HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1006
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 598/14, Beschluss v. 28.07.2015, HRRS 2015 Nr. 1006
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 10. Juli 2014
a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) soweit der Angeklagte in den Fällen C I. 1 bis 27, C II. 28 bis 34, C III. 35 und C IV. 36 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; bb) im Gesamtstrafenausspruch;
b) zu den Tatkomplexen C V. bis VIII. der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Betrugs in zehn Fällen, der Untreue in elf Fällen und der Insolvenzverschleppung schuldig ist; die Einzelstrafen für die Taten C V. 38 und 48 der Urteilsgründe entfallen.
2. Das Verfahren wird eingestellt, soweit dem Angeklagten mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 21. Oktober 2013 - 6 Js 129/13 - ein Betrug (Fall C IV. 36 der Urteilsgründe) zur Last gelegt wird. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3. In dem nach der Einstellung verbleibenden Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in 43 Fällen, versuchten Betrugs in fünf Fällen, sowie wegen Untreue in elf Fällen und Insolvenzverschleppung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Soweit der Angeklagte im Fall C IV. 36 der Urteilsgründe wegen Betrugs verurteilt worden ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen, weil es hinsichtlich der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 21. Oktober 2013, die dieser Verurteilung zugrunde liegt, an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses fehlt. Die in der Hauptverhandlung am 15. November 2013 getroffene Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist ebenso unwirksam wie der gleichfalls unter Hinweis auf § 266 Abs. 1 StPO ergangene Einbeziehungsbeschluss der Strafkammer.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine zunächst unterbliebene Eröffnungsentscheidung noch nach Beginn der Hauptverhandlung nachgeholt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 1980 - 1 StR 213/79, BGHSt 29, 224; vom 2. November 2005 - 4 StR 418/05, BGHSt 50, 267, 268). Auch im Falle ihrer Nachholung ist die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage beim Landgericht von der großen Strafkammer stets in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung, mithin mit drei Berufsrichtern unter Ausschluss der Schöffen (§ 199 Abs. 1 StPO i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG) zu treffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 2011 - 1 StR 388/11, NStZ 2012, 50; vom 22. Juni 2010 - 4 StR 216/10, StraFo 2010, 424; vom 2. November 2005 - 4 StR 418/05 aaO). Ergeht die Entscheidung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Besetzung, ist sie unwirksam. Dies gilt nicht nur bei einer Beschlussfassung in der reduzierten Hauptverhandlungsbesetzung nach § 76 Abs. 2 Satz 4 GVG (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. September 2011 - 1 StR 388/11 aaO; vom 22. Juli 2010 - 4 StR 216/10 aaO; Urteil vom 25. Februar 2010 - 4 StR 596/09 Rn. 12; Beschlüsse vom 13. Juni 2008 - 2 StR 142/08, NStZ 2009, 52; vom 16. Mai 2007 - 2 StR 154/07, StV 2007, 562), sondern in gleicher Weise auch für eine Eröffnungsentscheidung, die in der nach § 76 Abs. 2 Satz 3 GVG vorgesehenen Besetzung für die Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen ergangen ist. Die verfahrensfehlerhafte Beteiligung der Schöffen berührt die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und kann sich im Einzelfall über das Mehrheitsverhältnis auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt haben.
Da die Entscheidung über die Zulassung der Anklage vom 21. Oktober 2013 zur Hauptverhandlung und die diesbezügliche Eröffnung des Hauptverfahrens ausweislich der Sitzungsniederschrift in laufender Hauptverhandlung durch die erkennende Strafkammer in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen erfolgt ist, erweist sich der Eröffnungsbeschluss als unwirksam.
Der im Anschluss an die Verlesung des Anklagesatzes und der Belehrung des Angeklagten über sein Schweigerecht ergangene Einbeziehungsbeschluss entfaltet ebenfalls keine Wirkungen. Der Einbeziehungsbeschluss nach § 266 Abs. 1 StPO, der von der Strafkammer in der Besetzung der Hauptverhandlung getroffen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2011 - 5 StR 327/11, BGHR StPO § 266 Einbeziehungsbeschluss 4), tritt zwar bei einer Nachtragsanklage an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. August 2011 - 5 StR 327/11 aaO; vom 8. Februar 2011 - 4 StR 612/10 Rn. 4). Für einen solchen Einbeziehungsbeschluss war hier jedoch von vornherein kein Raum, weil es an einer Nachtragsanklage gemäß § 266 Abs. 1 StPO fehlte. Denn die Anklage vom 21. Oktober 2013 ist nicht mündlich in der Hauptverhandlung sondern entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 170 Abs. 1, § 199 Abs. 2 StPO durch Einreichung einer Anklageschrift bei Gericht erhoben worden.
Die sachlich-rechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils führt zu der Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in den Fällen C I. 1 bis 27, C II. 28 bis 34 und C III. 35 der Urteilsgründe sowie zu einer Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Fälle C V. 37 und 38 sowie C V. 47 und 48 der Urteilsgründe.
1. Nach den Feststellungen plante der Angeklagte ab Ende 2009, eine aus sieben Windkrafträdern bestehende Windparkanlage zu errichten und zu betreiben. Die Errichtung der Anlage sollte durch die W. GmbH & Co. KG (Projektgesellschaft) erfolgen. Komplementärin der Projektgesellschaft war die R. GmbH, deren Geschäftsführer der Angeklagte war. Zur Finanzierung des Windparkprojekts warb der Angeklagte um Investoren. Im Zeitraum vom 22. November 2009 bis 17. März 2010 gelang es dem Angeklagten mit Hilfe eines Werbeprospekts und vereinzelter persönlicher Gespräche in 27 Fällen von Anlegern Geld für stille Beteiligungen an der Projektgesellschaft unter Vereinbarung einer Verzinsung von 10 % p.a. und einer Kapitalrückzahlung zum 31. Dezember 2010 einzunehmen. Insgesamt erlangte er 636.000 € (Komplex C I. der Urteilsgründe). Nachdem der Angeklagte ab November 2009 Genussrechte an der R. GmbH in Höhe von insgesamt über 800.000 € ausgegeben hatte, begann er im März 2010, Genussrechte an der GmbH mit einem Zinssatz von 10 % p.a. und einer Laufzeit von drei Monaten anzubieten. Zu diesen Konditionen zeichneten Anleger in sieben Fällen Genussrechte in einer Höhe von insgesamt 160.000 € (Komplex C II. der Urteilsgründe). Keiner der Investoren erhielt das eingezahlte Kapital zurück, eine einmalige Zinszahlung erfolgte lediglich in einem Fall. Der Angeklagte hielt es für möglich, die Anlagen nicht fristgerecht und vollständig auszahlen zu können, und billigte dies, um das Windparkprojekt ohne Eigenkapital umsetzen zu können.
Im Juni 2010 erteilte der Angeklagte der Firma S. GmbH Aufträge zur Erstellung von Fundamenten und Kranstellplätzen sowie zum Ausbau von Wegen, wobei er auf Nachfrage mitteilte, dass die Finanzierung für das Projekt stehe. In Wahrheit war der Angeklagte weder persönlich noch über die Projektgesellschaft oder eine andere GmbH in der Lage, die Kosten für die in Auftrag gegebenen Arbeiten zu tragen. Auf die Schlussrechnung der S. GmbH vom 11. August 2010 über 564.000 € erfolgten aufgrund eines Ende 2011 geschlossenen Vergleichs Teilzahlungen in Höhe von ca. 120.000 € (Komplex C III. der Urteilsgründe).
2. Die Verurteilung wegen Betrugs bzw. versuchten Betrugs in den Fällen C I. 1 bis 27 und C II. 28 bis 34 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Feststellungen eine Täuschung der Anleger durch den Angeklagten nicht ausreichend belegen.
Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB ist jede Einwirkung des Täters auf die Vorstellung des Getäuschten, welche objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 2014 - 1 StR 359/13, NStZ 2015, 89, 90). Nach den Feststellungen erfolgte die Werbung von Investoren - von vereinzelten persönlichen Gesprächen abgesehen - unter Verwendung eines Werbeprospektes für die Beteiligung (Komplex C I. der Urteilsgründe) sowie durch persönliche Anschreiben und eine „Kurzvorstellung Beteiligung an der Komplementärin der Projektgesellschaft“ (Komplex C II. der Urteilsgründe). Zu der näheren Ausgestaltung des Werbeprospekts verhalten sich die Urteilsgründe nur insoweit, als eine allgemein gehaltene Belehrung über die Risiken einer unternehmerischen Beteiligung zitiert und eine aus sich heraus unverständliche Prognoseberechnung mitgeteilt wird, die sich - so das Landgericht - dem Kontext des Prospekts nach auf die Projektgesellschaft beziehen soll. Einzelheiten zu der in den Unterlagen gegebenen Darstellung des zu finanzierenden Windparkprojekts stellt das Urteil weder zu dem Werbeprospekt noch hinsichtlich der Kurzvorstellung fest. Auf der Grundlage der bisherigen Sachverhaltsschilderung kann daher nicht beurteilt werden, ob durch den Werbeprospekt und die Kurzvorstellung für die Anleger ein unzutreffendes Bild von den mit der konkreten Anlageentscheidung verbundenen Risiken gezeichnet wurde. Angesichts des Fehlens konkreter Feststellungen zum Inhalt der Unterlagen reichen auch die pauschalen Verweise der Strafkammer darauf, dass der Angeklagte nicht auf die Unvollständigkeit der Projektrechte und die Unterkapitalisierung des Projekts (Komplex C I. der Urteilsgründe) bzw. auf die aufgrund der schlechten Finanzlage der Komplementärin, der Nichtexistenz des Windparks und der Unvollständigkeit der Planungsunterlagen das Übliche übersteigende Gefährdung der Rückzahlungsansprüche (Komplex C II. der Urteilsgründe) hingewiesen habe, nicht aus, um eine Täuschung der Anleger hinreichend zu belegen. Schließlich hat die Strafkammer eine konkludente Erklärung des Angeklagten, nach seiner eigenen aufgrund einer gegenwärtigen Beurteilung der künftigen Verhältnisse begründeten Erwartung zur Rückzahlung der Anlagebeträge bei Fälligkeit in der Lage zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 1984 - 2 StR 474/84, StV 1985, 188; Beschluss vom 10. April 1984 - 4 StR 180/84, wistra 1984, 223; Urteile vom 22. Oktober 1981 - 4 StR 429/81, wistra 1982, 66; vom 10. Januar 1964 - 4 StR 497/63, GA 1965, 208; vgl. Tiedemann in LK-StPO, 12. Aufl., § 263 Rn. 38 mwN) ebenso wenig erwogen wie eine - insbesondere im Komplex C 2. der Urteilsgründe angesichts des hohen Zinsversprechens in der Investitionsphase und der eher beiläufig festgestellten Gewährung eines nicht schriftlich dokumentierten Darlehens der Gesellschaft an den Angeklagten in Höhe von 1 Mio. Euro - nicht fernliegende Täuschung über eine tatsächlich nicht bestehende Rückzahlungsbereitschaft.
3. Hinsichtlich der Verurteilung wegen Betrugs im Fall C III. 35 der Urteilsgründe hat das angefochtene Urteil keinen Bestand, weil den Feststellungen schon nicht zu entnehmen ist, wer Vertragspartner der Geschädigten S. GmbH geworden ist, und damit unklar bleibt, über wessen Zahlungsfähigkeit nach Auffassung des Landgerichts getäuscht worden sein soll. Soweit die Strafkammer darauf verweist, dass nicht nur die Projektgesellschaft und eine weitere namentlich genannte GmbH sondern auch der Angeklagte persönlich nicht in der Lage war, die Kosten für die in Auftrag gegebenen Arbeiten zu tragen, entbehrt diese Feststellung einer nachvollziehbaren Begründung im Rahmen der Beweiswürdigung. Mit einer nach den festgestellten Umständen der Auftragserteilung durch den Angeklagten nicht ausgeschlossen erscheinenden Täuschung des Geschäftspartners über die Zahlungsbereitschaft hat sich die Strafkammer nicht näher auseinandergesetzt.
4. Die Annahme jeweils selbständiger, real konkurrierender Betrugstaten in den Fällen C V. 37 und 38 sowie C V. 47 und 48 der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach den Feststellungen ist vielmehr davon auszugehen, dass der zweimalige Erwerb von Genussrechten durch die Geschädigten jeweils aufgrund derselben Täuschungshandlung des Angeklagten gegenüber den betreffenden Geschädigten erfolgte, so dass in den genannten Fällen jeweils nur eine einheitliche Betrugstat vorliegt.
Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen. Infolge der Schuldspruchänderung entfallen die Einzelstrafen von neun Monaten für die Tat C V. 38 der Urteilsgründe und von zehn Monaten für die Tat C V. 48 der Urteilsgründe. Die Einzelstrafen von neun Monaten und zehn Monaten, die für die Taten C V. 37 und 47 der Urteilsgründe verhängt worden sind, können in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO als alleinige Einzelstrafen für die jeweils einheitlichen Betrugstaten bestehen bleiben.
5. Soweit der Angeklagte wegen Insolvenzverschleppung verurteilt worden ist, lassen die festgestellten Umstände auch ohne eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten sowie der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2003 - 3 StR 437/02, NStZ 2003, 546, 547; Fischer, StGB, 62. Aufl., vor § 283 Rn. 9 b mwN) noch hinreichend erkennen, dass die vom Angeklagten als Geschäftsführer geleitete Gesellschaft WE. GmbH mit Fälligkeit der Vergleichsrate am 15. Juli 2012 zahlungsunfähig war.
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1006
Externe Fundstellen: StV 2015, 743
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel