HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 534
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 603/14, Urteil v. 23.04.2015, HRRS 2015 Nr. 534
I.
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. August 2013 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen schweren Raubes verurteilt worden ist,
b) mit den Feststellungen im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
II.
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte "wegen dreifacher Unterschlagung" verurteilt worden ist, sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Sachbehandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen dreifacher Unterschlagung sowie wegen schweren Raubes" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die von der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf dessen Verurteilung wegen schweren Raubes beschränkte und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts geführte Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat im Ergebnis Erfolg. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen der Angeklagte sowie die gesondert Verfolgten Z., S., M. M. und S. M. am 18. Dezember 2011 den Zeugen A., der einen LKW der Firma C. auf einer Transportfahrt führte.
Der Angeklagte sowie S. und S. M. folgten, dem gemeinsamen Tatplan entsprechend, mit einem PKW dem vom Zeugen A. geführten, am Flughafen Frankfurt am Main mit Produkten der Firma A. beladenen LKW auf die Bundesautobahn A 3. "Dort überholten sie den Lkw und lotsten ihn unter Vortäuschung einer Polizeikontrolle auf den Autobahnparkplatz ‚St. '." Der Zeuge A. lenkte den LKW auf den Rastplatz und hielt an. Der Angeklagte ging auf die Fahrertür des LKW zu und bedrohte den Geschädigten mit einer nicht geladenen Pistole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu legen, wo er ihn fesselte. Dann fuhr er mit dem LKW zu einem für das Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten M. M. und Z. mit einem weiteren Fahrzeug, auf das die Täter Waren im Wert von rund 460.000 Euro umluden (Fall 1 der Urteilsgründe).
2. Bei drei Gelegenheiten im Juni 2012 entnahm der Angeklagte als für den Transport allein verantwortlicher LKW-Fahrer der W. GmbH nach entsprechender Verabredung mit dem gesondert Verfolgten S. aus den Ladungen u.a. Parfüm und Kosmetikartikel, die S. anschließend veräußerte; dieser beteiligte den Angeklagten am Erlös (Fälle 2 bis 4 der Urteilsgründe).
Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist im Umfang der Anfechtung begründet, weil das Urteil im Fall 1 der Urteilsgründe an einem durchgreifenden Erörterungsmangel leidet.
1. Das Landgericht, das gemäß § 154a Abs. 2 StPO lediglich die mitangeklagten Vorwürfe der Amtsanmaßung und des Kennzeichenmissbrauchs von der weiteren Strafverfolgung ausgenommen hat, hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB zu prüfen.
a) Wie der Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Parallelsache 4 StR 607/14 entschieden hat, wird auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers bereits dann ein Angriff verübt, wenn vom Täter eines geplanten Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht.
b) Zu der sich danach stellenden Frage, ob der Angeklagte tateinheitlich den Tatbestand des § 316a Abs. 1 StGB verwirklicht hat, hat das Landgericht nur unzureichende Feststellungen getroffen. Die Strafkammer teilt im angefochtenen Urteil lediglich mit, dass der Angeklagte und seine beiden Mittäter den vom Zeugen A. gesteuerten LKW überholten und "ihn unter Vortäuschung einer Polizeikontrolle auf den Autobahnparkplatz ‚St. ' (lotsten)." Die unsubstantiierte Wertung "Vortäuschung einer Polizeikontrolle" entbehrt einer tatsächlichen Grundlage; das genaue Vorgehen wird nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher nicht prüfen, ob die Täter bereits durch ihr Verhalten im fließenden Verkehr einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Geschädigten als Führer des LKW verübt haben.
2. Aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 19. Mai 2014 und vom 23. Januar 2015 hat sich der Angeklagte nicht des erpresserischen Menschenraubs (so in erster Linie die revisionsführende Staatsanwaltschaft) oder der Geiselnahme (so die Generalstaatsanwaltschaft in Frankfurt am Main) schuldig gemacht.
3. Der aufgezeigte Erörterungsmangel nötigt zur Aufhebung des - an sich rechtsfehlerfreien - Schuldspruchs wegen schweren Raubes (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); insoweit liegt der Fall im Blick auf die den Angeklagten treffende Beschwer anders als bei einem erstinstanzlichen Freispruch (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 354 Rn. 23). Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird die erforderlichen ergänzenden, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehenden Feststellungen zu treffen haben.
