet (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 9; BGH, Beschl. vom 16. September 2008 - 3 StR 302/08). Will es jedoch eine Frage, zu deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, in Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Ausführungen des Sachverständigen in nachprüfbarer Weise wiedergeben.

Es muss sich außerdem mit ihnen konkret auseinandersetzen und seine abweichende Auffassung tragfähig und nachvollziehbar begründen (BGH aaO). Auch dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 180

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 116

Bearbeiter: Karsten Gaede