HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 810
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 107/09, Urteil v. 18.08.2009, HRRS 2009 Nr. 810
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. September 2008 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es den Angeklagten betrifft.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Am 16. November 2007 wurde der damals 70 Jahre alte K. in seiner Wohnung in Holzkirchen von zwei Tätern überfallen und gefesselt. Die Täter entwendeten Uhren und Schmuck im Wert von über 10.000,-- €. K. wurde erst nach Stunden befreit. Anklage und Eröffnungsbeschluss gingen davon aus, dass der Angeklagte einer der Täter war, bei dem anderen Täter soll es sich um den gegenwärtig in Jordanien aufhältlichen gesondert verfolgten S. handeln. Die Strafkammer konnte sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen und hat ihn freigesprochen.
Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg, da die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Überprüfung nicht standhält.
1. Dem Tatverdacht gegen den Angeklagten liegen, ohne dass an dieser Stelle die Urteilsgründe vollständig nachzuzeichnen wären, nicht zuletzt folgende Beweisanzeichen zu Grunde:
a) Der Angeklagte wird von den beiden Mitangeklagten A. und B. (hinsichtlich derer die Staatsanwaltschaft keine Revision eingelegt hat) als Täter bezeichnet. Die Mitangeklagten waren an der Planung und Vorbereitung der Tat als Einbruch beteiligt. Die Gewalttätigkeiten waren nach der Beweiswürdigung der Strafkammer ein den Mitangeklagten nicht zurechenbarer Exzess. Sie wurden nach der Tat, wie sie angeben, vom Angeklagten und S., über den Tatablauf im Detail informiert; die Beute wurde noch am gleichen Tag von A. verkauft.
b) Auf der Außenseite eines Teilstücks des Klebebandes, mit dem der Geschädigte gefesselt worden war, wurde eine Mischspur mit DNA-Merkmalen des Angeklagten gefunden.
c) In der Wohnung des Angeklagten wurden drei Schmuckschatullen gefunden, die aus der Tat stammen.
d) Zwischen dem Angeklagten und A. fanden am Tattag innerhalb von etwa zwei Stunden vier Telefongespräche statt.
e) Eine unbeteiligte, zufällige Zeugin (Frau Br.) hat am Tattag in der Nähe des Tatorts zwei Männer beobachtet. In der Hauptverhandlung war sie "zu 80%" sicher, dass es sich bei einem dieser Männer aus näher dargelegten Gründen (z. B. wegen der Nase, der hohen Stirn, der Statur) um den Angeklagten handelt.
2. Die Strafkammer hat diesen Erkenntnissen letztlich kein entscheidendes Gewicht beigemessen. Ohne dass auch insoweit die Urteilsgründe hier vollumfänglich nachzuzeichnen wären, hält sie die genannten Anhaltspunkte im Kern aus folgenden Gründen nicht für hinreichend tragfähig:
a) Es sprächen "starke" Anhaltspunkte für eine Täterschaft von S. Die entsprechenden Angaben der Mitangeklagten würden durch näher dargelegte objektive Beweismittel gestützt. Daraus folge jedoch nicht "zwangsläufig", dass auch die Angaben der Mitangeklagten zur Tatbeteiligung des Angeklagten richtig seien.
b) Hinsichtlich der DNA-Spuren hat der Angeklagte angegeben, zwar am Tattag mit seinem Pkw und A. nach Holzkirchen gefahren zu sein, jedoch um ein Regal zu transportieren. Dort sei man zunächst zusammen in ein Cafe gegangen, dann habe ihn A. mit anderen, Unbekannten verlassen. Später sei er wieder gekommen und habe gesagt, mit dem Regal klappe es nicht. Dann sei man gemeinsam nach München zurückgefahren.
Das Klebeband habe A. auf der Fahrt nach Holzkirchen auf der Mittelkonsole des Pkws abgelegt. Die Bedienung der Gangschaltung sei dadurch ausgeschlossen gewesen, weshalb er, H., das Klebeband weggelegt habe. Dadurch müsse die DNA-Spur entstanden sein. Dieses Vorbringen, so die Strafkammer, sei nicht zu widerlegen.
c) Die Schmuckkassetten habe ihm A. im Rahmen eines Geschäfts über einen (aus der Tat stammenden) Ring überlassen, welches ihm A. angeboten habe, um den Ärger des Angeklagten über den nicht stattgefunden Transport des Regals zu besänftigen. Für diese Version, so die Strafkammer, spreche, dass ein Freund des Angeklagten sie bestätigt habe. Dieser Freund sei unmittelbar, nachdem der Angeklagte die entsprechende Aussage gemacht habe, in die Hauptverhandlung gerufen worden.
Eine Absprache sei daher ausgeschlossen. Dass die Mutter des Angeklagten im Rahmen einer Hausdurchsuchung, bei der die Schatullen gefunden wurden, den Angeklagten mit der Lüge zu entlasten versucht hatte, die Schatullen gehörten ihr, ändere nichts.
d) Hinsichtlich der Telefongespräche am Tattag gibt der Angeklagte an, es sei dabei immer nur um Benzingeld für die Fahrt wegen des (letztlich gescheiterten) Regaltransports gegangen. Dies bewertet die Strafkammer als nicht "vollkommen wirklichkeitsfremd".
e) Die Strafkammer geht davon aus, dass es sich bei den von Frau Br. gesehenen Männern um die Täter handelt. Gegen ihre Annahme, bei einem dieser Männer habe es sich mit erheblicher - wenn auch nicht letzter - Sicherheit um den Angeklagten gehandelt, spreche, dass sie bei der Polizei gesagt habe, die Männer seien 30 bis 40 Jahre alt gewesen, eher 40 Jahre, während sie den Angeklagten in der Hauptverhandlung für 30 Jahre alt geschätzt habe. Ebenso spreche gegen die Zuverlässigkeit der Wiedererkennung, dass sie angegeben habe, der in Rede stehende Mann habe ausgewaschene blaue Jeans getragen; dies sei unvereinbar mit der Angabe A. s , wonach der Angeklagte bei der Tat dunkelblaue Jeans getragen habe.
3. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten überwunden hätte. Das Revisionsgericht prüft nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist etwa dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes, wenn sie lückenhaft, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt, oder wenn, im Falle eines Freispruchs, an das Maß der zur Verurteilung erforderlichen Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. zuletzt zusammenfassend BGH, Urt. vom 18. März 2009 - 1 StR 549/08 m.w.N.).
a) Die genannten Erwägungen der Strafkammer werden schon jeweils für sich genommen diesen Maßstäben nicht in vollem Umfang gerecht:
(1) Die Strafkammer hält die Angaben der Mitangeklagten hinsichtlich S. für glaubhaft, hinsichtlich des Angeklagten letztlich nicht. Der Tatrichter ist allerdings nicht gehindert, einer Auskunftsperson teilweise zu glauben und teilweise nicht. Dies verlangt jedoch eine nachvollziehbare Begründung, die sich mit allen wesentlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt (st. Rspr., vgl. d. Nachw. bei Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 261 Rdn. 83, Fußn. 358, 359). Daran fehlt es hier. Es wäre erkennbar in die Erwägungen einzubeziehen gewesen, dass die Angaben A. s insoweit vom Angeklagten bestätigt werden, als auch er angibt, am Tattag mit diesem nach Holzkirchen gefahren zu sein. A. wusste nach den Feststellungen, dass an diesem Tag dort die von ihm (mit) geplante und vorbereitete Tat durchgeführt werden sollte. Es wäre zu erörtern gewesen, ob und warum davon auszugehen ist, dass er in Holzkirchen zugleich ein Regal holen wollte und zu diesem Zweck sich der Hilfe eines nicht an der Tat Beteiligten bediente.
Ebenso wäre zu erörtern gewesen, ob es ein nachvollziehbares Motiv für A. und den anderen Mitangeklagten gibt, hinsichtlich der nämlichen, von zwei Personen begangenen Tat bezüglich eines Mittäters (S.) die Wahrheit zu sagen und eine andere Person als Mittäter frei zu erfinden und zudem den ihnen bekannten Angeklagten zu Unrecht zu belasten.
Ohne die Erörterung dieser Gesichtspunkte beruht die - nicht notwendig ausgeschlossene - Erwägung der Strafkammer zur nur teilweisen Glaubhaftigkeit der Angaben über die beiden Täter auf lückenhafter Grundlage.
(2) Diese Lücken gelten in gleicher Weise für die Angaben hinsichtlich des Klebebandes und den Zweck der Fahrt, bei der nach Angaben des Angeklagten die in Rede stehende Spur entstanden ist. Hinzu kommt, dass es sich jedenfalls ohne genaue Beschreibung des Klebebandes keinesfalls von selbst versteht, dass das Klebeband auf der Mittelkonsole die Bedienung der Gangschaltung ausgeschlossen (der Angeklagte habe nach seiner - nach Auffassung der Strafkammer nicht zu widerlegenden - Aussage wegen des Klebebandes "nicht schalten gekonnt") oder jedenfalls nachhaltig erschwert hätte. Im Übrigen führt der Generalbundesanwalt (unter zutreffendem Hinweis auf die ständige Rechtsprechung, z.B. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ-RR 2003, 371) zutreffend aus, dass Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, nicht ohne weiteres als "unwiderlegbar" hinzunehmen und den Feststellungen zu Grunde zu legen sind. Der Tatrichter hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen es außer der nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen.
(3) Auch hinsichtlich der Schmuckschatullen ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
Die Würdigung der Strafkammer stützt sich im Kern darauf, dass eine Absprache mit dem Zeugen nicht möglich gewesen wäre. Dies wäre nur dann ohne weitere Begründung tragfähig, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung, in der er die von seinem Freund dann bestätigten Angaben gemacht hat, erstmals erkannt hätte, dass die Frage nach den Schatullen Bedeutung haben kann. Dies wäre zu erörtern gewesen. Die Schatullen waren bei der Hausdurchsuchung gefunden worden, die Brisanz dieses Fundes war, ohne dass auch dies nachvollziehbar gewürdigt wäre, von der Mutter des Angeklagten offenbar sofort erkannt worden. Unter diesen Umständen versteht es sich nicht von selbst, dass dem Angeklagten der Fund der Schatullen unbekannt war oder dass er ihn für irrelevant gehalten hätte. Dann aber ist bei der Frage, ob die Möglichkeit einer Absprache mit seinem Freund bestand, nicht allein auf den Zeitraum zwischen der Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu den Schatullen und der Vernehmung des Freundes hierzu in der Hauptverhandlung abzustellen.
(4) Hinsichtlich der Telefongespräche fehlt es an der Erörterung der nahe liegenden Frage, warum über das doch eher einfach strukturierte Thema des Benzingeldes - nach Angaben des Angeklagten soll es um 20,-- € gegangen sein - kurz hintereinander gleich vier Gespräche erforderlich waren und warum dies nicht auf der gemeinsamen Rückfahrt besprochen worden ist.
(5) Die Beweiswürdigung hinsichtlich der Zeugin Br. ist unklar. Die Zeugin beschreibt einen Mann, der am Tatort und nach Bewertung der Strafkammer ein Täter war. Die Aussage von A., dass der Angeklagte am Tatort war, hält die Strafkammer im Ergebnis für falsch. Unter diesen Umständen wird nicht deutlich, warum gerade die Aussage A. s zum Farbton der Hose, die der Angeklagte "bei Begehung der Tat" getragen habe, geeignet ist, die Würdigung der Aussage von Frau Br. zu beeinflussen.
b) Sind aber schon eine Reihe von Erwägungen der Strafkammer zu einzelnen Beweisanzeichen für sich genommen nicht tragfähig begründet, kann auch das auf einer - hier ohnehin etwas pauschalen - Gesamtwürdigung aller Erkenntnisse beruhende Ergebnis keinen Bestand haben. In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin: Wie auch die Strafkammer nicht verkennt, deuten "gewichtige Gesichtspunkte" auf den Angeklagten als Täter.
Allein daraus, dass ein bestimmtes Ergebnis deshalb nicht fern oder sogar nahe liegt, folgt jedoch nicht, dass der Tatrichter im Einzelfall nicht auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (BGH NStZ-RR 2009, 248, 249; NStZ 2009, 264). Verwirft er jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, oder die (zwar nicht als denknotwendig ausgeschlossen, aber doch) als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss im Rahmen der Gesamtwürdigung erkennbar werden, dass sich der Tatrichter dieser besonderen Konstellation bewusst ist. Andernfalls besteht nämlich die Besorgnis, dass er überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (BGH NStZ-RR 2009, 248, 249).
Die Sache bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung, ohne dass es noch auf Weiteres ankäme.
HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 810
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2009, 366; NStZ-RR 2010, 85
Bearbeiter: Karsten Gaede