Der neue Tatrichter wird auch eine tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB zu prüfen haben. Dieser Straftatbestand tritt nicht im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter den schweren Raub zurück, da dieser bereits mit dem Verlassen des Parkplatzes nicht nur vollendet, sondern auch beendet war (vgl. LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 249 Rn. 67; s. auch zu einer ähnlichen Fallgestaltung BGH, Beschluss vom 6. Juli 2006 - 4 StR 48/06, NStZ 2007, 35, 36). Schließlich wird der neue Tatrichter im Rahmen der erforderlichen wertenden Betrachtung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 9b mwN) zu erwägen haben, ob er eine Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung auszusprechen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 1 StR 359/13).
Revision des Angeklagten
1. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen (veruntreuender) Unterschlagung in drei Fällen richtet. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner an den zunächst mit dem Revisionsverfahren befassten 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs gerichteten Antragsschrift vom 19. Mai 2014 das Folgende ausgeführt:
"Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge des Angeklagten hat ergeben, dass das Landgericht das Verfahren 3240 Js Amtsgericht Frankfurt am Main nicht wirksam übernommen hat.
Nachdem das Landgericht Frankfurt am Main insofern am 14. Mai 2013 das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main - Schöffengericht - eröffnet hatte (VA Bd. II, Bl. 299), legte das Amtsgericht Frankfurt am Main die Sache mit Verfügung vom 13. August 2013 auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Landgericht zur Übernahme vor (VA Bd. II Bl. 330). In der Hauptverhandlung in der Strafsache 3490 Js am 27. August 2013 beschloss die Strafkammer die Übernahme des Verfahrens des Amtsgerichts Frankfurt am Main 3240 Js (VA Bd. II Bl. 351) und die Verbindung zu dem dortigen Verfahren 3490 Js .
Dieser Übernahmebeschluss ist unwirksam. Die Entscheidung des höheren Gerichts über die Übernahme gemäß § 225a StPO ergeht in der für Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung vorgeschriebenen Besetzung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Auflage [§ 225a] Rdnr. 14). Die Strafkammer war jedoch dem Beschluss vom 22. Juli 2013 gemäß § 76 Abs. 2 GVG (SA Bd. II Bl. 247) entsprechend bei dem Erlass des Übernahme- und Verbindungsbeschlusses in der Hauptverhandlung lediglich mit zwei Berufsrichtern besetzt (SA Bd. II, Bl. 301). Dies führt dazu, dass das Verfahren 3240 Js beim Amtsgericht Frankfurt am Main anhängig geblieben ist (siehe BGH Beschluss vom 25. Mai 2011 - 2 StR 106/11). Soweit das Landgericht den Angeklagten insoweit wegen dreifacher Unterschlagung verurteilt hat, war die Entscheidung aufzuheben."
Dem stimmt der Senat zu. Auch er sieht keinen Grund, den Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StPO anders zu behandeln als den Eröffnungsbeschluss in vergleichbaren Fällen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. November 2005 - 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267, Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 596/09, Beschlüsse vom 22. Juni 2010 - 4 StR 216/10, StraFo 2010, 424, und vom 27. Februar 2014 - 1 StR 50/14, NStZ 2014, 664). Denn der Übernahmebeschluss ändert den Eröffnungsbeschluss insoweit ab, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 im Verhältnis zu § 225a Abs. 3 Satz 1 StPO). Dementsprechend richtet sich die Form des Übernahmebeschlusses und seine Anfechtbarkeit nach den für den Eröffnungsbeschluss geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Sätze 2 und 3 StPO). Auch ist er analog § 215 StPO zuzustellen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 225a Rn. 17).
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Unterschlagung in drei Fällen ist daher aufzuheben. Der Senat verweist die Sache auch insoweit an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück. Zwar ist das Verfahren, soweit es die Verstöße gegen § 246 Abs. 2 StGB betrifft, bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - Frankfurt am Main anhängig geblieben. Dieses Gericht hat aber nicht nur das Hauptverfahren eröffnet, sondern die Sache auch wirksam gemäß § 225a Abs. 1 Hs. 1 StPO dem Landgericht zur Übernahme vorgelegt. In diesem Stadium befindet sich das Verfahren erneut nach der (Teil-)Aufhebung des Urteils durch den Senat. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer (§ 354 Abs. 2 StPO) wird daher zunächst - auch vor dem Hintergrund des § 24 Abs. 2 GVG - gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO über die Übernahme der Sache in den Unterschlagungsfällen zu befinden haben.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 19. Mai 2014 und vom 19. Januar 2015 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 534
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 250
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel